laut.de-Kritik
Drastische und verstörende Vertonung des Bösen.
Review von Toni Hennig"The Childhood Of A Leader" stellt das Kinodebüt des Regisseurs Brady Corbet dar. Die Story basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Jean-Paul Sartre. Diese beleuchtet die Kindheit des zum gefürchteten Diktator aufsteigenden Protagonisten - gespielt von Robert Pattinson - unter den Eindrücken der Friedensverhandlungen von Versailles 1919. Für den Soundtrack zeichnet der Avantgardist Scott Walker verantwortlich. Seine bedrohlichen Klangflächen könnten die schweren Bilder kaum eindringlicher untermalen.
"Opening" bietet mit brodelnden Celloflächen und dramatischen Streichern einen perfekten Einstieg in den Score. Walker hält in dem Song aber auch Dissonanzen wie Pfeifgeräusche, die am Nervenkostüm zehren, bereit. Der Beginn saugt den Hörer eindrücklich in eine bedrohliche Klangwelt ein, aber dafür sollte man die rund 30 Minuten schon einiges gewöhnt sein.
Für "The Childhood Of A Leader" leitet Scott Walker ein aus 46 Streichern und 16 Blasinstrumenten bestehendes Orchester. Dieses sorgt für einen klaren, aber auch dunklen und anschwillenden, in Moll getränkten Klang. Für Walkers schwer verdaulichen Ansatz von zeitgenössischer klassischer Musik fungiert die Besetzung somit als perfektes Fundament für seine zweite filmmusikalische Arbeit nach "Pola X" (1998).
Walker arbeitet sich anschließend in kurzen Sequenzen durch verschiedene Schlüsselszenen. "Dream Sequence" prägen dräuende, repetitive Drones, die Unbehagen auslösen. Der Laut-Leise-Kontrast zwischen "Down The Stairs" und "Up The Stairs", Letzteres mit sich steigernden Crescendos und einem angsteinflößenden Finale, könnte kaum bildhafter komponiert sein. Es scheint, als habe Walker die Leitmotive genauestens studiert.
Mit düsteren Bläsern besitzt "Versailles" kaum Hoffnung. Das erinnert majestätisch und erhaben an Dead Can Dance, passt aber zur Atmosphäre des Scores hervorragend. In "Third Tantrum" preschen die Streicher und Bläser wie Messerstiche über den Hörer nieder, das brodelnde Cello-Fundament beschwört eine nervöse Anspannung. Walker könnte auch einen mysteriösen Horrorfilm mit diesen Tönen unterlegen. Den Einfluss der Filmarbeiten von Krzysztof Komeda kann man schwer leugnen.
Gegen Ende vertont Walker drei Sequenzen eines Treffens eindrücklich. "On The Way To The Meeting" stampft mit Militärdrums voran und wird von wirbelnden Streichern und schweren Trompeten untermalt. "The Meeting" klingt wie ein unbequemes Lauern. "Post Meeting" setzt er mit Militärmotiven aus harten Paukenschlägen und marschierenden Trommeln anschaulich, aber ebenso verstörend in Szene. Dies hält die Spannung bis zum zerstörerischem Finale sukzessive aufrecht.
Im "Finale" brennt die Welt lichterloh. Man sieht die Soldaten vor dem inneren Auge marschieren, die Maschinengewehre rattern und Bomben prallen auf die Erde nieder. Harte Schlaggeräusche, wirbelnde Streicher und dissonante Bläser zeichnen ein Bild der Verwüstung. Für den Hörer gestaltet sich das als sehr fordernd, aber das Thema Krieg verlangt eben nach einer drastischen Umsetzung. Von der Romantisierung dieser Thematik hat man schließlich genug gehört.
"The Childhood Of A Leader" klingt somit, wie man es von Scott Walker erwartet, alles andere als angenehm. Die verschiedenen Motive und Szenen des Filmes setzt er trotzdem veranschaulichend in Szene. Der Score lebt von der vereinnahmenden Atmosphäre des Orchesters. Auch ohne die Bilder hinterlässt der Soundtrack so einen großartigen Eindruck.
3 Kommentare mit 3 Antworten
whoah, das klingt ja nach ner großen nummer. komme erst in ein paar tagen zum reinhören. ist aber schon vorgemerkt. vermi8sst man sunn o))) nicht ein wenig?
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Ehrlich gesagt nicht, aber diese monotonen, repetitiven Drones fand ich immer unheimlich zäh und schwer bei Sunn O))). Die Wirkung ist vielleicht im Livekontext eingebunden um einiges intensiver, schätze ich.
Gut beobachtet - fein hingehört.
Weil es Scott ist und nur deswegen gibt es 4/5. Soundtrackalben funktionieren nunmal nicht, oder nur ganz selten, weil nämlich etwas fehlt, nämlich die dazu gehörenden Bilder.
Die Arbeiten von Philip Glass und Ryuichi Sakamoto funktionieren auch ziemlich hervorragend ohne die Bilder. Die Motivik und die Gestaltung der einzelnen Sequenzen finde ich trotzdem ziemlich gelungen hier. Packt mich mehr als seine letzte Platte. Die 4 Punkte gibt es wegen der Musik und nicht weil Walker einen Bonus bei mir hätte.