laut.de-Kritik

Furiose Rückkehr der Madchester-Meister.

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Britpop is back. Von Cardiff bis Chicago sorgen Oasis mit ihrer Reunion-Tour für einen der spektakulärsten Musik-Hypes des Jahres. Im Vorprogramm feiert Richard Ashcroft die legendären Hymnen seiner Ex-Band The Verve und führt sein neues Album auf Platz 3 der UK-Charts. Glorreiche Zeiten nicht nur für Musikfans, die in den 90ern aufgewachsen sind, sondern auch für die Veteranen der damaligen britischen Rockszene.

Zurück im Pulp-Modus hat Jarvis Cocker bei der Oasis-Show in Wembley vorbeigeschaut, während Blurs Damon Albarn seinen einstigen Rivalen immerhin aus der Ferne zujubelte. Ein besonderer All-Star-Schnappschuss entstand im Juli in Manchesters Heaton Park: Zwischen Mark "Bez" Berry, dem Tänzer der Happy Mondays, und zwei Oasis-Mitgliedern, schaute hinter Fischerhut und Sonnenbrille der Madchester-Pate Tim Burgess hervor.

Drei Jahre nach seinem starken sechsten Soloalbum "Typical Music" bringt Burgess auch seine altgediente Band eindrucksvoll zurück. "We Are Love", das vierzehnte Album der Charlatans, ist eine direkte Rückkehr zu den Ursprüngen: Nach Rockfield, in die berühmten Bauernhof-Studios im südwalisischen Wye Valley. Dorthin, wo Meisterwerke wie Oasis' "(What's the Story) Morning Glory?" oder Queens "A Night At The Opera" entstanden waren. Dorthin, wo – inklusive des nahegelegenen Monnow Valley Studios – vier der ersten fünf Charlatans-Alben entstanden waren. Bis im Juli 1996, kurz vor Abschluss der Aufnahmen zum fünften Album "Tellin' Stories", der Keyboarder Rob Collins bei einem Autounfall ums Leben kam.

Erst 25 Jahre später kehrte Tim Burgess für "Typical Music" nach Rockfield zurück. Dass sich nun, fast drei Jahrzehnte nach Collins' Unfall, die ganze Band am geschichtsträchtigen Ort eingefunden hat, markiert eine besondere, kathartische Etappe für das Quintett. Acht Jahre nach "Different Days", das viele prominente Gastmusiker vereinte (New Order, Paul Weller, Johnny Marr), verlegen The Charlatans auf "We Are Love" den Schwerpunkt darauf, ihren eigenen Spirit heraufzubeschwören.

Zusammen mit dem Produktionsteam um Dev Hynes (alias Blood Orange und Lightspeed Champion) und Frederick Macpherson konzentriert sich die 1988 in den West Midlands gegründete Band darauf, die Vergangenheit und die damit verknüpften Orte für ihre Kunst zu nutzen. Als Orientierungspunkte dienten Ideen der Hauntologie und Psychogeografie: "Die Rückkehr nach Rockfield war wichtig, um jedes Mitglied zu würdigen, das jemals in der Band gespielt hat", erklärt Tim Burgess zur Veröffentlichung, "Also ehren wir uns selbst, unsere Vergangenheit, spüren diese Energie und lassen sie wieder aufleben, indem wir etwas Frisches, völlig Neues schaffen".

Die Band, die in Großbritannien drei Nummer-Eins-Alben und 22 Top-40-Singles vorweisen kann, darunter Hits wie "The Only One I Know", "North Country Boy" and "One To Another", liefert mit "We Are Love" eines der pointiertesten Alben ihrer 37-jährigen Geschichte. Von den verspielten Hammond-Klängen über die sphärischen Arrangements bis hin zu den hymnischen Hooks hieven The Charlatans ihren Signature Sound auf eine reifere und raffiniertere Stufe. Auf elf Songs perfektioniert das Quintett seinen Klangkosmos durch vielfältige, dynamische Akzente und erschafft ein mitreißendes positives Statement. Alles fügt sich in einem hypnotischen Groove, der gleichermaßen nostalgisch und modern erscheint. Ähnliche Balanceakte sind zuletzt auch den Britrock-Kollegen von Primal Scream und Jesus and Mary Chain gelungen.

"We Are Love": Die Botschaft ist so einfach wie mächtig. Zwischen schnellen Funk-Riffs und akustischen Verzierungen erwächst eine Liebeserklärung, die so euphorisch ist, dass selbst Phrasen wie "Ever present / While unavailable" und "My glass half empty / Yours half full" als bahnbrechende Erkenntnisse daherkommen. Burgess selbst vergleicht den Titeltrack im NME stimmig mit einer "Fahrt im Cabrio im Abspann deines Lieblingsfilms, entlang der Küste zu einem fantastischen Ort".

Fantastisch, mit viel Spielfreude und Energie, geht es auch weiter. "It's just rock and roll / But I gave it my all" singt Burgess in "Many A Day A Heartache": Selbst der Melancholie-Slogan, um den sich das Stück beständig dreht, löst sich in einem verzückten Rhythmus auf. "Appetite" flirrt zwischen Phoenix und Tame Impala in einen Rausch aus Beat-, Piano- und Orgelschleifen. Tony Rogers' fiebriges Orgelspiel, das immer auch den verstorbenen Keyboarder Rob Collins in Erinnerung ruft, erreicht seinen Höhepunkt im grandiosen Madchester-Revival "Deeper And Deeper".

Im Flow bleiben The Charlatans auch, wenn sie ein, zwei Gänge herunterschalten. Mehr noch: Das Motiv des Fließens rückt in manchen Balladen regelrecht ins Zentrum. Mit zurückhaltender Instrumentierung und überraschenden Melodiebögen zelebriert die Softrock-Meditation "You Can't Push The River" eine fluide Vereinigungsfantasie: "Just something / Taking me over / Pushing the river / My equal / Moving in slowly / Taking me over / You can't push the river". Mit der Länge von nur einer Minute und achtundvierzig Sekunden schenkt das Akustikstück "Salt Water" den Hörern den synästhetischen, Beach-Boys-reminiszenten Geschmack des Meeres.

Alles mündet in einen gewaltigen Epilog. Über fast sieben Minuten schwebt und wirbelt "Now Everything" in hymnische Höhen. Dorthin, wo Lieder wie "Champagne Supernova" von Oasis oder "Bittersweet Symphony" von The Verve erklingen.

Trackliste

  1. 1. Kingdom Of Ours
  2. 2. We Are Love
  3. 3. Many A Day A Heartache
  4. 4. For The Girls
  5. 5. You Can't Push The River
  6. 6. Deeper And Deeper
  7. 7. Appetite
  8. 8. Salt Water
  9. 9. Out On Our Own
  10. 10. Glad You Grabbed Me
  11. 11. Now Everything

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