laut.de-Kritik
Der Pub-Poet bittet zum finalen Absacker.
Review von Karim Chughtai"The world is outside but inside warm. Inside informal, outside stormy, inside normal". Unter verwirbelten 8-Bit-Sounds bringt Mike Skinner in transformierter Roboterstimme den eröffnenden Toast auf sein Finalwerk aus. Der Pub-Poet macht den Laden dicht. Noch eine letzte Lokalrunde, um die vergangene Dekade gebührend zu verabschieden. Ob es den geneigten Fan fröhlich oder tieftraurig stimmt: Es handelt sich nicht nur um den Schlussstreich, sondern womöglich sogar um das vollkommenste der insgesamt fünf Alben, die Mike Skinner in seiner Laufzeit ausschenkte.
Obwohl bereits seit einem Jahr fertiggestellt, verzögerte das Label den Veröffentlichungstermin, um mehr Hype darum zu generieren. Für den missverstandenen Birminghamer hat das zur Folge, dass er das Album längst nicht mehr als ein Teil seiner selbst betrachtet. Es sei inzwischen Gegenstand seiner Vergangenheit. Es wartete ein Jahr darauf, befreit zu werden. Vier Songs erschienen bereits exklusiv auf Twitter.
"Computers And Friends" schöpft noch einmal aus der gesamten Bandbreite von The Streets. Vom energiestrotzenden, cluborientierten "Original Pirate Material" bis zum hörbar gealterten, textlich brillanten "Everything Is Borrowed". Vom Muskeln-Anspannen über die persönliche Beichte bis zur erlangten Reife und feucht-fröhlichen Dance-Ausschweifung. Mit einem Augenzwinkern - und zugleich mit einem tiefen Seufzer.
Gewohnt smart, wahnwitzig, selbstreflexiv, authentisch, stellenweise auch berührend lässt sich Skinner über die moderne Gesellschaft aus, deren Abhängigkeit zur Technologie sich regelmäßig in der schleichenden Besitzerübernahme des Alltags äußert. Sowohl kritisch - in zwischenmenschlichen Beziehungsfragen ("You can't google the solution to peoples' feelings", "Puzzled By People") - als auch fasziniert - wie beim ersten Ultraschall-Anblick seines Kindes ("A blip on a screen. You don't know me. I think about you. And what you'll grow to be. I fix and I plan, but this is just mad. I love you. You're only a 100 pixels on a scan", "Blip On A Screen").
Auch die Kanalisation aller erdenklichen Gefühlsäußerungen als artikulierte Statusmeldung in den sozialen Netzwerken findet im Facebook-Song "OMG" Aufmerksamkeit, wo eine geänderte virtuelle Statusanzeige ihn die wahre Realität verzerrt wahrnehmen lässt. "Looked at your status. 'In a relationship'. 'In a relationship'. An earthquake hit me (Oi!)" ... "Now if you look at my status, I'm in a relationship too ... with you".
Während "Soldiers" als Protest-Hymne und Huldigung an die hungrigen Festivalmassen dient ("80.000 people in a state of rowdy fever. There will never be a sequel to this evening"), warnt etwa der Opener "Outside Inside" davor, viel zu viel zu kiffen, ohne dabei Produktivität an den Tag zu legen ("wake up and smell the coffee"). Klingt ungewohnt brav, abgeschworen hat der Vorzeige-Engländer seinen Lastern jedoch nicht ansatzweise, wie "Those Who Don't Know" ungeniert ausplaudert.
Feuchte Augen bekommt "Computers And Blues" in der Ballade "We Can Never Be Friends" ("Saying I love you forever won't hold us together. A dove and a feather won't better our love. Or recover us ever") oder der Berichterstattung seines Krankenhausaufenthaltes "Trying To Kill M.E." ("The thing that I love most is trying to kill me"). Als Gegenzug darf dafür Mike Skinners Prollseite über die Faszination einer Schlägerei ("Going Through Hell") sinnieren und sich zudem auch klare Tanzflächentauglichkeit zuschreiben ("Trust Me", "ABC", "Those That Don't Know" oder "Roof Of Your Car").
Wieder einmal stellt der britische MC in den 43 Minuten sein Reimtalent mit geistreicherem Wortwitz, bedachtem Inhalt und persönlichem Storytelling unter Beweis. Nicht ganz so philosophisch schleppend, wie in seinem Vorgängeralbum, das, wenn überhaupt den einzigen winzigen Fehltritt markierte. Trotzdem klingt er jetzt wieder frischer, liebenswerter, stellenweise schäbig und nach wie vor innovativ. Zu keiner Zeit abgedroschen oder annähernd banal. Das gilt auch für die Produktion.
Ob Saxophon-Funk auf Shuffle-Beats ("Outside Inside"), '99 Problems'-Gitarren ("Going Through Hell"), süße Arpeggios ("Roof Of Your Car"), Uptempo-Piano-Chords ("Without A Blink", "Those That Don't Know"), Grime-Drum'n'Bass-Ausflüge ("ABC") oder Funky Breaks ("Trust Me") - The Streets alleine als die Fusion von Hip Hop und Garage zu handeln, ist längst überholt.
Ganz egal, wie man sein Aufmischen der urbanen britischen Musikszene betrachtet, als kalkulierte Naivität, poetische Kunst oder ironischem Seitenhieb, der 'Brummie' blieb sich stets treu. Jetzt verlässt er die Bühne genauso wie er sie betrat: mit einem Knall. Über hausgemachte Bedroom-Beats redet er darüber, was ihn beschäftigt.
Irgendwie verständlich, einen Schlussstrich unter seine Karriere (als The Streets!) zu ziehen und neue kreative Pfade zu beschreiten (angeblich Film und TV), lautete das Credo des Engländers doch stets: "Let's Push Things Forward". Den Fans erzählt das Finale des Albums "Lock The Locks" ausführlich von ihm als scheidenden Angestellten, der seine Sachen packt und den Schreibtisch räumt, der jetzt einfach gehen muss.
"I had a funny dream and I came to screaming. That I was in a funny house but it was kind of mine. And I was with you only it wasn't you. It happened in the past but it was somehow now. / It put it into focus, things became clear. I had to plan something I handed in my notice. Even though to most it looked random. My heart had left I was just going in tandem. / I smoked one too many cigarettes. I heard one too many lies. And I've gambled on too many bets. I lost it all to this life. I'm packing up my desk I've put it into boxes (... to this life). Knock out the lights, lock the locks and leave".
Insgesamt ein durch und durch würdiger Ausstand. "Computers And Blues" besitzt sicherlich ein paar Schwachstellen, bietet aber eben ein Vielfaches an Qualität. Vielleicht ein leicht überschwänglicher Abschied, der sich wie die Kritik zum "Album Of The Year" liest - aber ein bisschen sentimental darf man doch werden.
Letzte Runde. Die Kneipe hat geschlossen. Ausschankende. The Streets, I salute you. Auch für diesen letzten, gelungenen Absacker. Oi!
[Einen kompletten Albumstream bietet der Guardian online.
Den interaktiven Film als Viral/Trailer/Teaser gibts hier. D. Red.]
6 Kommentare
Noch mal ein gelungener Abschied, auch wenn es schade ist.
Gelungen auf jeden Fall, reißt mich aber noch nicht derart vom Hocker wie erwartet. Kommt sicher noch. TV und Film? Hoffe er wird dennoch irgendwie musikalisch ab und an was hören lassen..
Gute Review im übrigen! Punkte gehen auch klar.
Und mir ist zum ersten mal aufgefallen, dass das Logo ein Feuerzeug ist...
Gefällt mir nicht, das Album. Find's ehrlich gesagt noch schwächer als "everything is just borrowed", da waren immerhin noch 4 ganz gute Songs drauf. Insgesamt war das Zeug, das Skinner zwischendurch für lau auf seiner Homepage gepostet hat, besser als das Album jetzt.
Naja, so muss ich "the streets" immerhin nicht groß nachtrauern, hat also auch was gutes.
Album gefällt mir gut, nicht das beste, aber definitiv ein würdiger Abschied. Skinners Dialekt zusammen mit dem Sound wird mir sicher fehlen.