laut.de-Kritik
Die Jahre des Tohuwabohus liegen hinter ihr.
Review von Sven KabelitzDer Himmel liegt hinter uns. Ganze fünf Jahre. Damals schien Emeli Sandé mit ihrem Hit "Heaven" und dem 2012 folgenden Album "Our Version Of Events" allgegenwärtig. Dem Song, der mit seinen pompösen Streichern und seinem "Funky Drummer"-Sample wie eine hochgepitsche Version von Massive Attacks "Unfinished Sympathy" wirkte. Eine Ästhetik, die in den folgenden Jahren viele Epigonen nach sich zog.
Ihr Debüt hielt sich ganze 132 Wochen in den britischen Charts. In Deutschland reichte es immerhin für 60 Wochen. Nebenbei schnappte sie sich "Our Version Of Events" den alten Beatles-Rekord, die zuvor mit "Please Please Me" den Longplayer stellten, der sich am längsten in aufeinander folgenden Wochen in den Top 10 festkrallte. Nun erscheint mit "Long Live The Angels" der Nachfolger.
Zwischen den beiden Alben liegen Jahre des persönlichen Tohuwabohus. Die Ehe mit der Jugendliebe scheiterte nach nur einem Jahr. Dazu kam das ewige Ringen mit Erfolg und der daraus resultierenden Aufmerksamkeit. Beides führte zu einem zeitweise kompletten Rückzug aus der Öffentlichkeit. "Klingt ein bisschen dramatisch, aber ich wollte einfach nur verschwinden", erklärt Sandé. "Ich hatte diesen überwältigenden Erfolg und die Erkenntnis, dass das alles aufhören musste. Und dann tat es das langsam auch."
Nun ist die Schottin zurück und so viel hat sich auf den ersten Blick nicht verändert. Zwar bezieht sie sich in einigen Songs auf ihre Sambia-Wurzeln ("Selah", "Tenderly"), doch der gemeine Adele-Hörer muss keine Angst haben, hier sonderlich vor den Kopf gestoßen zu werden. Energische Stücke in alter "Heaven"-Tradition ("Hurts") gehen Hand in Hand mit auf die Tränendrüse drückenden Balladen ("Shakes"). Vor die Nummer eins der Charts hat der liebe Gott nun mal die Nummer sicher gesetzt.
Die größte Überraschung bleibt, welche Reise der jeweilige Track nach dem sich immer wiederholenden Start einschlägt. Bis auf "Every Single Little Piece" beginnt jedes Stück vor einer intimen Kulisse. Emeli alleine zu Klavier, Gitarre oder Chor. Von dort aus gibt es die Varianten Ballade oder radiofreundlicher Soul-Pop.
"My God, I'm breathing underwater / Something like freedom, freedom", singt Sandé im Gospel "Breathing Underwater". Ein lauter Ruf nach Freiheit, bei dem ein weiteres Massive Attack-Stück, diesmal mit "Teardrop", als Inspiration hergehalten hat. Der meditative Hai-"Happen"-Uhaha lebt von Philip Leighs pointiert eingesetzter E-Gitarre.
Mit vor Schmerz und Zorn zitternder Stimme führt die Sängerin durch "Hurts". "Baby, I'm not made of stone, it hurts". Eine wütende Trennungs-Hymne, mit dem zweitbesten Händeklatschen des Jahres (die Poleposition geht weiterhin an Michael Kiwanukas „Black Man In A White World") und herrlich überladenem James Bond-Arrangement voll Geigen und Bläsern. "Das ganze Album handelt ja davon, dass ich nichts mehr zurückhalte, mich nicht länger selbst zensiere – und 'Hurts' war wie eine Explosion! Das ist einfach mal Klartext."
Den einzigen wirklichen Bruch zum Vorgänger birgt jedoch "Garden". Vier eiskalte Minuten düsterer, schleppender Neo-Soul, harter Hip Hop-Beat, mit Jay Electronica und Áine Zion aufgenommen. Eine unbequeme Herausforderung in seiner von Zucker überzogenen Umgebung. Der spannendste Tack auf "Long Lives The Angles" könnte in eine weitaus spannendere Zukunft für Emeli Sandé führen. "Once outside these prison walls, to believe again is scary / Your garden is my sanctuary."
4 Kommentare
Gestern Garden gehört und für geil befunden. Der Rest ist vermutlich wieder radiotaugliches Popfutter. Sie sollte sich wirklich an Garden halten. Oder an Jay Electronica, wie man will.
Großartiges Album, das viel zu wenig Beachtung bekommen hat.
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Großartiges Album, jeder Track ist ein Meisterwerk, mein Favorit ist "Hurts".
5/5