laut.de-Kritik
Die wohl beste The Cure-Hommage auf Deutsch.
Review von Toni HennigIn den mehr als sieben Jahren nach dem hochgelobten Album "Vom Feuer Der Gaben" hat sich die Atmosphäre in unserer Gesellschaft merklich verdüstert. An Sänger und Gitarrist Tobias Siebert, der mit seinem Einmannorchester And The Golden Choir eher auf Opulenz setzt, geht diese besorgniserregende Entwicklung nicht spurlos vorüber.
Auf "Desintegration" greift seine zum Trio geschrumpfte Band Klez.e die dunkle Ästhetik von The Cure auf und zeigt die Berliner zusätzlich von einer ungewohnt sozialkritischen Seite. Mit dem großartigen Opener "Mauern" singt der in Ostberlin aufgewachsene Sänger über die Sehnsucht nach einem besseren Leben jenseits des eisernen Vorgangs und schlägt die Brücke zum aufkommenden Nationalismus in jüngster Zeit, der als "ein Licht aus hohler Emotion" auf der Platte für den Zerfall des sozialen Gespürs Elements in unserer Bevölkerung steht.
Das monotone Drumspiel von Filip Pampuch kommt dabei nur schwerlich vorwärts. Daniel Moheits lethargischer Bass kennt nur die Farben Grau und nochmals Grau. Das Keyboard liefert dazu reduzierte, wavige Akzente. Sieberts Gitarre dengelt so stoisch und benommen vor sich hin, dass man sich in die Zeit der Frühwerke "Faith" (1981) und "Pornography" (1982) der britischen Wave/Gothic-Ikonen The Cure zurückversetzt fühlt.
Folglich begräbt er mit der Zeile "so tropft mein Herz in's Feuer für dich" nicht nur die Liebe, sondern erstickt jeden Funken besinnlicher Nostalgie in "Flammen". In "Schwarz" verlangt Siebert schmerzerfüllt nach "Antidepressiva", um sich selbst nicht mehr spüren zu müssen. Drogen verabreicht man den Menschen in "Lobbyist" schon längst unter staatlicher Obhut. Eine zutiefst beunruhigende Vision, die "Desintegration" hier malt. Wenn Kinder in zerstörten Kriegstrümmern spielen, weil "Drohnen" im Regen nicht fliegen, kann man dies lyrisch als den optimistischsten Moment der Platte bezeichnen.
Das Album fordert in seiner Unbehaglichkeit die Auseinandersetzung heraus. Man kann es kaum nebenher hören. Eindringlich überragende Bilder erschafft Siebert in jedem einzelnen dieser acht Songs, die mitunter Passagen von Blumfeld zitieren ("Gebt mir meine Dosis" in "Lobbyist").
In "Nachtfahrt" bricht das Dreiergespann für einem kurzen Moment aus der Post-Punk-Tristesse aus, wenn der Song in der schlagerhaften "Schicksalsmelodie" von "Love Story" mündet. Zu dem wütenden Text über Kriege und Staatsintrigen schießt dieser hymnische Schlenker trotzdem nicht übers Ziel hinaus. Die Doppelbödigkeit des Arrangements versteht es, vergleichbar mit Mutters "Hauptsache Musik" (1994), die Ernsthaftigkeit der Worte aufzulockern.
Den Höhepunkt der Platte bildet "November", eine Bestandsaufnahme in sieben Minuten. "So kalt, arrogant, wir erleben eine neue Distanz" beschreibt Siebert das Auseinanderdriften menschlicher Wert- und Moralvorstellungen, während zu nebelverhangenen Orgelklängen und filigranem Gitarrenspiel Populisten à la Pegida und AfD Ängste im Volk säen.
"Es ist spät, die Welt in Wehen, November 2015" bezieht sich auf die Anschläge im Pariser Bataclan am Freitag, den 13., als der Terror endgültig die westlichen Lebensgewohnheiten erreicht hatte. "Ich weiß nicht, was das verspricht" reflektiert er seine Ohnmacht angesichts der Ereignisse. Die lange Instrumentalpassage am Ende, eine melodische Hommage an The Cures "Prayers For Rain" vom 89er-Album "Disintegration", zeichnet das Bild des Aufbruchs in eine noch ungewisse Zukunft.
Unabhängig vom inhaltlichen Anspruch agieren Klez.e so erhaben wie die Kajaltruppe aus UK zu Zeiten des Mauerfalls nicht mehr, als Robert Smith aus seiner überwundenen Depression heraus für viele Menschen in Ostdeutschland den Soundtrack für eine neue Zeitrechnung liefern sollte.
So eben auch für einen gewissen Tobias Siebert, der mit dieser so treffsicheren gesellschaftlichen Zustandsbeschreibung vor einer Idealisierung der Vergangenheit in Zeiten Donald Trumps warnt. Und trotzdem kann man sich von der schwermütigen Grundstimmung auf "Desintegration" wunderbar davontragen lassen.
5 Kommentare mit 6 Antworten
Endlich mal wieder was was mich interessiert auf laut.de...
Super Album, wütender als "Vom Feuer der Gaben", die Cure Einflüsse sind unüberhörbar, die Stimmung zieht sich von vorne bis hinten durch. Die Vorab veröffentlichten Tracks 'Mauern' und 'Flammen' bleiben für mich die stärksten Songs auf dem Album.
Final fehlt mir vielleicht ein bisschen die Abwechslung, insgesamt aber ein sehr gelungenes Comeback, ne gute 4/5 geht für meinen Geschmack in Ordnung.
Eine der wenigen Ausnahmen, da ich deutschsprachige Musik persönlich nicht so sehr schätze.
Hab mich mit deutschsprachiger musik unterhalten und sie schätzen dich auch nicht
Du erzählst mir nichts neues.
Wundervolle "Pornography"-Hommage, bester Song "November", Hennig ist ein Ehrenmann!
"Hennig ist ein Ehrenmann!"
Vor allem, wenn er nichts schreibt.
In meinen Ohren eher eine The Cure Coverband als eine Hommage. Mehr als 2/5 sind da nicht drin.
Die ersten zwei Songs sind absolute Knaller. Aber dann geht's etwas bergab. Oder?
So hab ich es anfangs empfunden, aber nach ein paar Durchgängen finde ich es danach ähnlich spannend. Mauern und Flammen sind einfach am eingängigsten.
Mauern und Flammen klingen nach "Disintegration" von The Cure, der Rest dagegen nicht. Vielleicht liegt's daran.
Fand sie live (Freiburg) sehr gut, aber viele Stücke funktionieren zu Hause nicht mehr so gut. Besonders den Gesang (z.B. Chorus von "Lobbyist") finde ich stellenweise sehr anstrengend. Und ja, natürlich klingt das Album von vorne bis hinten stark nach The Cure. Lustigerweise aber überhaupt nicht nach der namensgebenden "Disintegration", sondern der sich in tristem Grau suhlenden und bereits oben genannten "Faith".