Pop-Geschichte in Köln: Die Amerikaner trotzen der Rekordhitze showbusinesslike - mit viel Wasser und einigen Hits.

Köln (mis) - In den 70er Jahren gefeiert, die 80er dann mit Ach und Krach überstanden und zur Belohnung heute hofiert von mehreren Generationen: So ähnlich verlief auch die Karriere von Iggy Pop, der gestern im Tanzbrunnen gastierte, vor allem aber von den Sparks. Der Hype der letzten Jahre wiederum zeigt sich auch in Köln.

Das Konzert wurde vom Gloria Theater in die Live Music Hall hochverlegt. Atmosphärisch sicherlich kein Upgrade, die 37-Grad-Gluthitze tut ihr Übriges. Doch wer mag lamentieren, Ron und Russell Mael schauten zuletzt häufiger in Japan vorbei als in Österreich, der Schweiz und deutschen Städten, die nicht Berlin heißen. Auf einem 30 Jahre alten Tour-Shirt eines Anwesenden ist abzulesen, dass das nicht immer so war.

Textilien aus den 90ern bei 37 Grad

Einige jüngere Neugierige stolperten ganz offenbar über die tolle Band-Doku "The Sparks Brothers", das Gros des Publikums ist aber erwartungsgemäß um die 50, verfolgt das Duo schon länger und trägt dies auch zur Schau. Zwischen all den Connaisseuren erblickt man Textilien der Pet Shop Boys und Yazoo, Köln wünscht sich offenbar die elektronische Sparks-Phase. 37 Grad also, keine Vorband, die Security lässt bis 20:30 Uhr großzügig zwei Tore auf Bühnenhöhe geöffnet, und man erahnt so etwas wie Frischluft, während einem das Getränk wegverdunstet.

"Das sind wirklich keine Temperaturen für einen Konzertabend", wird Sänger Russell Mael später sagen, und als die Hallentore pünktlich zum Intro geschlossen werden, denkt man eigentlich nur noch darüber nach, wie zwei Musiker mit 76 und 79 Jahren in dieser Synthie-Sauna 110 Minuten unbeschadet überstehen sollen. Etwaige Qualitätseinbußen oder gar ein Kürzen der Setlist sind im Konzept der Showbusiness-Experten aus L.A. jedoch nicht vorgesehen.

Mächtiger Bühnensound

Zum majestätischen Musical-Opener "So May We Start" begrüßen sie ihr Publikum, nicht oben ohne wie Iggy, sondern mit langärmligem Oberhemd und in Russells Fall zusätzlich mit Jackett. Es folgt der neue, sehr druckvolle Song "Do Things My Own Way", sowas wie die Kurzformel ihrer kompletten Karriere, und der grandiose Oldie "Reinforcements".

Zwar sind die Zeiten, in denen Sparks ohne Gitarristen tourten, lange vorbei, doch der Livesound ist mächtig - auch bei den elektronischen Nummern. Hier schnallt sich einer der beiden Gitarristen einfach sein Instrument ab, tanzt und konzentriert sich auf den Backgroundgesang. Was Sparks von gleichaltrigen Bands wie Iggy oder AC/DC unterscheidet: Sie spielen nicht einfach alle Hits, sondern picken sich aus ihrem reichhaltigen Katalog selbst obskurste Nummern raus und lassen dafür lieber Singles liegen.

Kreislauf? Von wegen!

Die Frage ist nur, ob es zufällig die Songs sind, die man schon immer mal live hören wollte. Das trifft sicherlich auf das technoide "Academy Award Performance" von 1979 zu, das Russell die Gelegenheit gibt, auf den damaligen Produzenten Giorgio Moroder hinzuweisen, "a fake German or fake Italian". Es kann aber auch komplett daneben gehen: "Goofing Off" ist einer der schlechteren Songs von "Introducing Sparks". Nicht auszudenken, wenn sie von diesem Album "Forever Young" oder "Those Mysteries" gebracht hätten.

Als der wie immer stoische dreinblickende Ron Mael sich mitten im Set hinter seinem "Ronald"-Keyboard erhebt und die Bühne verlässt, befürchtet man schon eine herannahende Kreislaufproblematik, doch der Sparks-Chefsongwriter meldete nur ein technisches Problem. Bei "Suburban Homeboy" lässt er sich sogar als Sänger feiern, präsentiert den Text als Spoken-Word, bis Russell das Ende des Songs übernimmt. Auch Rons bereits legendäre Tanzeinlage vor seinem Keyboard fehlt in Köln nicht. Handtücher und Wasserflaschen natürlich stets griffbereit.

Unfassbare Tonhöhen

Wozu Russell selbst in wetterbedingten Ausnahmesituationen stimmlich imstande ist, konnte man wahrscheinlich nie besser beobachten als gestern. Dachte man bislang, der Glam-Hit "This Town Ain't Big Enough For Both Of Us" sei für einen 76-Jährigen einfach nicht mehr machbar, legte der Mann noch einen drauf: In "Academy Award Performance" und "The Number One Song in Heaven" meisterte er Tonhöhen, die für Normalsterbliche einfach nicht mehr gesund sein können. Im ersten Drittel setzte er sogar noch hier und da zum Ausfallschritt an.

Das Kölner Publikum dankte es mit tosendem Beifall, der auch den schönen Nebeneffekt hatte, dass man in diesem kurzen Moment mal nicht die komplett nassen Arme der Umstehenden berühren musste. Ein Sparks-Konzert ohne "When Do I Get To Sing 'My Way'" wäre vor allem in Deutschland undenkbar, die Antwort auf die im Song gestellte Frage ist sowieso längst klar, entsprechend euphorisch feiert man dieses "My Way" ihres Katalogs. "Diesmal keine Tassen?", dürfte damit so ziemlich die einzige Frage gewesen sein, gestellt am Merchandise-Stand der Band, die an diesem Abend nicht die gewünschte Antwort erhielt.

Setlist:

  1. So May We Start
  2. Do Things My Own Way
  3. Reinforcements
  4. Academy Award Performance
  5. Goofing Off
  6. Beat The Clock
  7. Please Don’t Fuck Up My World
  8. Running Up A Tab At The Hotel For The Fab
  9. Suburban Homeboy
  10. Drowned In A Sea Of Tears
  11. JanSport Backpack
  12. Music That You Can Dance To
  13. When Do I Get To Sing 'My Way'
  14. The Number One Song in Heaven
  15. This Town Ain't Big Enough For Both Of Us
  16. Whippings And Apologies
  17. Lord Have Mercy

Zugabe:

  1. The Girl Is Crying In Her Latte
  2. All That

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1 Kommentar mit 6 Antworten

  • Vor 20 Stunden

    Ja, exzellenter Gig... Die beiden verjüngen sich einfach spontan um 30 Jahre, sobald der erste Takt beginnt.

    Für meinen Geschmack zu viele regungslos herumstehende alte Männer in Publikum. Zuletzt im Mojo Club Hamburg war mehr Begeisterung zu spüren, und es versammelten sich Weirdoes aller Altersstufen und Nationalitäten. Wirkte auch nicht so, als habe das irgendwas mit der Doku zu tun gehabt, denn da wurde textsicher mitgesunden.

    Als gestern dann mal "No. 1 Song in Heaven" und "When Do I Get To Sing..." liefen, hat auch das Boomer-Publikum endlich reagiert, und die Hütte brannte. Tut mir leid für die Maels, dass ihr eigentlich besseres Material nie so ankommt wie diese beiden alten Eisbrecher in Germany. Aber sie haben den Jubel einfach verdient. Ich hoffe, sie bleiben noch ein paar Jahre aktiv auf Tour! ♥

    • Vor 20 Stunden

      Dieser Kommentar wurde vor 20 Stunden durch den Autor entfernt.

    • Vor 20 Stunden

      Ach ja: "Goofing Off" ist ein richtig geiler Deep Cut gewesen. Der Song hatte schon auf Platte eines der geilsten Gitarrensoli aller Zeiten, und der heutige Gitarrist hat dem alle Ehre erwiesen. Außerdem eine schone kleine Hommage an die polnisch-russisch-jüdische Herkunft ihrer Eltern. Hatte mich sehr gefreut, den gestern zu hören.

    • Vor 18 Stunden

      Ich glaube zum Tanzen war die LMH weder die richtige Location, noch war es das richtige Wetter. Da hat das Mojo meiner Meinung nach andere Grundvoraussetzungen. Es klingt so, als hättest du Auslandserfahrungen mit Sparks-Gigs, würde mich jedenfalls interessieren, ob ihr Publikum in Frankreich oder anderswo nicht auch mit der Band mitgewachsen ist (Stichwort Boomer-Publikum). Bei den beatlastigen Nummern war das Publikum eigentlich ganz gut dabei. Finde es ehrlich gesagt Gigs auch immer angenehmer, wenn das Publikum nicht jeden Song mitklatscht, obwohl Russell genau dazu pausenlos animiert :)

    • Vor 11 Stunden

      War in London und Paris, ebenso vorwiegend die meistgetragene Haarfarbe grau, aber die ersten 3 Reihen sind eigentlich immer stabil was Tanzen und den Enthusiasmus betrifft. Fand es trotz der Hitze sehr sehr gut. In der ersten Reihe war jemand 15 Jahre jung und es war ihr erstes Konzert jemals.Der Nachwuchs ist gesichert. Immer gut wenn nicht alles bestuhlt ist. In Paris war das echt schwierig die Leute zu animieren “aufzustehen” Sparks sind zwar immer Mega professionell aber man merkt eben schon wann es ihnen auch richtig Spaß macht. Dem Author des Textes sei gesagt es fehlte ein Song der bei allen anderen Konzerten 2025 bisher dabei war. ‘All you ever think about is Sex’ das war dann vermutlich der Hitze geschuldet.

    • Vor einer Stunde

      @Wime101 Habe ich mir auch gedacht mit Paris. Wenn sie sogar bestuhlte Konzerte geben, könnten sie ihre Dance-Songs gleich ganz weglassen. So eine Location würde mich nicht reizen. Danke für die Info mit "All I Ever ...", ich konnte mich an den Song tatsächlich auch nicht erinnern. Weil die Tour-Setlist aber immer gleich war, dachte ich, ich hätte den Song in der Hitze womöglich weghalluziniert ...

    • Vor einer Sekunde

      Ist sehr oft standard in Frankreich, bestuhlte Konzerte - auch bei Pop-Acts.