laut.de-Kritik
Aus der Kirche in die Clubs: Das Debüt der 'Queen of House'.
Review von Philipp KauseAdeva nutzt ihre Social Media-Kanäle nur selten. Instagram hat sie abgeschaltet, auf Facebook gab's kürzlich ein Lebenszeichen: Die House-Sängerin verabschiedete sich von Sinéad O'Connor. Die beiden verbindet ein Stück Plastik, eine alte Promo-Single, mit Adevas "Respect" auf der A- und "Nothing Compares To You" auf der B-Seite. 'Single' ist für das Album "Adeva!" ein gutes Stichwort. Acht der zehn Tracks waren verdienter Maßen als Singles auf dem Markt.
Privat war sie als Alleinerziehende selbst irgendwie 'Single', reichlich grounded to the earth. Die damals 28-jährige Psychologin, Musiklehrerin und Kirchenchorleiterin Patricia Daniels, genannt Adeva - A Diva, kam so divenhaft gar nicht rüber. In den Texten des Albums spiegelt sich die ewige Suche nach 'Mister Right' in Treueschwüren ("Promises"), Komplimenten für gute Partnerschaften ("I Thank You"), Schweben im siebten Himmel ("Beautiful Love"), Kritik an Lügen und schlechtem Trennungsverhalten ("Warning!") und im Einfordern von Wertschätzung ("Treat Me Right", "Respect").
Trotz der nahbaren Inhalte war die Plattenfirma bestrebt, die junge Sängerin in Videoclips, auf Promo-Fotos und Plattencovern eher distanziert, hart, unnahbar in Szene zu setzen und eine Art zweite Grace Jones abzubilden. Lassen wir uns davon nicht blenden. Adeva ist eine bodenständige, humorvolle Person, die einfach Spaß am Singen und Anfeuern des Publikums hatte - und die wusste, dass sie verdammt gut singen kann.
Nur wenige beherrschen ihre stimmliche range, also die Spannbreite ihrer Tonleitern. Eine klitzekleine Schar an Sängerinnen und Sängern in der Pop-Geschichte legte so viel Ausdruck in je!de! Sil!be. Adeva gehört zu den ganz großen Vokal-Akrobat*innen, in eine Reihe mit Prince, Whitney Houston und Joe Cocker, und sie setzte ihr Können für die neue elektronische Musik ein, mit der sie aufwuchs, die sie liebte: den Acid-House, der im Fahrwasser von Disco als Underground-Strömung schon zwölf Jahre lang köchelte, bevor "Adeva!" rauskam.
Die mitreißende Performerin betrat Pionier-Pfade in ihrem Genre, führte die Musik vom Garage House (benannt nach der New Yorker Diskothek Paradise Garage zwischen Hudson und Houston Street) in eine mit Soul, R'n'B und Gospel versetzte eigenwillige Mischung, die für ein paar Jahre mit vielen Hits für sie und andere Genre-Vertreter blühte: Die Welle schwappte von den USA über London in die BeNeLux, zu uns und nach Italien.
"Musical Freedom" referiert am meisten auf (jenen) Soul in den Vocals und auf Detroit Techno entlang knallharter Beats. "Hände hoch in die Luft" heißt's in diesem melancholisch gefärbten Party-Celebration-Lied. "Free at last", fordert ein Martin Luther King-Sample. Adeva macht die Rede tanzbar, arbeitet sich in klirrende Höhen empor, umschmeichelt von Kunst-Geigen, Vibraphon-Samples und -Tremoli - insgesamt eine sehr gute und wirkungsvolle Konstruktion! Adeva handelte sich den Titel 'Queen of House' ein. Doch was war House im August 1989, als diese Platte erschien?
Ein Quantensprung in der Entwicklung elektronischer Musik geschah, als sie sich in den Dienst der 'Black' Music, der Blue Notes und Offbeats stellte. Dies trug sich bereits im Disco-Underground von New York zu, ab 1976/77, und besonders progressiv im Warehouse von Chicago. Dieser Club bestand nur zehn Jahre lang, doch er definierte House und gab dem Genre seinen Namen. Der erste DJ dieses legendären "Lagerhauses" machte sich die jamaikanische Technik des Live-Dubbens zunutze, schnitt tanzbare Takte auf einem Kassetten-Recorder, während er auflegte. Dabei reagierte er direkt auf das Publikum. Sein Name lässt bis heute Fans ekstatischer Club Music erstrahlen und prägt auch das Album "Adeva!" ganz gewaltig, ohne dass er aktiv mit mischte: Frankie Knuckles!
Aus den Impulsen von Chicago Warehouse und Detroit Techno metamorphisierte sich auf afroamerikanischen Rhythmusmustern Acid-House mit hüpfenden, hypnotischen Keyboard-Grooves, die in den Refrains wellenförmig und flächig ausgerollt wurden - kristallklar heraus zu hören in "Warning!". Dafür arbeitete Adeva mit einer weiteren Produzenten-Legende dieses Klangkosmos: Tony Humphries. Gleichzeitig pflegte diese neue Musik die Euphorie der Disco-Mode von '77 und ihre Menschen verbindenden Messages. Und dann gab es da noch ein paar stilprägende Merkmale: Dschungel-Percussion, elektronisch erzeugt, aber in der Klangfarbe von Congas, vermischt mit Computerspiel-artigen Sound-Schleifen und völlig überdreht wirkenden Saxophon-Patterns. Für dieses Muster steht "Promises" als perfektes Beispiel.
In der Chronologie der Aufnahmen legte "In + Out Of My Life" den Grundstein: einer der schönsten Adeva-Tracks, an dem sie selbst mit schrieb, was für die Entstehung von Dance-Hits ja eher unüblich ist. Ungebremste Adrenalin-Ausschüttung trifft auf Adevas Chor-erprobte professionelle Atemtechnik, und in diesem absolut tanztauglichen Tune über eine Trennung baut sie so richtig das Drama auf und ab, dass es eine Katharsis wie in einem guten Thriller ergibt. Was die Sängerin klar stellte: Ihr Ding war's zwar, Clubs zu beschallen, aber nie unter dem Niveau der Kirchengemäuer, in denen sie als Kind und Jugendliche geträllert hatte.
Auf Vinyl und Kassette der Opener der B-Seite, auf CD mittendrin: "Warning!" Dabei nutzte die Entertainerin diesen Kult-House-Hit gerne als Einstieg in ihre Konzerte, feuerte damit einen Warnschuss, weil die Nummer so mit Bewegungsenergie aufgestaut ist, dass unweigerlich alles zuckt und sich die Tanzfläche füllt. Das Lied passte genau in die Ära von Blackbox' "Ride On Time", Snap!s "The Power" und C+C Music Factorys "Gonna Make You Sweat".
Dabei enthält gerade Adevas Nummer eigentlich keine positive Aussage, sondern ist bei genauem Hinhören ein Anti-Stalking-Lied: "Come on boy, stay away from my door / Please stay away from me, My final warning is to you (...) This is a warning, red alert emergency!" - Zu dieser Songvorlage konzentrieren sich die verschiedenen Remix-Versionen auf unterschiedliche Teil-Elemente und kehren die Aspekte hervor, die in dem Lied stecken. Acht Mix-Edits gibt es, neben der Single- und der Albumfassung. Die aktuellste Auflage von "Ultimate Adeva", ein 4CD-Box-Set mit 46 Bonus-Tracks vom Mai 2020, enthält fast alles. Der "Warning! Dub Mix" fokussiert sich auf die Kieks-Höhen im Gesang, isoliert das Kieksen sogar und zieht es prominent an den Anfang. Der sportliche "Warning! Serious Lies Mix" hebt die Zeile "This is - my last - my only - warning" hervor, die sich in Blöcke von je zwei Silben gliedert. Beatwise betrachtet, dürfte der Remix seinerzeit auf selbst bespielten Kassetten von Aerobic-Trainerinnen gelandet sein.
Fanfarenhafte Bläser-Stakkati markieren im "Warning! Final Warning Mix" die roten Linien, die Adeva im Text formuliert. Wie Speerwürfe mit dem Mund, so schleudert sie ihre letzte(n) Warnung(en) raus. Von sphärisch bis space'ig, die anderen Mixes erweitern die Palette. Das "Warning! Dubstrumental" zeigt 1989 übrigens eine Quelle auf, woher The Prodigy ihre Electro-Ideen gehabt haben mögen. Was alleine mit einem einzigen Stück bereits möglich war, steht für die spannende Reichhaltigkeit solcher "Adeva!"-Tracks.
Lediglich "So Right" und "I Don't Need You" legten keine Karriere als Single hin. Viele Longplayer gibt's nicht, die sich so sehr für Radio und Clubs ausschlachten ließen. "I Don't Need You" eignete sich gesanglich als Steilvorlage, um weiteren neuen Stimmen dieser Art den Weg zu ebnen, M Peoples Heather Small in England beispielsweise. In diesem besonderen Call and Response-Gesang gibt dieselbe Person die Stichworte und die Reaktionen darauf, nämlich Adeva. Sie fragt viel und schmettert selbst die Antworten dazu ins Mikro.
Soundtechnisch geht die Nummer Richtung Norman Cook, wobei das Auffallende an allen Tracks auf "Adeva!" war, dass sie zwar in New Jersey entstanden, aber sehr eng mit den europäischen Trends damals in Schwingung traten. "Beautiful Love" fällt etwas aus dem Rahmen der sonstigen Dance-Kracher heraus, greift auf Lighthouse Family, Cultured Pearls und den Trip Hop-Trend vor. In diesem Liebeslied verzehrt sich Adeva vor Hingabe im 'Siebten Himmel' schwebend. Von allen 80er-Midtempo-Balladen am Synth-Klavier: eine der entspanntesten und besten!
Ein wundervolles Remake von Otis Reddings "Respect", das seit Aretha Franklins Aufnahme eine Hymne der Emanzipation war, öffnete Adeva alle Pforten. Um wirklich zu merken, dass es sich hier um ein Cover des Sixties-Soul-Klassikers handelte, muss man Adevas "Respect" aber zwanzig Mal hören - um wirklich die Aretha-Nummer darin aufzuspüren: "Nichts davon klingt wie das Original, es ist viel mehr clubby-Sound. Eine Menge Leute haben nicht erkannt, dass es der Aretha-Titel ist, den ich aufgenommen habe", kommentiert Adeva damals in der englischen Zeitschrift 'Blues & Soul'. "Arethas Version ist mellow und laid-back, wohingegen meine ein 'go-out-and-get-it'-Feeling hat."
Die Wärme der Synth-Chords und die Beat-Elastizität dieses "Respect" machen bis heute viel von seinem Reiz aus. Im Grunde war ein neues Lied entstanden, was den wenigsten Coverversionen beschieden ist, und Adevas Team fügte neue Textzeilen ein, zum Beispiel "Come on, respect me when I'm cookin' / Come on, respect me when I'm cleanin' / Come on, respect me when I'm workin'." - Adeva verfolgt immer wieder in Zwischentönen einen emanzipatorischen Ansatz, über das prädestinierende Lied "Respect" hinaus. "Ich lass dich keine Spiele mit meinem Herzen spielen, "I not let you play no games with my heart", skandiert sie in "Promises", bäumt sich gegen bestechende Diamantenringe als Geschenk auf, röhrt aus der Tiefe ihrer Gurgel. Da sind die Saxophone ausnahmsweise fordernd statt lieblich, und der Keyboarder flitzt über die Casio-Tasten, als fielen sie automatisch wie Dominosteine. Der Extended Mix lässt der sich überschlagenden Percussion noch mehr Raum, für die das Wort 'hypnotisch' untertrieben ist.
Lustigster Cut der ganzen "Ultimate"-Box in Bezug auf Tech-Spielereien ist der "Beautiful Love - Dream Mix", der Adevas Silben im Shaker püriert und du-u-u-urch-ge-hä-ä-cks-x-s-s-selt wieder ausspuckt. Und im Truth Mix merkt man noch mehr von Adevas Trademark, ihren markigen Beiß-, Schnapp- und Kläff-Vocals. Der herausragenden Sängerin gesellte sich eine brillante Produktion an die Seite, zweifellos auch ein Grund für den Erfolg!
Den erwarb sich sie sich hierzulande vor allem mit "I Thank You": "You're giving me love / like a river overflowing / and joy, and happiness. / I thank you for showing me the way / I thank you for loving day by day." - Während sich verschiedenste Remixer auch an dieses Stück heran wagen, bildet es eine starke Grundlage für Variationen und Verlängerungen, ob mit Vocal-Zerhackstückung, Zippel-zappel-Percussion, Tischtennis-Drums, ausschweifende Intros oder Vibraphon-Imitat. "I Thank You" inspiriert zu zehn verschiedenen Edits, alle Fassungen zusammen bringen's auf weit über eine Stunde, vom "I Thank You (Somehouse Somewhere Mix)" bis zur berühmten, 1996 nachgereichten "I Thank You (Love To Infinity Edit)". So viel Dank ballt sich selten auf dem Dancefloor.
Die Vocals dieses Tracks blinken wie ein Leuchtturm über einen dunklen Tanzsaal. Sie aufzulegen bedeutet bei der souveränen Queen of House ähnlich wie bei der Queen of Funk Chaka Khan einen sicheren Höhepunkt. Adeva fährt in die Beine, räumt Müdigkeit aus dem Weg, lässt keine Zeit, Getränke zu holen oder auf die Toilette zu entschwinden. Ihr dominantes Organ weckt Interesse, durchfährt alles von Rückenmark bis Kniegelenk, Leerlauf kommt seltenst auf, Adeva heizt ein.
Ein Hauptgrund, wieso es mir so sehr Spaß machte, mich durch sechs Stunden Remixes durch zu hören und von Adeva auch unbedingt zum Debüt als Meilenstein-Wahl zu greifen, ist der charismatische Kläffer "Treat Me Right", der Gebrauchsanweisung für eine Partnerschaft. Seine eindringliche Hook kommt klar und schnörkellos um die Ecke, ein selbstsicheres Statement, ohne Drama Queen-Avancen, ohne Aufhebens durchzudringen. Dem Seitensprung-Lied merkt man in jeder gesungenen Note die jahrzehntelange Gospel-Erfahrung Adevas an.
Zum Glück ist Adeva auch heute noch gut bei Stimme und lässt die alten Songs aufleben. Ohne ihren Sound, bei dem immer wieder längere Taktstrecken dem Tasten-Geklimper wichen, gäbe es kein "Endless Summer" von Scooter, und viele Genres von Eurodance über Acid-Jazz bis Trip Hop dockten an der Musik von Adeva und ihren Produzenten unmittelbar an, übernahmen verschiedene Gestaltungsmittel, wurden zum Nachwuchs des Acid-House. Ein paar ähnliche Acts gab's an der Ostküste damals, doch von Charvoni Woodson ("Always There") bis Michelle und Martine, den Sängerinnen von Kraze ("Let's Play House"), zog niemand das Ding so konsequent durch wie 'Miss Respect'!
Mit dem Album "Adeva!" kletterte House auf seinen Peak, eine Art pubertäres Entwicklungs-Hoch, unverbraucht und mit frischer Energie, die sich (in meinen Ohren) zeitlos, berührend, frisch und erhebend anhört. Somit machte nie wieder jemand der Adeva ihren Titel "Queen of House" streitig, nachdem die Musikpresse damals kurz Vicky Martin zur "Queen of Deephouse" ausrief - doch die brachte es nie zu einem Longplayer. Adevas Debüt bleibt eine tanzbare Weggabelung in der Geschichte der elektronischen und soulvollen Musik.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
4 Kommentare mit 3 Antworten
Wenn irgendein Album aus den 80ern nicht in Würde gealtert ist, dann ist es diese Scheibe, die es auf jedem Flohmarkt für einen Euro gibt. Zu Recht, denn der Gesang und das Gedudel waren damals schon extrem anstrengend. Wenn Adeva tatsächlich die "Queen of House" sein soll, dann wäre House niemals so erfolgreich geworden. Word!
In der Rückschau kann ich nichts entdecken was sie zur "Queen of House" gemacht hätte. Und das ganze auf 3 CDs gestreckt ist erschreckend ermüdend und langweilig.
Weiß nicht was ihr habt natürlich ist Musik immer Geschmackssache aber ich finde die Musik nicht langweilig eher Tanzbar.
Tanzbar? Dann aber bitte in der Silent Disco, danke.
Ja vielleicht ist der Titel Queen of House ein bisschen übertrieben.
Auch ist für mich die Musik von Adeva in Würde gealtert kann man heute noch gut anhören.
Welche Musik von Aveda?