laut.de-Kritik
Drake-Album™: Auf jeden guten Song folgen zwei Schlaftabletten.
Review von Mirco LeierDrake ist an dem Punkt seiner Karriere angekommen, an dem er zu groß ist, um zu scheitern. Obwohl er seit nahezu einer Dekade bestenfalls überdurchschnittliche Musik veröffentlicht, schafft er es Jahr für Jahr, die Erwartungen zu schüren, dass das nächste Album die Rückkehr zu der Form bringen wird, die sich Rap-Fans seit Jahren so sehnlichst wünschen - nur um alle prompt aufs Neue zu enttäuschen.
Im Falle von "For All The Dogs" schien dieser Hype so berechtigt wie schon lange nicht mehr, da die solide 21 Savage-Kollabo "Her Loss" und eine Reihe starker Features, wieder einen Hunger aufblitzen ließen, der Drakes Musik über die Jahre völlig abhanden gekommen war. Aber Drake wäre nicht Drake, wenn er diese Erwartungshaltung nicht mit einem gottlos langweiligen Nicht-Album belohnen würde.
Im Grunde ist es tragisch, dass ein Album wie "Honestly, Nevermind" so verrissen wurde (wenn auch zu Recht), da es Drake darin bestätigte, dass es sich nicht lohnt, artistische Wagnisse einzugehen. Deswegen macht er weiter Alben wie dieses, die jede Fraktion in seiner Fanbase gleichzeitig anzusprechen versuchen. Hier ein paar Songs für die Rap-Fans, hier ein paar für die R'n'B-Fans, hier ein paar für diejenigen, die den alten Drake vermissen. Es scheint, als wäre er glücklich, wenn jeder auch nur einen Song auf diesem Album findet, mit dem er etwas anfangen kann.
Lil Yachty kündigte vor dem Release an, dass "For All The Dogs" nicht nach dem alten Drake klingen werde. Was konkret heißt: Drake macht im Grunde die gleiche Musik wie immer. Die Lorbeeren für "Her Loss" und seine Perfomance auf Travis Scotts "Meltdown" sind ihm so sehr zu Kopf gestiegen, dass er jetzt meint, in nahezu jedem einzelnen Song einen verdammten Beat-Switch implementieren zu müssen. Im Grunde ist dieses Stilmittel eine 'Komme aus dem Gefängnis frei'-Karte für jedes langweilige Instrumental. Drake schafft es aber, diesen Reiz gänzlich auszumerzen.
Nicht nur, weil es spätestens nach dem dritten Mal in Folge nicht mehr zieht, wechselt das Instrumental schlagartig die Klangfarbe. All die Übergänge führen auch nirgends hin: Nur, weil er ein New Age-Intro in einen Rage-Jumpscare überleitet oder einen Trap-Beat mit einem noch weniger spannenden Trap-Beat abwechselt, trägt das Instrumental nicht auf magische Art den gesamten Song im Alleingang.
Im Gegenteil: Auf Tracks wie "Calling For You", "7969 Santa" oder selbst dem gelungenen "First Person Shooter" ziehen die angetackterten Beat-Switches das Hörerlebnis so furchtbar in die Länge, das man jedes Mal denkt, man höre bereits den nächsten Song, nur um beim Blick auf die Tracklist böse enttäuscht zu werden.
An der Stelle sei wieder die obligatorische Frage erlaubt, wieso zur Hölle dieses Album 86 Minuten dauert? Ich habe grundsätzlich kein Problem mit längeren Projekten, wenn sie ihre Laufzeit denn rechtfertigen. In Drakes Fall klappte das noch nie, und selten fiel das so schmerzhaft auf wie bei "For All The Dogs". Das Album besitzt keine Identität, keinen roten Faden, keinen Puls. Anstatt sich einem kohärenten Sound zu widmen, schmeißt Drake wieder einmal alle aktuell hippen Sounds in einen Topf und surft halbherzig von einem Trend zum nächsten.
Das bedeutet, dass er auf derselben Platte sowohl über Rage-Beats von BNYX rappt ("IDGAF", "Fear Of Heights") als auch über Drumless-Boom-Bap von Conductor Williams ("8am In Charlotte"). Dazwischen macht er mit Carnage einen Abstecher in den Stripclub ("Rich Baby Daddy"), fliegt nach Puerto Rico, um Bad Bunny mit seinem räudigen Spanisch die Butter vom Brot zu klauen ("Gently"), und holt eben mal DJ Screw für eine Interlude von den Toten zurück ("Screw The World - Interlude").
Mit Ausnahme der Reggaeton-Nummer "Gently" klingt davon nichts wirklich schrecklich, aber viel dafür umso langweiliger. Wer gute Rage-Songs, guten Boom-Bap oder guten Atlanta-Bass hören will, der ist am Ende bei dem Solo-Output von Yeat, Griselda und Sexyy Redd wesentlich besser aufgehoben.
Auch beim restlichen Material, dem Drake Comfort-Food, das all die gegensätzlichen Klangwelten irgendwie zusammenhalten soll, gelingt das, wenn überhaupt, nur im Ansatz. Sicherlich finden sich auf "For All The Dogs" einzelne Highlights. Auf "First Person Shooter" liefert ein heißhungriger J. Cole einen der besten Verses des Jahres.
Die Art, wie Drake über das Frank Ocean-Sample im Opener "Virginia Beach" gleitet, erinnert an vergangene Glanztaten und auf "8am In Charlotte" und "Away From Home" wieder einmal deutlich daran, was für ein begabter Rapper der Mann doch eigentlich ist. Auch "Rich Baby Daddy" macht dank starker Gastbeiträge von Sexyy Redd und SZA großen Spaß, vorausgesetzt, man schaltet ab, bevor Drake in der zweiten Hälfte den nächsten ermüdenden Beat-Switch aus dem Ärmel zieht.
Aber für jeden gelungenen Track liefert "For All The Dogs" zwei Schlaftabletten hinterher. Die Energie von "Her Loss" scheint gänzlich verbraucht, Drake rappt über weite Strecken im Autopilot. Etwas Gehaltvolles oder wirklich Introspektives hat er bereits seit vier Jahren nicht mehr zu erzählen, seine Bars erreichen bisweilen ein neues Level an Corniness. Wer Rapper wie Logic und Cordae für ihre Augenroll-Reime durch den Kakao zieht, der sollte vor Zeilen wie diesen nicht die Augen verschließen: "Feel like I'm bi 'cause you're one of the guys, girl." "He gon' find out that it's on sight like W-W-W." "Got you out here movin' waste like a belt." "They say love's like a BBL, you won't know if it's real until you feel one." "Both comin' at the same time like, 'Jinx', I'm talkin' dirty." Zur Erinnerung: Dieser Mann geht auf die 40 zu.
Was auf dieser LP außerdem besonders auffällt: Mit jedem weiteren Album scheint Drake weniger daran interessiert zu sein, wirkliche Hits zu schreiben. Die Zeiten, in denen ein "God's Plan" oder ein "One Dance" es sich über Jahre in den Billboard-Charts bequem machten und selbst deine Oma schon einmal einen Song von Drake im Radio gehört hat, sind vorbei. Selbst ein "Certified Lover Boy" hatte ein "Way 2 Sexy".
Auf "For All The Dogs" heißt der Song mit dem größten Hit-Potential "Slime You Out". Ein einschläfernder R'n'B-Crooner, der trotz eines starken SZA-Features nie so wirklich Fahrt aufnimmt und die wenigen Qualitäten, die er hat, mit der fünfminütigen Laufzeit gnadenlos überstrapaziert. Natürlich ging der Song aus dem Stand auf die Eins, aber ich bin mir sicher, dass sich schon bald niemand mehr wirklich für ihn interessieren wird.
Jedes neue Drake-Album löst mittlerweile fast das gleiche Gefühl in mir aus. Song für Song zieht unter Schulterzucken vorbei, am Ende landen zwei, drei davon in der Playlist und ich bekomme das starke Bedürfnis, wieder "If You're Reading This It's Too Late" zu hören. Dieser Mann ist immer noch wahnsinnig talentiert, aber ein halbes Jahrzehnt an der Spitze hat ihn nunmehr so satt werden lassen, dass seine Alben nach musikalischem Fast Food klingen. War "Nothing Was The Same" noch ein feines Pop-Rap-Filetstück, so serviert "For All The Dogs" denselben zusammengepanschten Big Mac, der ihm bereits mit "Views" vor sieben Jahren zum ersten Mal auf den Boden fiel.
Würde er es tun, weil er sich gedanklich bereits in die Rente verabschiedet hat und einfach nicht mehr machen muss, um erfolgreich zu bleiben, wäre das ärgerlich, aber irgendwie nachvollziehbar. Doch Drake zeigt ja, dass ihm durchaus etwas daran liegt, zu beweisen, dass er den Finger noch am Puls und heiße Newcomer auf dem Schirm hat, dass er immer noch 'cool' ist. Drake besäße alles Recht der Welt, auf die Meinung der Öffentlichkeit zu scheißen. Aber offensichtlich ist ihm nach wie vor wichtig, was die Leute über seine Musik denken. Immer wieder zofft er sich mit Kritikern, etwa mit Anthony Fantano oder jüngst Joe Budden, auf dessen Twitter-Seitenhieb er mit mehreren Paragraphen kindischen Tastaturgewichses antwortete.
Aber wenn ihm wirklich so viel an Kudos der Kritiker und der Szene liegt, dann sollte er vielleicht den Gürtel einfach wieder enger schnallen und ein koheräntes Projekt auf die Beine stellen, statt sich nach einer vielversprechenden Detour im vergangenen Jahr nun erneut daran aufzugeilen, was für Zahlen seine 90-minütigen Nicht-Alben schreiben: Die Streams zahlen zwar die Miete, aber die Unsicherheiten in seinem Schädel wohnen da für umme.
10 Kommentare mit 6 Antworten
drake ist finished
Schwierig. Millionen von Fans wirst du innerhalb von wenigen Monaten/Jahren nicht so schnell los. Auch wenn er das Musikmachen sein lässt, hat er immer noch genügend Spielraum, allein mit seiner Existenz Geld zu machen. Bestes Beispiel dafür ist ja Rihanna, wo man auch seit Jahren auf ein Album wartet.
Tut man das wirklich? Das letzte Album von Knödel-Riri ist von 2016, vllt hat sie keine große Ambitionen mehr und will lieber mit der Familie chillen, Kohle dürften sie und ASAP Rocky genug haben.
Was soll denn Knödel-Riri bedeuten?
Naja, ich finde, sie knödelt beim Singen wie Shakira oder Anastacia (siehe Rezi)
Sind einige Perlen drauf. Insgesamt gefällt mir das Album ganz gut, CLB war trotzdem nochmal ne Nummer besser.
4/5
"Auf jeden guten Song folgen zwei Schlaftabletten" - wie bei den letzten Alben halt auch....
Diese Beatswitches sind mir auch unangenehm aufgefallen. Und die Misogynie: https://youtu.be/Rl_NbCEr7uM
Obwohl ich in vielen Punkten wie den Lyrics und den Beat-Switches zustimme, muss ich doch sagen, dass diese Review ein bisschen zu hart an dem Album war. Vor allem, wenn man dieses Album an die Alben Views bis Honestly, Nevermind misst. Meiner Wahrnehmung nach merkt man, dass Drake sich etwas mehr Mühe bei der Entstehung der Songs gibt. Beispiel: Slime You Out hat eine ziemlich interessante narrative Spannung zwischen Drake, der eine "B'tches ain't shit"-, und SZA, die eine "N*ggas ain't shit"-Perspektive an die Zuhörerschaft bringen. Ich kann mir eben wegen diesem gelungenen Gegensatz vorstellen, dass der Song auch weiterhin gehört wird, auch wenn es kein Smash-Hit a la God's Plan wird. Dieser Trend zieht sich tatsächlich durch weite Teile des Albums, so ist bspw. die Top-Line von What Would Pluto Do? ziemlich ansteckend und 8AM eine gute Darbietung des Boom-Bap-Sounds. Es ist beileibe nicht Drake's schlechtestes Album, obwohl es der 21 Savage-Collabo qualitativ ein bisschen hinterherhinkt.
mMn 6/10
Das ist ja geradezu revolutionär dass ein Duett aus der männlichen Perspektive auf die Frauen schimpft, und die Dame dann über die Männerwelt herzieht also Mensch das ist ja sicherlich noch nie gemacht worden. Total krass.
Ich kann mir Drakes immensen Erfolg nicht anders erklären, als dass die wirklich guten Künstler seiner Generation entweder verrückt geworden sind (Kanye) oder nur äußerst spärlich veröffentlichen (A$AP Rocky, Frank Ocean, Kendrick). Auf einem typischen Album von ihm sind 1-2 gute Tracks (wenn man Glück hat) und der Rest sind Filler ohne Ende fürs Streaming und den Algorithmus.