laut.de-Kritik
Therapeutische Anti-Stress-Musik mit Gesangselfe Edie Brickell.
Review von Philipp KauseEdie Brickell zählt zu den am meisten unterschätzten Songwriterinnen dieses Planeten. Neuerdings macht sie Downbeat im Projekt Heavy MakeUp, was sich richtig gut anhört. Das gleichnamige Debüt "Heavy MakeUp" verziert Edies schöne Vocals mit Electro-Grooves und Trompete. Ihre 57-jährige Stimme hat keinerlei Patina angesetzt und timbriert noch immer engelsgleich.
Neben der New Yorkerin Suzanne Vega und Kanadierin Sarah McLachlan war sie anfangs eine der großen neuen Geschichtenerzählerinnen des Folkpop-Revivals Ende der 80er. Jenseits ihrer eigenen Songs "Circle", "What I Am", "Beat The Time", "Little Miss S." und "Good Times" erwarb sie sich damals mit einem Dylan-Cover ihren Ruf. Das Anti-Atomkriegs-Stück "A Hard Rain's Gonna Fall" tauchte bei einem engagierten Film mit Tom Cruise zum Thema im Soundtrack auf. Nachdem Edie mehrere Kinder mit einem gewissen Paul Simon bekam, verschwand sie allerdings aus dem Rampenlicht. Erst im Lockdown wurde sie wieder entdeckt.
Mit Heavy MakeUp sollte man Edie eine neue Chance geben, denn sie erfindet sich neu, und es klingt kein bisschen peinlich. Denn die Musikrichtung von Heavy MakeUp gibt es bisher nicht als fest stehendes Genre, und auch Edie hat sie bisher selbst nicht ausgeübt. Aus New Wave-gefärbtem Alternative Rock, Gitarren-Pop und Elfen-Folk, all dem, was sie bisher so trieb, gleitet sie mühelos aufs Spielfeld gut gemachter Lounge-Musik mit einem edlen Touch Electrojazz. Ich bin begeistert über den Schritt dort hin, über ihre Offenheit für Neues wie auch die qualitative Gestaltung.
Heavy MakeUp klingen richtig rund produziert und ausnahmsweise in diesen Tagen wie eine Platte, die kein Stückwerk ist, sondern die jemand am Ende noch mal mit Abstand durch gehört und darauf hin abgeklopft hat, ob die Tracks soundtechnisch auf einem Level liegen. "Heavy MakeUp" schnurzt so bruchlos durch wie ein homogenes Mixtape.
Zum Projekt Heavy MakeUp zählen noch Trever Hagen und CJ Camarieri. Hagen ist Sozialwissenschaftler, Musiktherapeut und Trompeter. Sein Blechblasinstrument bringt er in Kunstgalerien, Garagen und Küchen zum Einsatz. Technisch sind ihm analoge Feldaufnahmen genauso wie Laptops ein Begriff. Seine Sound-Welten beschreibt er als "psychedelische Dschungel". Zuletzt arbeitete er mit Justin Vernon von Bon Iver. Hagen erforscht, welche Rolle Musik in politischen Untergrundbewegungen spielt. Auch der zweite Trompeter an Bord, CJ Camarieri, hat schon mit Bon Iver-Mitgliedern gearbeitet und sich von dort aus zum Kammermusik-Kollektiv yMusic connectet, das zurzeit durch die Zusammenarbeit mit Bruce Hornsby auch in Rock-Kreisen bekannt ist. Camarieri hat schon am Broadway seine Brötchen verdient und hat großes Talent an Keyboards und als Arrangeur. Entsprechend verbindet er die Trompeten-Improvisationen von Heavy MakeUp und Edie Brickells Stimme mit Hilfe von Synthie-Loops zu einem schicken Gesamtkunstwerk.
Dabei wirkt Edie Brickell, die bereits aus vielen Bands wie den New Bohemians und den Heavy Circles (aha, auch heavy...) das Beste heraus kitzelte, als sozialverträglicher Team Player. Ihre Vocals zeugen von einer großen Zuversicht, live Gehör von großen Publikumsmassen auf Festivals zu finden, wie sie es in ihrer Karriere ja erlebt hat. Sie singt sehr gleichmäßig und klar - Krakeelen, Krächzen und Kreischen waren nie ihr Ding. Aber sie ordnet sich auch der Sache hier unter: Verträumtem Jazz-Artpop mit Electro-Ästhetik, wo die menschliche Stimme 'nur' Service fürs entspannte Blubbern ist. Die Grooves pulsieren sanft wie klitzekleine Bläschen in einem Aquarium.
"Heavy MakeUp" lebt von der Fähigkeit, sich subtil auszudrücken und doch eine starke Stimmung zu malen und sie wie schwere MakeUp-Schichten dick aufzutragen: als therapeutische Anti-Stress-Musik, Sound für Massage-Sessel, wobei kein Detail im Vordergrund steht, sondern alles farbenfroh klingt. Sensitiv ist die Musik zwar und horcht feinfühlig ins Innere des Menschen hinein, aber neurotisch, verletzlich oder fragil ist sie nicht, sondern sehr ausgeglichen, trotz Luftigkeit fest und stabilisierend. Viel mehr tritt sie als echte Alternative zu Till Brönner an: Für Ohren, die zu cheesy-poppigen Brass-Tönen gerne abschalten würden, den Till aber zu kommerziell und Kaufhaus-dudelnd finden und bei seinen Anbiederungen genauso speien müssen wie einer meiner Jazz-Kollegen.
Derweil wagt Brickell Semi-Acapella zu Clap-Beats ("Can't Wrap"), Norah Jones-Intimität in der Kühle von Elektronik (paradoxerweise "Fire" betitelt), Trip Hop mit verquirlten Vintage-Tonspuren ("Gone Too Long"), Hackstückchen-Drum'n'Bass ("Why Don't You Ask Her"), Talking Heads-Harmonien ("Don't Kid Yourself Kid"), Tied & Tickled Trio reloaded ("Jenny's Picnic") und Musical-Momente ("Nice Try"). Sweet Sounds für eine gute Zeit!
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