laut.de-Kritik
Der aktuelle Zustand der Welt? Erschütternd.
Review von Andrea Topinka"My name is liar and I'm friends with sin, I am on fire and broken from within / Enemies of freedom, freedom itself is under attack." Der zweite Teil dieser Zeilen stammt aus der Rede, die George W. Bush am 20. September 2001 vor dem US-amerikanischen Kongress hielt und in der er seinen 'War on Terror' erklärte. Mit spitzem Echo zitiert Ingrid Håvik die Rede zu düsteren Elektrosounds: Ihr Unverständnis über die Entscheidungen des damaligen US-Präsidenten, dem sie den Titel "My Name Is Liar" widmet.
So kehren Highasakite zwei Jahre nach dem erfolgreichen "Silent Treatment" zurück. Im polternden Opener wird ohne Umschweife klar: Der Nachfolger "Camp Echo" verzaubert nicht mit ambitionierten Indie-Folkpop. Das Album wurzelt stattdessen dank Songs wie "My Name Is Liar" im 90er-R'n'B und Trance in schweren Synthesizern, Drumbeats und Verfremdungseffekten. Kühl, aggressiv und aufgewühlt beginnt der Rückblick auf die letzten 15 Jahre in einer Manier, die an The Knife erinnert.
Vor hämmernder Kulisse thematisieren Highasakite in vielen Stücke Ängste in Verbindung mit Krieg, Terror, Klimaerwärmung etc. Schon als Albumtitel wählen sie mit "Camp Echo" den Namen eines Gefangenenlagers in Guantanamo Bay. Die Härte aus dem Opener oder "Samurai Sword" weicht bei den Betrachtungen aber immer wieder einer Verzweiflung, in der Håvik so zerbrechlich klingt wie auf "Silent Treatment". In "God Don't Leave Me" zum Beispiel hallen ihr Synthies und Chor hinterher in einem verzweifelten Ruf an Gott, den laut Band ein Soldat in seiner größten Not ausstoßen könnte.
In "I Am My Own Disease" lichtet sich die düstere Atmosphäre ein wenig: Angefeuert von 80er/90er Synthiepop-Drive, den man in ähnlicher Form auf dem letzten The Jezabels-Album hören konnte, überschlagen sich Highasakite geradezu. Die eingängigen "Deep Sea Diver" und "Golden Ticket" täuschen aber. In den Lyrics dominieren Verlorensein und Aussichtslosigkeit: "God, if you're still watching, there's no more happy days".
"Chernobyl" beendet die Platte düster: Drumbeats wehen durch ein verstörend trostloses Szenario, das Ingrid Håvik in tiefer Stimme zeichnet: "When I came home to Chernobyl / I am the bomb / I dream of nothing". Die Interpretation ihrer Texte überlassen Highasakite oft dem Hörer. Aber dass die Norweger der aktuelle Zustand der Welt tief erschüttert, bleibt eindeutig.
Als politisch bezeichnet das Quintett die Platte dennoch nur bedingt, es gehe nicht um Deutungshoheit. Vielmehr beobachte man in erster Linie. Deswegen erheben Highasakite auch nicht den moralischen Zeigefinger oder plädieren für vermeintliche Lösungen, sondern bleiben in ihren Aussagen vage - und musikalisch variabel. Denn obwohl "Camp Echo" sich sehr von "Silent Treatment" unterscheidet, das Gespür der Band für fesselnde Melodien bleibt bestehen: Songwriter mit Potential für die Charts.
2 Kommentare
habe jetzt knapp drei durchläufe.....
die silent treatment hat mir deutlich besser gefallen.
Ich kannte die Band bisher nicht, muss aber nach einem Hörvergleich mit dem Vorgänger meinem Vorposter zustimmen. Trotzdem find ich das neuste Album nicht übel, kann aber noch kein abschließendes Urteil fällen.