laut.de-Kritik

Der Zeit-Anhalter schnappt sich Nick Waterhouse und No I.D.

Review von

Das Comeback von Eddie Chacon von Charles & Eddie eröffnete das Soul-Jahr 2025. Nun legt auch Jon Batiste den entspannten "Would I Lie To You"-Mix aus Northern Soul und Pop wieder auf, versetzt ihn mit einem Schuss Gospel. Vertraute Vibes ziehen einen somit ins neue Album "Big Money" des verdienten Rekord-Grammy-Abräumers.

Dazu holt er sich Andra Day an Bord, die schon mit ihrer Beteiligung auf Sheryl Crows "Threads" glänzte. Die ehemalige Straßenmusikerin Andra tourte mit Lenny Kravitz, spielte Billie Holiday in einem Biopic und macht sonst vor allem durch Gastauftritte wie diesen auf sich aufmerksam.

Wesentlich umfangreicher als ihre Diskographie mit genau einem Album gestaltet sich die des nächsten Gastes Randy Newman, vor allem wenn man seine Soundtracks mitrechnet. Ihn lockte Jon für eine schnuckelige und altmodische Klavier-Duett-Ballade ins Studio. Hier dehnen die beiden genussvoll den Doc Pomus-Klassiker "Lonely Avenue", der einst in Ray Charles' Repertoire wanderte und hernach über Booker T., Everly Brothers, Van Morrison bis zu Diana Krall Karriere machte. Die neue Aufnahme von Jon und Randy weicht von den Genannten klar ab, kann man 'rootsig' nennen. Sie verpflichtet sich einem vergangenen Zeitalter, das lange vor Verstärkern, Keyboards, Synths, Computern, Plug-Ins, Glattmachern liegt und rustikalen Rhythm and Blues auffährt.

Eine recht seltene Verbindung stellt derweil die Instrumente-Kombi Orgel, Geige, Bass sowie live zugespielte Drum-Machine dar. Im sanft wogenden "Do It All Again" geht Batiste diese Verbindung ein. Man spürt die Vision und eine bestimmte besondere Atmosphäre, die er nur für diesen einzelnen Track schaffen möchte. Überhaupt bekommt jedes Lied hier auf dem Album seinen eigenen Kolorit zugemessen. Die Bandbreite reicht von minimaler, intimer Besetzung mit Batiste allein und mit traditionellen Sounds der Mandoline in "Petrichor", bis zur großen, wuseligen Besetzung in "Pinnacle" mit Background-Chor und drei Gitarren.

Dort macht sich die Handschrift des dritten Gastes und Album-Ko-Autors Nick Waterhouse breit und bemerkbar. Der Retro-Rock'n'Souler gestaltet mehrere Stücke mit. Für "Pinnacle" schrieb er eine coole, psychedelische Rockabilly-Bassline. Ein "Pinnacle" ist ein Höhepunkt, und dieses Lied markiert durchaus selber einen. Als süßer Soul-Rhythm-Flow in der Tradition von Bill Withers "Grandma's Hands" glänzt "At All". "Maybe" punktet als eine schlichte Piano-Ballade, die doch viel größer als nur das wirkt. Aber es ist die Modulationskurve in der Jon singt, die sehr viel von der Wirkung ausmacht, seine Lebendigkeit, mit der er im Tempo inne hält, den Moment einfriert, Zeit anzuhalten scheint, sich in Lautmalerei verliert, improvisiert. Seine Schauspielkunst in diesem inneren Monolog ist brillant, all diese Stilmittel und Ausdrucksmodi verleihen dem Lied Tiefe. "Maybe" ist somit die überstrahlende, am nachhaltigsten wirkende Nummer auf dieser Platte.

Als waghalsigste überrascht jedoch der Schlusssong "Angels", ein zusammengesponnener Ideen-Clash. Jon Batiste lebt sich an der Melodica aus. Sein Produktions- und Schreibpartner No ID alias Dion a.k.a. Ernest Wilson firmierte schon vor über 30 Jahren als Hip Hop-Producer, im Tandem mit Jermaine Dupri. Er stellte Weichen an den Anfängen der Karrieren von Kanye West und Common und war als Label-Gründer von ARTium Entdecker von Jhené Aiko, und er gab Vince Staples die ersten Solo-Chancen. Jeder kennt Songs von No ID. Der berühmteste ist wohl Jay-Zs "Run The Town" mit Rihanna und Kanye. Jay-Zs "4:44"-LP entstand in den Studios dieses Kerls, und bei Batiste hat er auf einigen Tracks seine Finger mit im Spiel.

No ID, Nick Waterhouse und der siebenfach-auf-einen-Schlag-Grammy-Preisträger Jon Batiste erschaffen mit "Big Money" zusammen eine schöne Urban-Americana-Scheibe mit Groove, ohne Genre-Engstirnigkeit, die diverse Musik von 1920 bis 2025 wie selbstverständlich zusammen führt. Die Aufnahmen sind als durchlaufende Session-Takes entstanden, und das war Jon schon auch wichtig. Es gehe, schreibt der Wahl-New Yorker aus Louisiana im Booklet, um die "Connectivity" zwischen den Musizierenden. Am besten fühle man sie demnach, wenn man nicht jede Tonspur im Nachhinein noch einmal zerlegt und getrennt wieder neu einspielt, sondern wenn alle Musizierenden ganz aufeinander hören und wie bei einem Konzert im Ensemble auftreten. Mit den Spielregeln des Jazz legt der Jazz-Akademiker hier eine gänzlich Jazz-befreite Platte vor, die auch den zwanghaften Pop- und Elektronik-Einfluss seines letzten Albums radikal abschüttelt.

Trackliste

  1. 1. Lean On My Love ft. Andra Day
  2. 2. Big Money
  3. 3. Lonely Avenue ft. Randy Newman
  4. 4. Petrichor
  5. 5. Do It All Again
  6. 6. Pinnacle
  7. 7. At All
  8. 8. Maybe
  9. 9. Angels

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