laut.de-Kritik

Muse goes Eurovision Song Contest.

Review von

Das Schönste an den 1980ern waren nicht Depeche Mode, nicht die Pet Shop Boys oder The Cure, sondern, dass sie mit dem 01.01.1990 unwiderruflich endeten. Ihr Revival hingegen findet schlichtweg kein Ende und dauert nun schon weit länger als das eigentliche Jahrzehnt. Längst hat sich die besondere Dekade fest in unsere Popkultur gefressen, wird mit Filmen und Serien wie "Es", "Stranger Things" und "Glow" immer weiter künstlich am Leben gehalten. Wir leben in einer ewigen Zeitschleife aus "Ghostbusters", "Back To The Future" und David Hasselhoff.

In unser Café der Achtziger gesellen sich mit "Simulation Theory" nun auch Muse und achten darauf, ja keinen Allgemeinschauplatz auszulassen. Denn letztendlich besteht das Jahrzehnt nur noch aus einer Liste der üblichen Verdächtigen, die es fleißig abzuarbeiten gilt. "Blade Runner"? Check. "Max Headroom"? Check. Neonfarben? Check. Synthwave-Einflüsse? Check. Eine Dienstleistungskultur der Nostalgie, aus der zunehmend immer weniger kreative Höhepunkte heraus stechen. Zuletzt gelang dies Rockstah mit "Cobblepot".

Ein Korsett, dass den seit einigen Jahren strauchelnden Muse jedoch eine helfende Hand reicht. War "The 2nd Law" noch zerfahren und "Drones" ein feiger Schritt zurück, ist "Simulation Theory" letztendlich das Album, das 2012 eigentlich auf "The Resistance" hätte folgen sollen. Sie gehen den Weg, den sie mit "Madness" eingeschlagen hatten, bis zum Ende, kommen nun aber sechs Jahre zu spät an. Das Resultat: Hätten sie damals noch halbwegs frisch geklungen, hinken sie heute massiv hinterher und wirken wie die vierte Fortsetzung von "Kung Fury". Zu diesem angestaubten Gesamteindruck passt die Zusammenarbeit mit Co-Produzenten Timbaland, die bei Chris Cornells "Scream" noch hohe Wellen schlug und heute nur noch eine Randnotiz wert ist.

Als würden sie den losen "The 2nd Law"-Faden aufnehmen wollen, bedienen sich die schon immer gerne zum Langfingertum neigenden Muse endlich bei einer Band, die auf ihrem Level spielt: bei sich selbst. "Dig Down" (gnhihihi, Bellamy singt "Dickdarm") stellt nicht mehr als einen zweiter Teil von eben diesem "Madness" dar. Wie so oft bleibt der zweite Teil hinter dem ersten zurück, der eh nicht zu den Glanzpunkten ihrer Diskografie zählt.

Wie auf "Drones" gibt Bellamy "Simulation Theory" ein loses Thema mit auf dem Weg, das sich auf Nick Bostroms Simulations-Hypothese bezieht. Wir sind alle nur eine Simulation. Gleich zu Beginn erkennt dies der Protagonist und lehnt sich dagegen auf. Da der Sänger jedoch nicht über die lyrischen Möglichkeiten verfügt, eine Story geschickt umzusetzen, fährt er diese bereits im Opener "Algorithm" so subtil wie ein Panzer gegen die Wand. "This means war with your creator", singt er in Dauerschleife. Schön. Das hat sich dann also erledigt, müssen wir uns im weiteren Verlauf keinen Kopf mehr drum machen.

Gerade in der ersten Hälfte funktioniert "Simulation Theory" unerwartet gut, ist stimmig und in sich geschlossen. Zwar zeigen sie sich weniger vielschichtig als in ihren Anfangstagen, doch scheiterten sie zuletzt immer dann besonders, wenn sie sich an komplexe Songaufbauten wagten. Der Opener verfügt über eine gehörige Portion "Blade Runner" und "Tron", verbindet diese mit Streichern, frostigen "Closer"-Drums und einem theatralischem Klavier zu einer kühlen Mischung. Als wollen Muse den Soundtrack zu K.I.T.T.s leuchtendem Frontscanner liefern.

In "The Dark Side" verbinden Muse ihre alten Trademarks aus "Origin of Symmetry"-Zeiten und die Ausrichtung des Longlayers zu Synthwave-Bombastrock. Eine aufgeräumte Version längst vergangener Zeiten, in ein noch vergangeneres Soundgewand gehüllt, das letztlich aber makellos funktioniert. Das eingängige "Pressure" flirtet mit Pop und Glam-Rock. In "Propaganda" erschaffen die Briten zusammen mit Timbaland und trotz manch nerviger "Pro-pro-pro-pro-pro-pro-pro-pro-pro-pro-paganda"-Zwischenschläge eine stimmungsvolle Mixtur aus Prince, R'n'B und Slide-Gitarre.

"Something Human" gehört ebenso zu den besseren, da harmlosen Stücken, in dem Muse verstörend nach Erasure klingen. Erinnern die den neckischen Pop-Song durchziehenden Synthesizer an "I Say, I Say, I Say", bedient sich Bellamy im Songwriting an "A Little Respect".

Leider hält das Album den zeitweise mehr als soliden Eindruck nicht über die volle Länge. Mit zunehmender Spielzeit schleichen sich immer mehr Rohrkrepierer ein. Allen voran geht "Get Up And Fight", in dem die schwedische Sängerin Tove Lo Muse begleitet. Das Ergebnis hat so gar nichts mit dem reißerischen Titel gemeinsam. Viel mehr klingt es, als habe sich Whigfield mit 30 Seconds To Mars für ein Cover von Ann Lees "Two Times" zusammen getan. Inklusive Power-Refrain. Muse goes Eurovision Song Contest. Puh.

Mit "Break It To Me" geht das Experiment, Muse, R'n'B, orientalische Melodien, extraterrestrisches Gefiepse und Gitarren-Gescratche in nur einem Lied unterzubringen, gewaltig in die Hose. Ein vollkommen überladenes Stück hässlicher Musik, in dem kein Teil zum anderen passt und in dem Bellamys Stimme, selbst für seine Verhältnisse, unangenehm überdreht.

Die Stadion-Hymne "Thought Contagion", in deren Lieferumfang natürlich auf die ebenso austauschbaren wie für diese Nummern so wichtigen "Oh-oh-oh-oh-oh-oh-ohs" zum Arme mitschwingen enthalten sind, gerät unangenehm aufdringlich. "You've been bitten by a true believer / You've been bitten by someone who's hungrier than you." Wenn Bellamy die Inhaltsangabe einer Cornflakes-Packung singen würde, hätte dies mehr Tiefe.

Mit "The Void" bringen Muse "Simulation Therory" letztlich doch noch zu einem atmosphärisches Finale, enden dort, wo sie mit "Algorithm" begannen. Zu wabernden Synthesizer-Flächen und Streichern, ganz ohne Marktschreierei auskommend, gelingt ein düsterer, sich nur kurzzeitig aufbäumender Ausklang. Feingliedrig, wie man es zuletzt nur selten von der Band erlebte. Der mit Abstand beste Track des Albums.

Seit Anfang des Jahrzehnts gehen Muse durch ein kreatives Tief. Ein Problem, vor dem jede große Band, die sich über lange Zeit hält, irgendwann steht. Die Frage ist, ob sie irgendwann zu denen gehören, die dieses hinter sich lassen konnten. "Simulation Therory" ist interessanter als "Drones" und durchdachter als "The 2nd Law", hat durchaus seine Momente. Es deutet in die richtige Richtung, doch von einem wirklichen Befreiungsschlag oder gar einem großen Wurf bleibt es weit entfernt. Dafür ist das Konzept schlichtweg zu altbacken und etliche Songs mit zu deutlichen Schwächen ausgestattet.

Trackliste

  1. 1. Algorithm
  2. 2. The Dark Side
  3. 3. Pressure
  4. 4. Propaganda
  5. 5. Break It To Me
  6. 6. Something Human
  7. 7. Thought Contagion
  8. 8. Get Up And Fight
  9. 9. Blockades
  10. 10. Dig Down
  11. 11. The Void

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Muse

Mit Muse hat die englische Musiklandschaft seit 1999 einen neuen Stern am Himmel. Die drei Jungs aus Devon sind wütend, melancholisch, depressiv und …

32 Kommentare mit 54 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Reissbrettaufstand des Dosenorchesters.

  • Vor 6 Jahren

    Sehr gute Kritik. Danke. Dem gibt es auch wenig hinzuzufügen. Dennoch: Muse sind leider weit über ihren Zenit hinaus und Nummern wie "Dickdarm" sind für mich einfach nur ein Ärgernis, da wie oben geschrieben nur ein lauwarmer Aufguss.
    Es stimmt, kaum eine Band kann über Jahrzehnte ein hohes Niveau halten, es sei denn sie erfindet sich erfolgreich ein ums andere neu. Muse versuchen das auch, aber es will ihnen einfach nicht mehr gelingen. Da ist zu viel schwaches, nichtssagendes Material dabei. Von den Lyrics ganz zu schweigen. Hier sollte ein Co-Writer hinzugezogen werden (Stichwort: "subtil wie ein Panzer").

  • Vor 6 Jahren

    Hatte Drones wenigstens noch ein paar schöne Gitarreneskapaden zu bieten, so ist das hier ein Album ohne einen einzigen herausragende Song und schaufelt man mal die Zentner an 80er-Ästhetik beiseite, so bleiben wirklich schwache Kompositionen zurück, die genauso plakativ wie die lächerlichen Lyrics sind.