laut.de-Kritik

Must-Have für Funk- und Nikka-Fans.

Review von

Anfang der 2000er gab es auf MTV manchmal Auffüll-Titel mit No-Name-Artists, wenn zwischen einer gelaufenen Sendung und dem nächsten Werbeblock bis zur vollen Stunde Restzeit verblieb. Eines Tages, im Jahr 2001, es war nach einer Doku über die Red Hot Chili Peppers, flimmerte aus dem Nichts diese damals unbekannte Sängerin Nikka Costa über meinen damaligen Röhren-Bildschirm. Der gab kurz danach seinen Geist auf, vielleicht war ihm Nikka zu wild. Für sie ging damals mit dem aus der Zeit gefallenen "Like A Feather" samt Questlove an den Drums ihre vierte Karriere los: Die Ära als erwachsene Künstlerin. Als Kind, Teenie und mit 24 hatte sie lange zuvor kurze Karriere-Ansätze.

"Like A Feather" war so sehr Disco-Funk, dass seine Zutaten noch in die Zeit kurz vor MTV datieren. Aber nicht wirklich so "Dirty Disco", wie anderes auf dem zugehörigen Longplayer, an den die Künstlerin nun wohl anzuknüpfen versucht. Nikka profitierte in einer langen Funkstille zwischenzeitlich leider nicht von der Mark Ronson-Nile Rodgers-Daft Punk-Pnau-Welle. Dafür war ihre Retro-Show wohl einfach zu früh dran. Mit Ronson arbeitete sie übrigens schon zusammen, bevor er berühmt wurde. Ihr (zeitloses) "Everybody Got Their Something" war einer seiner ersten Streiche.

Ihren letzten Hit droppte sie 2010. Als ihre Bekanntheit gerade auf dem Höhepunkt schillerte, nach Tourneen im Vorprogramm von Lenny Kravitz und P!nk, da entschwand sie aus der Öffentlichkeit. Mit 52 Jahren, aber optisch jünger als andere mit 30 ausschauen, meldet sie sich jetzt nach dem Motto 'Was Jessie Ware kann, kann ich auch' für eine abermalige Rolle rückwärts in die Disco-Epoche zurück.

Dabei geht's im letzten Track experimentell zur Sache, mit einem achtminütigen Klangkunst-Opus aus flächigem Post-Rock-Ambient, explosiven Bounce-Beats und Bläser-Motiv, "Connectivity". Im engeren Sinne spannend gerät die Scheibe allerdings trotzdem nicht. Außer man ist absoluter Funk-Nerd. Wo das Ende bemerkenswert spleenig ausufert, warten der Anfang und die ganze erste Hälfte mit Vorhersehbarkeit auf. Da steckt im Vergleich bei Jessie weitaus mehr Raffinesse drin, und deren Melodien sind eingängiger. Als reizvoll an "Dirty Disco" sticht vor allem der Mixtape-Charakter hervor. Die Stücke sind zwar in Tracks unterteilt. Aber genauso gut hätte ein DJ sie in dieser Abfolge zusammen mischen und die ganze A-Seite als Nonstop-Edit abliefern können.

Sympathisch wirkt, wenn man Funk-Fan ist, auch die technisch-handwerkliche Seite des Wah-Wah-Gegniedels an den Gitarren - siehe etwa in "Keep It High". Dass diese Frau schon bei Prince auf der Bühne stand, wird niemand bezweifeln, wenn man etwa die Riffs in "Glitter In My Tears" mit der Hookline "put your arms around somebody" hört oder das schräge, verrückte "Unsubscribe" mit dem Chorus "what ya feel good, feels good". Das ist Eins A die New Power Generation aus der "1999"-Phase. Der Opener "Dirty Disco" samt Spoken Word-Abschnitten kann sich als waschechter P-Funk im Gefolge von Bootsy Collins rühmen.

Unterm Strich zünden die Tempo-gebremsten Stücke der B-Seite ein bisschen mehr als die Dancefloor-Strecke der A-Seite. Das betörende "Satellite Girl" dürfte mit seinem Holzklotz-Schlagzeug und rotzigen Funk-Rock das Publikum der eingangs erwähnten Red Hot Chili Peppers ansprechen, spielt aber auch einen bluesigen Basslauf aus. Besonders die Ballade "All That I R" mit der Hook "pick up the pieces" hat etwas Magisches, zugleich intim wie auch intensiv dramatisch und angejazzt. Das würde wahrscheinlich auch Macy Gray gerne mal singen.

Das Lied biegt in den Neo-Soul ab, die insistierende Aufforderung "don't forget to dream" kommt sehr überzeugend daher. Obwohl dieses Stück aus dem Thema der Platte ausschert, ist es der zweitbeste Track. Nebenbei bemerkt pflegt die Platte durch die Bank gute Lyrics. Wirklich packend finde ich dann Nikkas Sopran und den genialen rhythmischen Vibe in "Slow Emotion" mit Reminiszenz an Minnie Ripertons engelsgleiche Gesänge.

Während Apple das Album auf iTunes mit dem Slogan "Kein bisschen Retro" bewirbt, ist das Hauptmerkmal, absolut retro zu klingen. Dagegen spricht nichts. Jedoch geht der Scheibe trotz der benannten herausragenden Nummern sowohl ein Tune mit Hit-Potenzial als auch ein echter Erinnerungs-Effekt ab. Anders als Galliano, die schon mit den Vorab-Singles zum baldigen Album zeigen, wie tief sie im Chemie-Baukasten diverser Club-Subgenres wildern und eine besondere Rezeptur brauen, fehlt bei Nikka diese Entdeckungsreise, die man nach so langer Abstinenz hätte erwarten können.

Anders als bei Foster The People, die zeitgleich "Paradise State Of Mind" rausbringen, hat Costa sich nicht die ganz fetten tiefen Bässe auf die Vocals mischen lassen und sorgt so nicht fürs ultimative körperlich-sensuelle Erlebnis, das ein Disco-Album eben auch sein kann. Gerade dann, wenn es sich 'dirty' zu sein rühmt. Manch alter Song wie "Hope I Felt Good" löste dieses Versprechen derweil schon 2001 ein - wir wissen, dass Nikka Dirtyness drauf hat.

"Dirty Disco" ist - trotz dieses Jammerns auf hohem Niveau - ein kreatives und handwerklich sehr gutes Werk. Ein klassischer Slow Burner: Nach mehrmaligem Hören wirkt es noch besser. Es birgt aber wie Lenny Kravitz' aktuelles "Blue Electric Light" an manchen Stellen das Hindernis, zu glatt geschleckt zu sein. Dann läuft es eher belanglos vor sich hin statt auf die Message zu zielen: Nämlich wie toll man beim Tanzen 'abschalten' kann, "Dance N'Forget". Der Clip zum Lied beweist noch mal, wie Nikka in der Sprache der Video-Choreographie Wow-Effekte auslöst. Das eingangs erwähnte "Like A Feather" gefiel MTV damals zurecht so gut, dass es den Video Music Award in der Kategorie 'Beste Nachwuchskünstlerin' einheimste. Und auch heute zeigt sich Costa telegen.

Trackliste

  1. 1. Dirty Disco
  2. 2. It's Just Love
  3. 3. Keep It High
  4. 4. Dance N'Forget
  5. 5. Glitter In My Tears
  6. 6. Satellite Girl
  7. 7. All That I R
  8. 8. Unsubscribe
  9. 9. Slow Emotion
  10. 10. Connectivity

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