laut.de-Kritik
So wirr und widerspenstig wie das Haar auf seinem Kopf.
Review von Sven KabelitzWäre Pat Metheny eine Aktie, man sollte als sicherheitsorientierter Anleger einen weiten Bogen um ihn machen. So wirklich weiß man nie, wie die Entwicklung des Jazz-Gitarristen verläuft. Spätestens mit dem Ende der Pat Metheny Group und der gleichzeitigen Beendigung der Zusammenarbeit mit Lyle Mays kann einem bei dem ständigen Hin und Her und Auf und Ab schon einmal schwindelig werden.
Die Wege, die er in den letzten zehn Jahren eingeschlagen hat, scheinen so wirr und widerspenstig wie das Haar auf seinem Kopf. Während der Hausse steht er mit einer Roboterkapelle alleine auf weiter Flur ("The Orchestrion Project"), nimmt ein Album mit John Zorn-Kompositionen ("Tap: Book of Angels Volume 20") oder einen Longplayer mit Jazz-Pianist Brad Mehladu ("Metheny/Mehldau Quartet") auf. Während der Baisse setzt er auf langweilige Neuinterpretationen längst totgenudelter Evergreens ("What's It All About").
Mit "Kin" greift Metheny wieder auf seine "Unity Band" zurück, nennt diese aber, warum auch immer, in Pat Metheny Unity Group um. Das alte Line-Up mit Chris Potter, Antonio Sanchez und Ben Williams erweitert der Multiinstrumentalist Giulio Carmassi. Dieser Hansdampf in allen Gassen spielt in neun Stücken Piano, Trompete, Posaune, Waldhorn, Cello, Vibraphon, Klarinette, Flöte, Blockflöte, Altsaxophone, Wurlitzer und in ganz verwegenen Momenten singt er sogar.
Diesem im Grunde klassisch konservativen Jazz-Ensemble fehlt zwar der Kick, den manch ein quer anmutender Geistesblitz von Metheny bereit hält. Dies gleicht es aber mit übersprudelnder Spielfreude und Begeisterung an Improvisation und Ausdehnung aus. Die vielen versteckten Winkel halten noch über Wochen hinweg kleine Überraschungen bereit. Dabei verlieren die fünf Protagonisten niemals die, wie für Metheny üblich, leicht überzuckerten Melodien aus den Augen.
Im Vordergrund der neun Stücke, von denen vier über zehn Minuten dauern, steht das Zusammenspiel des Gitarristen mit dem in seiner Welt so ungewöhnlichen Saxophonisten Chris Potter. Wirkte dieser in der meist von Bläsern befreiten Sphäre des Metheny auf "Unity Band" gelegentlich noch wie ein Fremdkörper, hat sich das Zusammenspiel der beiden Tonkünstler mittlerweile perfektioniert.
Das fünfzehn Minuten lange Latin-Epos "On Day One" erklärt "Kin" vorab. Zwischen John Coltrane und dem warmen und weltoffenen Sound von Weather Report legt die Unity Group eine rhythmische Schicht über die nächste.
In "Rise Up" gönnt sich Metheny mit einer vorbeirauschende akustischen Gitarre und einem sonnigen Solo einen Blick zurück in seine frühen Achtziger, während Sanchez an Cajón und Becken glänzt. Aus Keyboards, Bläsern und Schlagzeug entsteht in "Sign Of The Season" ein dynamisches Landschaftsbild. Ganz Bob Ross malt Carmassis am Piano nach fünfeinhalb Minuten zu Ben Williams schnurrendem Bass die schönste Melodie des Albums. "A happy little cloud that lives right here."
"We Go On" beginnt mit gestrigen und stark unterkühlten Synthesizern und entwickelt sich zu einer mit eleganten Schnörkeln ausgearbeiteten R'n'B-Schmonzette mit für "Kin" ungewöhnlich hartem, fast aggressivem, Beat. Im Titeltrack rotiert Sanchez an den Becken um sich selbst wie ein kleiner tasmanischer Teufel. Ein Wirbelsturm, in dessen Auge ein zurückgelehnter Metheny am Synthesizer besteht, und der in seinen letzten Minuten alles vorher erschaffene hinweg fegt.
Ein wenig zu oft gibt sich der US-amerikanischer Jazz-Gitarrist seinen üblichen Versatzstücken hin. Doch durch ausgezeichnete Musiker und dem durch Carmassi deutlich verbreiterten harmonischen und lebendigen Sound hält auf "Kin" Pat Methenys Hochkonjunktur vorerst an.
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