laut.de-Kritik

Da rattert die MP5. In den Ofen.

Review von

Was die Großmutter noch wusste: Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Demnach könnte sich Seyed eigentlich zur Ruhe setzen. Schon im allerersten Track auf seinem ersten Album schmiert uns der "Engel Mit Der AK" seinen Triumph fingerdick aufs Brot: "Ich hab' es geschafft, jetzt hab' ich 'nen Labeldeal." So weit, so realistisch. Dass Kollegah den Wiesbadener auserkoren hat, um als erster bei seinem frisch gegründeten Alpha Music Empire zu unterschreiben, hat kaum jemand verpasst, der sich auch nur am Rande mit Deutschrap befasst.

Warum hat er das getan? Seyed scheint der einzige zu sein, der sich das nicht fragt. Er freut und feiert sich bereits in "Danke Jeannie", soweit jemand, der der "Cool Prince" sein will, sich halt freut und feiert. Eine echte Regung zeigen, das darf man sich in dieser Position offenbar nicht erlauben. Oder Seyed kann es einfach nicht.

"Heute bin ich da, wo ich schon immer sein wollte." Das erklärt zumindest, warum er sich gar so wenig Mühe gibt, auch nur irgendetwas zu erzählen. Wozu anstrengen, wenn man ohnehin nirgends mehr hin will? Wär' doch verschwendete Energie, irgendeine andere Geschichte abzuspulen, als wieder und wieder die vom eigenen Aufstieg vom unterprivilegierten Ausländerkind aus dem sozialen Brennpunkt zum ... öhem ... Rap-Star.

"Habe mit 21 Jahren die Szene komplett weggefickt." Hat das der Szene auch jemand mitgeteilt? Ohne den Rückenwind, den sein prominenter Mentor ihm verschafft, krähte nach dieser Kopie einer Kopie doch kein dürrer Hahn. Sofern Seyed den Vertretern der angeblich schier wundbeglückten Szene bisher überhaupt eine Erwähnung entlockte, dann höchstens Häme: Hustensaft Jüngling und Konsorten haben sich auf alle Fälle schon einmal darauf verständigt, Seyed als Zielscheibe für endlose Witzeleien zu nutzen.

Chakuza, einer der wenigen Angegriffenen, der auf den Rundumschlag "Tijara Im Pyjama" reagierte, quittierte den Diss gerade so mit einem müden Arschrunzeln. Aber: Die Rechnung kann ja immer noch aufgehen. Wer von Sierra Kidd über Kitty Kat, Lance Butters, die Orsons, Liquit Walker und die Atzen bis hin zu Kayef, Olson und Separate so witz- wie wahllos jeden Kollegen schmäht (vorausgesetzt, er ist nicht zu groß, zu angesagt, zu fuchteinflößend oder steht in der eigenen Ecke), darf eigentlich relativ sicher sein, dass irgendjemand den Köder schon schlucken und zurückfeuern wird.

Edgar Wasser trotzdem wohl eher nicht. Süß allerdings zu sehen, dass Seyed in einer Welt lebt, in der "Leseratte" als Beschimpfung durchgeht. Erinnert mich an Böhmermann, der Götz Alsmann bei "Zimmer frei" an den Kopf warf: "Du machst Rap kaputt, du ... du ... du Musiker!" Bloß, dass der das ironisch meinte. Um Ironie, Witz oder auch nur Unterhaltsamkeit schlägt der "Engel Mit Der AK" dagegen einen weiten Bogen. Shindy betet das ausgenudelte Straßenmärchen vom Ex-Ganoven, dem, kaum dass er als Rapstar zu Geld gekommen, die Weiber traubenweise an Backe und Sack hängen, herunter, als habe er sonst nichts mitzuteilen. Was sich allem Anschein nach genau so verhält: "Weiß nicht, was ich sagen soll."

Hoppla, hab' ich da eben Shindy geschrieben? Pardon. Seyed heißt der Typ ja. Erklärt er doch in jedem zweiten Track. "Ich bin Seyed", "einer der" - nein! - gleich "der fresheste Motherfucker", "Fickmaschine Cool Prince Seyed", "Seyed Mohammed fickt jeden Johannes" ... wie komm' ich nur auf Shindy? Muss wohl an Seyeds durchaus existentem Flow liegen. Oder am blasierten Auftreten, das in seinem Fall allerdings deutlich bemühter wirkt. Oder vielleicht doch an den Themen?

Über "Fuck Bitches Get Money" kommt Seyed jedenfalls auch nicht besonders weit hinaus. Mit dicken Autos, dicken Geldbündeln und dicken Strafakten auf dicken Max machen, lockt, auch so ein Mysterium unserer Tage, offensichtlich immer noch eine Sorte Hühner an, die sich flachlegen und erbärmlich behandeln lässt. Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Eigentlich kriegt da doch jeder, was er verdient.

Wenn sich doch einmal eine wehrt und den Spieß umdreht, kann man den obligatorischen Die-Fotze-hat-mich-nur-ausgenutzt-Track einheulen. Der heißt in diesem Fall "Bessere Welt Slut". Mimimi, die Plötzlich-wieder-Schlampe zum Teufel wünschen und dann zurück zur einzigen Frau kriechen, die in den Augen des greinenden Verlassenen Respekt verdient hat. Nur zu, Mama hat ihn sich hart, sehr hart erarbeitet.

Bezeichnenderweise entpuppt sich "Persische Kriegerin", in dem Seyed den Lebensweg seiner Mutter nachzeichnet, als der mit weitem Abstand interessanteste Track. Weil Seyed, wenn auch nicht besonders ausgefeilt, hier Persönliches erzählt, statt abgegriffene Gangsterklischees zu bedienen, mit imaginären Scheinen zu wedeln und dann den "Ghettoblues" zu schieben, weil die ganzen falschen Freunde und die bösen oberflächlichen Weiber auch nur ein paar Kröten und ein Stück vom Ruhm abgreifen wollen. Worin dieser Kerl auch immer glaubt, dass der seine besteht.

Warum Kollegah ausgerechnet ihn ausgesucht hat? "Engel Mit Der AK" bleibt die Antwort auf diese Frage so schuldig wie Abwechslung in den Beats. Dicke Drums, Synthies, hier und da eine geisterhafte Stimme oder gleich ein Chor, und allüberall hypernervös über die Szenerie tickende Hi-Hats: Aufregender wird es auf Produktionsseite nicht. Das Gefühl, wieder und wieder das Gleiche vorgesetzt zu bekommen, stellt sich spätestens nach fünf Tracks ein und lässt sich auch von unterschiedlich schmalzig gesungenen Hooklines nicht mehr vertreiben. Als internationales Zeichen für Jetzt-wirds-nachdenklich dient natürlich auch hier die dröge Klavier-Streicher-Mische.

Auch die Gastauftritte - dreimal Kollegah, einmal Farid Bang, einmal Kurdo - setzen keinerlei Akzente, hinterlassen, wenn überhaupt einen, eher den Eindruck von Pflichtterminen. Von Hunger, Feuer, Begeisterung: nirgends eine Spur. Fällt vermutlich auch schwer, in jemandes Gesellschaft, der ungeniert "Bitch" auf "bald rich" und "Gunschuss" auf "Schampus" reimt und tatsächlich glaubt (oder zumindest so tut), als tauge solcher Murks zur "lyrischen Respektschelle". Lyrik? Am Arsch!

"Ich mach' mit Rap Welle." Wo genau? "Ich hab' 'ne Rapkarriere." Echt? Na, arbeiten gehen wollte er ja nicht, lehrt "Koffer Voller Cash", weil sich im Pausenraum die Gespräche nur um Fußball oder Titten drehten. Zu eingeschränkt für Seyed, der redet statt dessen über "Scheine zählen, Groupies knallen und Rapper zerstören". Viel spannender, verstehe. Was mir hingegen immer noch nicht in die Rübe will: Anders als Bushido bräuchte Kollegah keinen Shindy. Warum also bindet er sich einen Klotz ans Bein, der außer ordentlicher Raptechnik nichts und schon gar nichts Eigenes zu bieten hat?

Vielleicht hätte der Boss besser in Immobilien investiert. Seinem brandneuen Label hat er mit dieser Personalentscheidung jedenfalls schon einen Imageschaden beschert, ehe es überhaupt ein Image hatte. Bin ja gespannt, ob der "Engel Mit Der AK" tatsächlich genug dämliche Käufer findet, dass das hier am Ende doch noch nach einem lukrativen Geschäft für Alpha Music aussieht. Künstlerisch rattert die MP5 - in den Ofen.

Trackliste

  1. 1. Danke Jeannie
  2. 2. Rap Oder Einzelhaft
  3. 3. Number One Newcomer
  4. 4. Tijara Im Pyjama
  5. 5. MP5 feat. Kollegah
  6. 6. Engel Mit Der AK
  7. 7. Kanaks In Den Streets feat. Kurdo
  8. 8. Schlangen feat. Kollegah & Farid Bang
  9. 9. Ghettoblues
  10. 10. Koffer Voller Cash
  11. 11. Bessere Welt Slut
  12. 12. Moralpredigt
  13. 13. Cool Prince
  14. 14. Kein Interview
  15. 15. Alpha Ist Imperium feat. Kollegah
  16. 16. Persische Kriegerin

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