laut.de-Kritik
Bei aller Abgründigkeit kommen poppige Momente nicht zu kurz.
Review von Toni HennigSophia Kennedy fand sich mit ihrem selbstbetitelten Debüt 2017 in vielen Jahresbestenlisten wieder. Zwei Jahre später brachte sie zusammen mit Filmemacherin Helena Ratka unter dem Namen Shari Vari mit "NOW" eine dunkle Disco-Platte heraus und sang für ein gemeinsames Duett mit Stella Sommer namens "Man Weiß Es Nicht Genau" erstmals auf Deutsch. Diese Erfahrungen fließen auch in ihr zweites Soloalbum "Monsters" ein.
Schon der Opener "Animals Will Come" hat etwas Verschrobenes und entführt mit jazzigen Akkorden, schrulligen Orgel-, Gitarren- und Elektronik-Klängen, souligem Gesang und trappigen Beats in die Nacht, während Kennedy in die Rolle einer sterbenden Person schlüpft. Dabei klingt der Sound immer etwas neben der Spur. Den hat die Sängerin und Komponistin zusammen mit ihrem langjährigen Partner Mense Reents (Die Goldenen Zitronen) ausgetüftelt. Ihr Gespür für poppige Momente hat die Wahlhamburgerin, die zwischen Baltimore und einem Kaff bei Göttingen aufgewachsen ist, bei aller Abgründigkeit und Kantigkeit dennoch nicht verloren.
Das verdeutlicht das anschließende "Orange Tic Tac", das sich zwar auch in trappigen Gefilden bewegt, aber mit einem souligen Chorus aufwartet, der Hitqualitäten besitzt. Zudem schlägt sie hier zunehmend politischere Töne an, wenn sie sich im Bezug auf die Klimakatastrophe apokalyptische Bilder ausmalt. Der Tod und die Apokalypse bleiben auch im weiteren Verlauf allgegenwärtig. Es geht aber auch um die Hürden des Erwachsenwerdens in einer Gesellschaft, an der sie kein gutes Haar lässt. So steht etwa im bedrohlich heranschleichenden "Francis" der Homo sapiens stellvertretend für eine Horde von Affen.
"Seventeen" wirkt etwas versöhnlicher, wenn ihre Stimme zu einem stoisch tuckernden Beat und dunklen Großstadtsynthies, die an Jessie Wares "110%" erinnern, butterweich durch den Raum schwebt. Von der souligen Wärme sollte man sich aber nicht täuschen lassen, ringt Kennedy doch in "I'm Looking Up" mit den eigenen dunklen Dämonen, wenn es heißt: "Give me a sign / Ich bin so allein."
Leider lässt die Nummer, die verschleppt trippige Pianotöne durchziehen, während sie ihre Stimme immer wieder klagend erhebt, so etwas wie eine klare Songstruktur vermissen. Auch das folgende "Chestnut Avenue" fällt durch die Cabaret-artigen Einflüsse, die spröde Elektronik und ihrem jauchzenden Gesang ungemein anstrengend aus, kriegt aber gegen Ende, wenn der Track ins Sphärische übergeht, noch einmal die Kurve.
Danach befinden sich Anspruch und Eingängigkeit im Gleichgewicht. In "Cat On My Tongue" pendelt Kennedy zu kraftvollen Hip Hop-Sounds gelungen zwischen Spoken Word und neosouligem Gesang. "Up" klingt, als hätte sich Shirley Bassey im Proberaum von Neu! verirrt und "Dragged Myself Into The Sun" vereint das industrielle Kühle Throbbing Gristles mit albtraumhaften Orgelklängen der Marke Suicide.
Am Ende steht ein Album, das gleichermaßen verstört wie fasziniert und stilistische Grenzen auf aufregende Weise verschiebt. Nur die allzu bemühten Momente in der Mitte verhindern ein Meisterwerk.
1 Kommentar
Großartiges Album. Anwärter für meine Platte des Jahres 2021.