laut.de-Kritik
Puristen und Novizen - setzt euch an einen Tisch!
Review von Ulf KubankeKübelweise Häme und mediale Prügel bezog Brönner für sein Engagement bei X-Factor. Die einen warfen ihm Oberflächlichkeit und Gier vor. Andere sahen eher die Naivität eines musikalischen Don Quijote, der gegen die Windmühlen des Voxschen Zirkus Maximus nicht gewinnen konnte.
Doch wer ihn auf diese TV-Ausflüge und seinen gelegentlichen Hang zu extrem gefälligen Songs reduzieren möchte, tut dem 'German with the Horn' seit jeher Unrecht. Mit dem schlicht "Till Brönner" betitelten elften Album sprengt er alle Ketten des Kommerzkäfigs und schwimmt sich künstlerisch komplett frei.
"Ich glaube, dass in meiner Brust zwei Herzen schlagen. Diese zwei Gegensätze werden aber durch einen roten Faden verbunden." So erklärte uns Brönner vor zwei Jahren im Interview den stetigen Tanz zwischen seinen Veröffentlichungen und den zahllosen Kollabo-Gigs (u.a. mit Günter Sommer) in erfrischend freiem Konzept. Doch diese Platte ist anders.
Ganz und gar anders! Ähnlich wie des Trompeters Beitrag zu "Jazz Seen" verströmt sie einen ganz eigenen Reiz, der Puristen wie Novizen gemeinsam an einen Tisch bringen sollte. Eine fesche Melange aus Hardbop, Modern Jazz, ein wenig Cool Jazz im hochmodernen Produktionsgewand.
Noch nie war Brönners Vorbild, der großartige Freddie Hubbard, präsenter. Letzterer setzte sich ebenfalls gern und häufig zwischen die Genrestühle. Den Spagat zwischen freieren Strukturen der Marke Ornette Coleman und fluffy Smoothjazz tut Brönner ihm auf diesem Album gleich. Melodien wandeln sich in offene Strukturen. Hochkomplexe Tonfolgen versickern nahezu aufreizend lässig in entspannten Harmonien. Es klingt wirklich wundervoll. Wer braucht schon den Nix-Factor, wenn ein solch musikalischer Suchtfaktor möglich ist?
Der Atmosphäre nach meint man mitunter, es stünden die verschiedenen Inkarnation des Miles Davis Quintetts zusammen auf der Bühne. Hie und da fühlt man sich angenehm an Werke wie "Walkin", "Kind Of Blue" oder "In A Silent Way" (Anspieltipp: "Pegasus") erinnert. Sogar dessen seit Ende der 60er eingesetzte Dreiklangmotive finden eine erstaunlich authentische Verarbeitung im Brönnerschen Klangbild.
Doch bevor man nun dem Irrglauben verfällt, der Mann liefere bloß elitäre Nischenmusik ab, greift er punktgenau in jedem Song die wuchernden Instrumentalstränge auf: Einige pointieren sich in schön eingängigen 70er-Themen, wie sie auch von Frank Duval oder Eberhard Schoener stammen könnten (Anspieltipp: "Condor"). Andere erhalten den typischen leichten Brönner-Cocktail-Touch oder angezuckerte Streicher aus den glorreichen CTI-Zeiten großartiger Seventiesproduktionen ("The Gate").
Und ausgerechnet diese Stücke, die ihm in Jazzkreisen seit jeher den Ruf des Weichspülers einbringen, begründen den verzaubernden Kontrast. Das Yin braucht sein Yang, damit es rockt. E Basta! Noch nie habe ich die zwei Musikseelen in seiner Brust so grandios vereinigt gehört. Besonders den Freunden seiner "Blue Eyed Soul"-Scheibe sollte dieses gar nicht mal dreckige Dutzend das Herz aufgehen lassen. Denn obwohl der gebürtige Viersener 2012 nur noch sporadisch Nu Jazz-Elemente in seiner Klanglandschaft wildern lässt: Die CD ist in ihren dynamischen Momenten verdammt groovy.
Wem es hingegen nach etwas mehr Entspannung gelüstet, wird ebenfalls nicht im Regen stehen gelassen. Auf die emotionalen Momente im gedrosselten Balladentakt konnte man sich bei Till stets verlassen. Und das nicht erst seit der anmutigen Tränenziehervariante von Bowies "Space Oditty" anno 2010. Mit "Lazy Afternoon" bekommt der Hörer einen gut abgehangenen Leisetreter an die Hand, wie man ihn sich in entsprechender Stimmung eben wünscht.
Es macht viel Spaß zu sehen, wie ein Mann, der anderen den Juror gab, es sich als einziger weit und breit in der gesamten teutonischen Juryriege von Connor über Pelham bis Nena "leisten kann, überhaupt künstlerische Ratschläge an Dritte zu verteilen. Brönner kann, weil er im Kontrast zu jenen alle Regeln, die er anderen abverlangt auch selbst spielend beherrscht . Die kuhäugige Überforderung, die sich dem Zuschauer bei allen Castingformaten präsentiert, ist TB so wohltuend fremd wie es Miles Davis die Abstinenz war.
Sollte Till Brönner das Grauen der Castingshows benötigen, um solche Platten vorzulegen, dann darf er die derzeitige Riege gern wieder ablösen. Die Platte geht als seine mit Abstand souveränste Gesamtleistung überhaupt durch.
4 Kommentare
Der Rezension ist nichts hinzuzufügen, genau so ist es!
Ich habe so eine Platte von Herrn Brönner nicht mehr erwartet.
Und: Er singt nicht!
er singt nicht? ok, dann kann man sie anhören ...
Und Herr Kubanke, ist das aus Ihrer Sicht nun Brönners "Khmer"?
ja