laut.de-Kritik

Götter aus dem All oder Lord Helmchens? Ein Pro und Contra.

Review von

An Daft Punk scheiden sich die Geister. Auch innerhalb der Redaktion. Eberhard Dobler mag "Random Access Memories". Sven Kabelitz eher nicht. Pro und Contra:

Pro: So humanoid spielte die Daft-Disko noch nie

Es ist simpel: Wer die poppig interstellare Reise nach dem legendären Street-House-Inferno "Homework" verschmähte, war beim rumpelnden Wiedereintritt in die Atmosphäre nicht mehr an Bord. Ergo klettert er mit Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo nun auch nicht aus der Raumkapsel. Daft Punk sind wieder Zuhause: Da passt es, dass der letzte Track "Contact" die Apollo 17-Besatzung zitiert - bevor sie vom Mond in Richtung Heimatplanet abhob.

Dort angelangt, steht ein beeindruckendes Empfangskomitee Spalier - vieles, was auf "Random Access Memories" anders oder neu klingt, hat mit den zahlreichen Kollabopartnern zu tun. Das französische Duo gab Sessionmusikern wie Promis viel Raum, und diese machen den Unterschied: Denn Daft Punk ließen im Prinzip alles live einspielen, bevor sie zur Postproduktion schritten. So ist auch der im Titeltrack formulierte Anspruch "Give Life Back To Music" zu verstehen.

In teils ausufernden Sessions drängen Livedrummer, Bass- und Gitarrensoli oder Streicher in den Vordergrund, etwa bei "Giorgio By Moroder", einem der auffälligsten Tracks. Der Neunminüter, in dem die Karriere des Südtirolers, von ihm selbst erzählt, dokumentarisch eingearbeitet ist, geht als Progressive-Track durch. Und wann tobte sich im French-House schon mal ein Livedrummer aus ("Contact")? Ausgerechnet bei dem Track, der mit in den Hintergrund gerückter, gefilterter Four to the floor-Bassdrum gegen Ende für einen Augenblick an "Revolution 909" erinnert, also an Daft Punks Morgendämmerung.

Denn hört man genauer hin, verrichten tief unten im Maschinenraum noch immer dieselben Steuereinheiten ihren Dienst: Die 70er- und die 80er-Jahre, ein stets präsenter funky Feel, das typisch französische House-Verständnis, Keyboards mit hohem Wiedererkennungswert und natürlich Robot-Vocoder bilden einen relativ dehnbaren Rahmen.

Und so erinnert dann die ein oder andere Harmonie respektive Balladen wie "The Game Of Love" oder "Within" an "Discovery", den Beginn der Roboterwerdung. Auch Todd Edwards schlägt die Brücke zu Album Nummer zwei: "Fragments Of Time" läuft runter wie Öl.

Für eine Erweiterung des Klangspektrums sorgt das straighte, wunderbar melancholische "Instant Crush" mit Julian Casablancas. Der Track klingt, als würden Daft Punk die Strokes covern. Oder beide Bands einen neuen Song einspielen. Die Kollabos mit Pharrell erweitern das Daft Punk-Universum gleichfalls: "Lose Yourself To Dance" kommt mit einem dicken, gebrochenen Clubbeat daher und würde durchaus auf ein N.E.R.D-Album passen - wenn die Robots dann mit Pharrell im Duett singen, klingt das eben extraordinär. Die Single "Get Lucky" komprimierte das Gesamtkonzept der Platte vorab aufs Single-Pop-Format.

"Touch" führt als eine Art House-Musical unterschiedliche Parts und Tempos zusammen, den Begriff prägten Bangalter und Homem-Christo einst selbst. Das Streicher-Score-Intro von "Beyond" lassen Daft Punk dann in einen legeren Robot-Popfunk münden. Die Kollabo mit Panda Bear klingt dagegen vergleichsweise sperrig und reduziert.

"Random Access Memories" ist ein im Daft-Kontext abwechslungsreiches Album geworden, gerade im Vergleich zum Vorgänger, der die Prinzipien Repetition und Robot Rock vergleichsweise körnig und grob ausformulierte. Man kann nun hingehen und zwischen persönlichen Favoriten und vermeintlichen Füllern (etwa das instrumentale "Motherboard") unterscheiden. Das würde dem Albumkonzept allerdings wenig gerecht, denkt man an die vielen in den Vordergrund gerückten Stimmen und Liveinstrumente. So humanoid spielte die Daft-Disko jedenfalls noch nie.

Viel erstaunlicher bleibt, dass es das französische Duo auf jedem Album schafft, irgendwie nach 'Mehr' zu klingen, was angesichts einer Veröffentlichungspolitik von vier Platten im Laufe von demnächst zwei Jahrzehnten wahrlich kein Fehler ist. Bei "Random Access Memories" liegt das vermutlich am perfekten, kristallklaren Klang und der High-End-Produktion: Man liest von 250 Spuren für einen Track wie "Touch". Spektakulär unspektakulär, so sind Daft Punk.

Pro-Review von Eberhard Dobler

Contra: Der bittere Nachgeschmack von Saccharin

"We're up all night 'til the sun / We're up all night to get some / We're up all night for good fun / We're up all night to get lucky." Über Wochen hinweg plärrt mir Pharrell Williams ins Ohr, ich möge glücklich sein. Aber gefälligst sofort. Kein Entkommen. Mit jedem weiteren Durchlauf dieser durchwachsenen Chic-B-Seite steigt in mir der unauslöschliche Wunsch empor, mich in den Keller zu verziehen und die gesamte Nick Cave-Discography zu hören. Zweimal. Mögen die restlichen Schlümpfe ruhig in den Sonnenuntergang tanzen. Ich bin Muffi Schlumpf. Ich hasse "Get Lucky".

Mit Hilfe unzähliger Features wie Nile Rodgers, Julian Casablancas, Gonzales und Panda Bear greifen Daft Punk nach der Goldmedaille. "Reach out / Reach out for the medal / Reach out / Reach out for the gold." Doch beim Schnauzbart von Giorgio Moroder, alles was sie am Ende in der Hand halten ist eine schnell schmelzende Schokomedaille, die sich bei sämtlichen langweiligen bis verachtenswerten Sounds der späten 1970er und frühen 1980er bedient. Am Ende von "Random Access Memories" können wir uns nur herzlichst bedanken, dass sie nicht auch noch Ashford & Simpsons "Solid" ausgegraben, neben Starships "We Built This City" wohl eines der größten Verbrechen am Kulturgut Popmusik.

Jaja, unsere beiden Lord Helmchens setzen nach dem Tron-Soundtrack nun vermehrt auf Spaß und Liveinstrumente. Geschenkt. Das macht diese abgeschlaffte Ansammlung an Liedchen nicht besser oder schlechter. Tokio Hotel werden auch nicht besser, nur weil die Kaulitz-Brüder wissen, wie herum man eine Gitarre halten muss.

Den Einstieg zur Rollschuhdiskohölle geschieht über "Give Life Back To The Music". Bei allen Verdiensten, die Nile Rodgers in seiner langen Karriere zukommen, eigentlich eine Schande ihn immer und immer wieder auf die ewig selben Chic-Grooves zu reduzieren.

Doch wirklich übel wird es erst im darauf folgenden "The Game Of Love". Das Spiel der Liebe verwechselt Sexiness mit Schmierigkeit. Selbst für Soft-Porno-Produzenten dürfte das Ding mit seinem nervigen Vocoder-Gesäusel zu seicht sein. Es besteht die Gefahr, dass die Akteure beim Liebesspiel einpennen. Ebenso ergeht es dem schnarchnasigen "Within". Betrachtet man das restliche Arrangement wirft Gonzales am Klavier Perlen vor die Säue.

Diesmal schrecken die Abercombie & Fitch der Elektromusik vor nichts zurück. Für "Instant Crush" recyceln sie Alan Parsons Projects "Eye In The Sky", nur um darüber die wohl abscheulichste Performance des Strokes-Sängers Julian Casablancas zu legen. Die Mischung aus Vocoder und Casablancas schmerzt dermaßen, dass ich darüber nachdenke, mir Zement in die Ohren schütten.

Braucht es 2013 wirklich eine seelenlose Hall & Oates-Nummer wie "Fragments Of Time"? Die waren doch 1982 schon nur blasswangiger Radioschlonz. Der Soundtrack des aalglatten und koksnäsigen Yuppietums. Warum sollte ich heute etwas abfeiern, das mir vor 30 Jahren schon auf den Senkel ging? Das ist mir einfach zu hoch.

Das einschläfernde "Motherboard", dessen Gedudel einem aus jedem Esoterik-Laden entgegen strömen könnte, als "futuristic composition, referencing the year 4000" zu bezeichnen bleibt in seiner Frechheit zumindest lausbübig. Es scheint fast so, als gehöre es neuerdings zum guten Ton, solch rückwärtsgewandte, einfallslose Kompositionen als 'next level shit' zu verkaufen.

"Random Access Memories" umgibt der rattenfängerische Glanz von Las Vegas. Vom hellen Licht geblendet, fällt uns nicht mal mehr auf, dass wir schon lange nicht mehr der Musik von Bangalter und de Homem-Christo lauschen. Heimlich haben sich Siegfried und Roy unter ihre Masken geschmuggelt.

Zur übertrieben pathetischen Plastikgeigen-Eröffnung von "Beyond" schwebt Liberace auf die Bühne. Sobald in "Touch" das Westernpiano anfängt zu klimpern, rechne ich endgültig mit dem schlimmsten. Barry Manilow entert die Bühne und trällert sein "Copacabana". Dem Wahnsinn nahe schmeiße ich mit Plastik-Flamingos durch die Gegend. Das ist nicht gut, das ist nicht schlecht, das ist einfach nur grotesk.

Noch mal zurück zu "Beyond". Die Kunst des Samplens liegt darin, aus einem oft nicht einmal sonderlich guten Stück etwas besonderes zu formen. So schaffte es Warren G 1994 aus dem bornierten Blue Eyed Soul von Michael McDonalds "I Keep Forgettin' (Every Time You're Near)" "Regulate" zu basteln. Doch er hatte eine Story, eine neue Hook und vor allem Nate Dogg zu bieten.

Fast zwanzig Jahre später haben Daft Punk nach dem bereits erwähnten theatralischen Beginn außer dem üblichen Vocoder-Stimmchen und ein paar immerhin netten Keyboardpassagen nichts hinzuzufügen und nudeln den Groove fünf Minuten lang zu Tode. Dann greife ich sogar lieber auf das Michael McDonalds-Original zurück.

Doch wenigstens zwei Tracks reißen ihre Arme aus dem muffigen Gräbern von Daft Punks viertem Longplayer empor. Sie wollen leben. Das als Interview beginnende "Giorgio By Moroder" mit Hansjörg himself, eine Zeitreise durch die Musikgeschichte der letzten Jahrzehnte, überrascht mit bemerkenswerten Breaks, einer ausufernden Dynamik, einer ordentlichen Portion Deep House, einem derbsten Basslauf und garstig verzerrter Gitarre.

Unter "Contact" zerbersten zum Ende ganze Planeten. Ein ehrfürchtiger Kubrick-gleicher Ritt durch das All und ohne Übertreibung wohl eine der besten Schlussnummern ever. Beide Songs trägt Quinns grandiose Schlagzeugarbeit.

Letztendlich bleibt von "Random Access Memories" nur der bittere Nachgeschmack von Saccharin. Die zwei besten Tracks vergegenwärtigen nur die Größe des Scheiterns im weiteren Verlauf des Longplayers. Wer so etwas feiert, trägt auch Flip Flops und mampft angegammelte Ed von Schlecks. "Like Ice In The Sunshine"-Musik in Slow Motion.

Daft Punk kamen nach Hause und fanden in Mamis Mikrowelle den alten Disco-Mampf, der einst den Soul und Funk getötet hat. Den haben sie dann brav aufgewärmt. Aber in der Mitte ist er noch kalt. Get am Arsch die Räuber. Get Fucked.

Contra-Review von Sven Kabelitz

Trackliste

  1. 1. Give Life Back To Music (feat. Nile Rodgers)
  2. 2. The Game Of Love
  3. 3. Giorgio by Moroder (feat. Giorgio Moroder)
  4. 4. Within (feat. Gonzales)
  5. 5. Instant Crush (feat. Julian Casablancas)
  6. 6. Lose Yourself To Dance (feat. Pharrell Williams And Nile Rodgers)
  7. 7. Touch (feat. Paul Williams)
  8. 8. Get Lucky (feat. Pharrell Williams And Nile Rodgers)
  9. 9. Beyond
  10. 10. Motherboard
  11. 11. Fragments of Time (feat. Todd Edwards)
  12. 12. Doin' it Right (feat. Panda Bear)
  13. 13. Contact (feat. DJ Falcon)

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81 Kommentare mit 7 Antworten

  • Vor 11 Jahren

    Habe mit 4 Sternen gerechnet, aber einer weniger ist wohl der Kompromiss zwischen Pro und Contra.

  • Vor 11 Jahren

    Ich bin bei Sven: Für mich ist das nicht das best of Disco, sondern das belangloseste of Disco. Nicht wirklich schlecht, dass man es abschalten wollte, wohl aber eher weil es zu langweilig ist. Super Musik für die Cocktail-Party von Werbern, leider. Einzig in Sachen "Get Lucky" bin ich nicht der Meinung vom Contra-Rezensenten: Das hat wenigstens etwas punsh, wobei es wahrscheinlich doch ziemlich schnell zu Tode gedudelt wird. Und ja: Hall and Oates-Sound war schon in dern 80ern ziemlich abgeschmackter USA-Mainstream, den man mir 2013 nicht als den nächste heißen Scheiss verkaufen muss. Sonst würde mir auch die neue Killers goes Bon Jovi Platte gefallen!

  • Vor 11 Jahren

    Man kann das Album tatsächlich aus verschiedenen Sichten bewerten. Aber beim Contra Bericht hatte ich das Gefühl, dass der Autor mehr nach neuen Adjektiven und Schimpfwörtern gesucht hat als sich mit der Musik zu verfassen, eine konstruktive Kritik zu schreiben und wirklich herauszuarbeiten was in seinem Sinne die Qualität mindert...

  • Vor 3 Jahren

    Für mich eine der besten Platten im Genre. Perfekte Mischung aus Live-Musik & Electronic.

  • Vor 3 Jahren

    Hehe, lustig! Gerade die 2 laut Sven angeblich besten Songs des Albums nerven mich daran als einzige. Finde "Game of Love" einfach nur gut. "Get lucky" wurde einfach zu of gedudelt ... mir gefällt das Album ... es ist einfach eine gute Mischung aus "digitaler" und "analoger" Musikkunst.

  • Vor 2 Jahren

    Ein extrem abwechslungsreiches Album mit nervigstem Ohrwurm des Jahres, den man inzwischen nostalgisch wieder hören kann, denn er ist echt gut gemacht. Der bewegenste Song ist IMHO "Touch" von/mit Paul Williams, der von Singer/Songwriter über Disco und Orchestermusik inkl. Synthies, die als einzige wirklich nach Daft Punk dezent im Hintergrund klingen alles abdeckt, was man mit der 70er Legende verbindet. Auch sehr gut gelungen ist die Moroder Kollaboration, bei der man den Mann einfach mal erzählen lässt und so der elektronischen Musik ein Herz verleiht. Das scheint auch das Thema des Albums zu sein: elektronische Musik mit einem Herz zu versehen. Ein absolut gelungener und versöhnlicher Abschluss einer steilen Karriere, wie wir nun wissen.