laut.de-Kritik

Der klassischste Trip Hop seit Massive Attack.

Review von

Der Hype um Greentea Pengs Debüt "Man Made" hat viele Gründe. Die geheimnisvolle Newcomerin, deren bürgerlicher Name, Alter und Geburtsdatum man dem Management zufolge nicht nennen darf, fällt 2020 auf dem Mixtape von Mike Skinners The Streets als Gast auf. Inmitten einer immer stärker mit Grime vollgesogenen UK-Rap-Szene liefert sie den klassischsten Trip Hop seit den 90er-Massive Attack.

Dabei einen die Tracks zwar schiebende Bässe, Loop-Effekte, rollenden Groove und psychedelische Fragmentierung, vielseitig fallen sie trotzdem aus. Denn die Londonerin vermischt den Trip Hop mit einem Rundumschlag: P-funky Acid-Jazz ("This Sound"), Hardbop- und Electroswing-Inspiration ("Satta"), stolpernder Souljazz-Ragga ("Nah It Ain't The Same"), satter Drum'n'Bass ("Free My People (feat. Simmy + Kid Cruise)", "Meditation"), Downtempo-Bummelsound ("Be Careful", "Mataji Freestyle"), Jazzrap-entlehnte Scratchings ("Dingaling"), Folksoul-Balladen-Groove mit geklampfter E-Gitarre ("Maya"), ein Kontrabass-Spoken Word-Manifest ("Poor Man Skit"), Jungle-Zitate im "Jimtastic Blues" und Badu'sche Slow-Mo-Softness im Titelstück "Man Made".

Überhaupt zeichnet sie Parallelen zu Badu, der Ikone des Neo-Souls, und dem gesamten Subgenre: Stilistische Merkmale, mystische und mysteriöse Aura, um Räucherstäbchen kreisender Lifestyle, Unnahbarkeit. Den Sinn findet man im Loslassen, wie der sieben Minuten lange Wörter-Flow "Meditation" formal unterstreicht.

Und das Timing passt perfekt, denn von den meisten großen Interpret*innen des Hip Hop-flavoured Neo-Souls hört man schon lange kaum Neues. So auch nicht von Nneka, mit der sie eine ganze Menge teilt: Reggae-Dub-getriebene Rhythmik, Songwriting mit vielen Strophen, vor Content platzend, Paradoxie zwischen sanft und pointiert, endlose Unschärfe zwischen den Genres, hohe Bassaffinität, anthroposophischer Humanismus, eine doppeldeutige Attitüde zwischen Naivität und Dominanz, die Chance auf den 'Gamechanger'-Status im Urban-Music-Markt.

In der Ära des intersektionalen Feminismus ergattert Greentea zwar als weibliche Interpretin besonderes mediales Echo, doch erzählt sie selbst, sie spüre eher ihre männlichen Energien. "Greentea sagt, sie öffnet euch die Augen", stellt sie im Opener "Make Noise" forsch und frech klar. Der Titelsong "Man Made" übt Kritik an Politiker*innen, die im Fernsehen lügen. Ihre Lyrics sind inhaltlich weniger provokant, als sie glauben machen wollen. Vielmehr verzückt ihre auffallende Stimme und faszinieren die originellen Reime.

Sie wirkt woke, dope, smooth, stachelig, cheesy, verführerisch und untouchable zugleich, wie Protestsängerin und Hedonistin in einer Person. Einerseits passiv in einer Opferrolle und im nächsten Moment wieder souverän über den Dingen stehend, reif, aber bisweilen auch kindlich-unschuldig, etwa in "Earnest". Als Anspieltipp repräsentiert dieser Track alle Facetten des Albums, auch wenn alle 18 Stücke definitiv flashen und Seele haben. Sie funktionieren sowohl einzeln, als auch im Verbund als mitreißendes Mixtape.

Greentea spittet mit ihren Zeilenübersprüngen dabei mehr als nur Lines: Es sind Abschnitte, große Brocken, die rhythmisch, sexy und scheinbar leicht dahinfließen: "Broken mothers broken daughters won't have the strength to move forward" ("Suffer"), "And in the streets, therе is mumblin' / I feel your narrative crumblin' / May Kali's fire burn you down / Rid this land free of rotten crown / I'm rеady to make a new sound, I, I / Can't contribute to the lies in this fickle paradise" ("Kali V2").

Zudem bestechen hochwertige Produktion und angenehme Abmischung. 90er-Nostalgiker, etwa Stereo MC's Fans, werden ihre Freude haben. Diesen vergleichbar zieht die Newcomerin ihre charismatischen Kaskaden deep, down und dirty durch. Wobei Beats und philosophische Gedanken gleich starke Sparring-Partner sind.

Als sinnliche Hörerfahrung sticht "Man Made" somit grell aus der Masse der unvollendeten bis überproduzierten Autotune-Trash-Veröffentlichungen in diesem Jahr heraus. In "This Sound" behauptet die Künstlerin zu Recht, ihr Musikstil sei "physical" und "prolificical". Mit dem Mut edel statt abgeranzt zu subwoofen, wirkt ihre punktuelle Sozialkritik nicht wie Gejammer, sondern eher vergnügt, humorvoll belustigt, nach dem Motto 'Ich hätte es euch ja immer schon gesagt, aber jetzt erst hatte ich Zeit dafür'. Und ihre Künstlerinnenname passt eh perfekt zu Sound und Attitüde.

"Man Made" stellt eines der wichtigsten Alben des ersten Halbjahres 2021 dar. Greentea erinnert wieder daran, wieviele afrokaribische Einflüsse in elektronischer Musik stecken und in England schon vor 30 Jahren in vielen Subgenres aufkreuzten. Londons elektronische Musik wird viel oft als weiße Musik und reduziert auf Beats und Technologie verstanden, was historisch nicht richtig ist. Greentea Peng stellt sich so – trotz ihrer selbstgewählten R'n'B-Zuordnung - in die Tradition mancher WARP-Acts wie Nightmares On Wax. Neo-Soul und Trip Hop sind wieder relevant. Danke dafür!

Trackliste

  1. 1. Make Noise
  2. 2. This Sound
  3. 3. Free My People (feat. Simmy + Kid Cruise)
  4. 4. Be Careful
  5. 5. Nah It Ain't The Same
  6. 6. Earnest
  7. 7. Suffer
  8. 8. Mataji Freestyle
  9. 9. Kali V2
  10. 10. Satta
  11. 11. Party Hard Interlude
  12. 12. Dingaling
  13. 13. Maya
  14. 14. Man Made
  15. 15. Meditation
  16. 16. Poor Man Skit
  17. 17. Sinner
  18. 18. Jimtastic Blues

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6 Kommentare mit 14 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    So betont woke wie er schreibt, hats Philipp bestimmt nicht leicht mit den Damen. Verzweiflung kommt aber idR. nicht so gut an.

    Die Platte ist jedenfalls stark. Am Hype ist was dran.

    • Vor 3 Jahren

      Hope so, könnte der Soundtrack zum WE werden

    • Vor 3 Jahren

      Weil er den Begriff "intersektionaler Feminismus" benutzt hat?

    • Vor 3 Jahren

      Z.B.

      Wenns in der Musik darum geht, lohnt es sich, das zu erwähnen. Das feministische Fernglas ist nur stellenweise etwas albern. Wenn ein Redakteur die Farbe "Grün" total supi findet, kann er sie natürlich jederzeit so oft es geht erwähnen. Ach, da hat der Gitarrist was Grünes getragen, ach, die Bassistin spielt nen grünen Bass, oh, da hat der Sänger was von ner grünen Wiese erzählt!
      Ist überhaupt nicht schlimm, nur halt etwas amüsant ;)

    • Vor 3 Jahren

      Und deswegen meinst du jetzt, den Rezensenten dumm anblöken zu müssen?

    • Vor 3 Jahren

      der ragi ist halt der typische alman, immer nur am meckern :P

    • Vor 3 Jahren

      Weiß ja nicht, wie viele Pin Ups bei Dir hängen, oder ob Du regelmäßig mit den Bros aus der Muckibude herumfeixt. Aber für mich ist es auf eine harmlose Weise drollig, in solche romantischen Schwierigkeiten mit Frauen zu geraten.

    • Vor 3 Jahren

      Gut, ob's jetzt blökend oder drollend gemeint war, der Zusammenhang zwischen einem dir nicht gefälligen Vokabular bzw. dem Feminismusbegriff und dem spelulativen Beziehungsleben des Autors erschließt sich mir immernoch nicht so wirklich.

    • Vor 3 Jahren

      Es ist ja nicht das Vokabular, sondern daß es nichts mit der Platte zu tun hat. Es handelt sich um eine Künstlerin, was für den Autor schon für die Assoziation "Feminismus" reicht. Darum hab ich gewitzelt, daß er sich so an Frauen anbandeln will.

      Bill Burr hat das Verhalten schon mal ganz nett zusammengefasst. Erstens kann man sich als weißer Mann ebenso gut für einen "Feministen" halten wie man sich "Black Panther" nennen kann. Und zweitens seien diejenigen, die sich betont und ungefragt in die Nähe des Feminismus bringen, notgeilen Teenagerjungs gar nicht so unähnlich, die denken: "Vielleicht faßt sie ihn ja an, wenn ich zu allem ja sage und alles fanz toll finde, was sie sagt..." ;)

    • Vor 3 Jahren

      'Es handelt sich um eine Künstlerin, was für den Autor schon für die Assoziation "Feminismus" reicht.'

      Dann lies dir den Satz vielleicht noch einmal durch.

      Hat Bill Burr eigentlich auch irgendetwas Lustiges zu sagen über Leute, die jedesmal, wenn irgendwo ein geschlechtsbezogenes, progressiveres Wort fällt, zwanghaft und kontextüberlesend meinen, sich darüber herablassend äußern zu müssen?

    • Vor 3 Jahren

      Der Kontext ist schon richtigerweise ein anderer. Mein Kontext ist aber, daß auf laut.de völlig ohne Grund in viele Nachrichten und Rezensionen "Feminismus" hineingequetscht wird, auch wenn es so gar nicht darum geht. Wäre es die Farbe Grün, wäre es ebenso albern.

      Kann sein, daß Bill Burr auch mal was über mich gesagt hat. Oder halt über andere, die gerne gegen Studenten und andere neunmalkluge Ewiggestrige ohne Kontakt zum Boden treten. Solange "Frauen" und "Feminismus" ohne Anlaß ein Dauerthema sein sollen, werden sie immer Das Andere sein, und nicht bloß Menschen.

    • Vor 3 Jahren

      @Ragism Erst mal danke für deine Analysen und die provokative Verkürzung oben im Anfangs-Post des Threads. Finde deine Beobachtung als angesprochener Autor durchaus auch amüsant, ebenso dein Festhalten am ß der alten Rechtschreibung. Ich hätte zwar einiges zu ergänzen, aber das sieht dann so aus, als ob ich die Deutungshoheit über meine Worte und Person beanspruchen würde; deswegen halte ich mich mal zurück, lese neugierig mit und schaue, was noch so kommt. Mit Greentea Peng würde ich weder optisch was anfangen können, noch charakterlich auch nur ansatzweise mit ihr harmonieren, FYI, wenn dir das irgendwie hilft oder das die Information war, die dir noch gefehlt hat.

    • Vor 3 Jahren

      Ragism hält sich auch für deutlich gewitzter als er ist...

    • Vor 3 Jahren

      Ist das Leben öd und fade, komm zur laut'schen Schwanzparade!

    • Vor 3 Jahren

      Danke für die Antwort, Phil. Und nein, als Liebesbrief hab ich die Rezension nicht gesehen.

      Worauf es mir ankommt, ist einer dieser BILD-Zeitungs-Effekte. Man berichtet permanent über Thema X und schreibt dann, es werde ja überall und permanent über Thema X geredet. Dabei handelt es sich idR. nur um die selbst produzierte Blase. Das betrifft nicht explizit Dich (an anderer Stelle hatte ich Dich noch als etwas vorbildlicheres Beispiel genannt), sondern um diese vermeintlichen Progressivitätsthemen von laut.de, die seltenst mal eine Grundlage haben.

      Das ß ist ein guter Freund, denn damit muß man kein SS schreiben.

  • Vor 3 Jahren

    Jungle & Drum'n'Bass verzeichnen auf der Insel wohl seit geraumer Zeit ein Untergrund-Comeback, weiß seit dieser Woche gar der altehrwürdige Guardian zu berichten...

    Bin dennoch froh, dass diese Platte überwiegend der elektronischen Tempi-Counterculture von Massive Attack, DJ Shadow, Tricky etc. Mitte der 90er Jahre folgt.

    Heavy rotation in my room in my fugitive motel. :)

  • Vor 3 Jahren

    Gefällt, aber Elektronik oder gar Drum&Bass höre ich da fast gar nicht raus, eher organisches/jazziges Mid-Tempo.

  • Vor 3 Jahren

    Vocals so meh für mich und Sound nicht annähernd so dicht wie MA. Aber ich glaube Lauti würde es gefallen. Lautiii!

  • Vor 3 Jahren

    Ne solide 3,5-4/5

    Ist cool mal wieder neue Veröffentlichungen mit dem Sound zu haben, aber an die großen aus Bristol kommts mMn nicht ran