laut.de-Kritik
Englands neue Stimme für Neo-Soul und R'n'B.
Review von Philipp KauseMahalia Burkmar geht ins Gericht mit Zeit vergeudenden Surf-Sessions, in denen Connections mit virtuellen Personen das echte Leben ersetzen. "I spend so much time on the internet, talking to people that I don't really know", wundert sie sich in "Isn't It Strange?" "IRL" gräbt musikalisch weit zurück in die Zeit von Mahalias Geburt, 1998, als die Stars der Stunde Aaliyah und Erykah hießen. Hier verortet sich der Sound des Albums, in den sanftesten Momenten des Neo-Soul, den weichsten Wendungen des R'n'B. "In My Bag" maunzt ein bisschen in der Manier von Badus "Bag Lady", groovt in den oldschooligen Vibes von "One In A Million". Aus ihrer Tasche kramt ihre Besitzerin nur Optimismus. Weil sie aus sauren Zitronen süße Limonade mixt.
Mahalia macht Altes mit Texten von heute. Sie ist Teil einer kleinen Welle, die mit Kali Uchis begann und mit Olivia Dean, Ari Lennox, Sera Kalo, Greentea Peng, H.E.R. und vielen anderen so tut, als wäre die Zeit stehen geblieben. Die Schmuse-Sounds der ausgehenden 90er und frühen Nullerjahre, der Yogamatten- und Schlafzimmer-Soul klingen hier präsenter als in den 15 Jahren dazwischen, und während die fast vergessene Corinne Bailey Rae sich vor ein paar Tagen mit Brachial-Punk zurückmeldete, beerbt Mahalia sie rechtzeitig.
Vor zwölf Jahren unterzeichnete das Mädchen aus Leicester einen Plattenvertrag. "Thirteen with the big dream / and Daddy said I could be anything", wie es in ihrer Nummer "Proud Of Me" mit Little Simz einmal hieß. "Thirteen with a big dream / Of bein' in a big scene, in a big city / Singin' songs that they sing with me", wie es jetzt im neuen Titelsong "IRL" lautet, kurz für "in real life". Mit 25 legt sie jetzt ihr zweites Album vor, der "big dream" wird wieder wahr. Kojey Radical gehört zu diesen Leuten, "singin' songs that they sing with me", JoJo ist in "Cheat" an Bord, Stormzy mischt in "November" mit. Für all das war Mahalia längst "Ready".
Der Opener mit minimalistischem Schwarz-Weiß-Video mit Mikrobewegungen weist glasklar die Richtung. Die Songstress macht nicht auf Hampelmännchen, "I'm listening to my own voice only". Dass sie auf einem Major-Label musiziert, ändert nichts daran, dass die Background-Choräle und California-Sunshine-Synths ein Classic-Soul-Arrangement nach Art von Roy Ayers malen und nur ein paar dezente Echo-Effekte den inoffiziellen Formatierungsvorgaben von Spotify Tribut zollen.
Mahalia ist mehr der Typ 'fokussierte Texterin' als Typ 'TikTok-Clown', eine Underperformerin in diesen Tagen, eine mit mäßigen Klickzahlen, jedoch dem Potenzial zum Weltstar, eine mit geringem Bekanntheitsgrad, aber meist geschmackvoll produzierten Tunes.
Insbesondere die letzten drei Tracks liefern die Crème de la Crème, die man sich im Genre erträumen kann: stimmlich schön, lyrisch im Flow, Arrangements zwischen India.Aries "Acoustic Soul" ("Goodbyes"), pulsierendem Downbeat ("Lose Lose") und sinnlichen Claps und Layers ("IRL"). Alle drei bauen ganz klassisch auf dem auf, womit es für den Folk-Fan-Teenie einst losging: Die Akustikgitarre griff sie sich zum Komponieren, beim Texten ließ sie sich stets von inneren Eindrücken leiten. Mahalia lässt die Zeilen einfach sprudeln, reiht Introspektives und Intuitives aneinander, arbeitet die Widersprüche heraus, die wir oft in uns tragen und mit denen wir Mitmenschen verwirren.
Diese Paradoxien bekommen eine schöne flauschige Ummantelung spendiert, Arrangements, die streicheln und die Seele wärmen. "Terms And Conditions" trumpft dabei als das "No Scrubs" von 2023 auf, Urban Groove anderthalb Generationen nach TLC. "Cheat" kann man wohl wegen der altbackenen Zimmereinrichtung im Video in den Nineties verorten und wegen der üppigen Streicher fast mit Brandys und Monicas "This Boy Is Mine" verwechseln.
In der Album-Mitte versinkt das ganze Anliegen von "IRL" dann leider im schläfrigen Taumel nach einer der in den Lyrics beschriebenen durchzechten Nächte: "Tequila with no chaser", "taking shots like Scottie Pippen", "going for a late night dance in a little unknown bar (...) I'm always tired but I stay up late". Ein Tune wie "Wassup" schreit danach, die Verkaufsflächen von Fast Fashion-Ketten zu beschallen. Er ist nett, bietet jedoch überhaupt nichts Besonderes außer dem üblichen Dreisatz aus Drum Machine, sehnsüchtig schmachtendem Seducer-Girl und schüchternem Boy, der Signale übersieht und sich vorschnell in der Friend Zone wähnt, als ein paar super aufgestylte Kerle den Club betreten.
In Summe serviert Mahalia angenehm gewürzte Häppchen, von denen manche knackig, andere glibberig eingeweicht wirken. Die Konsistenz des Ganzen ist uneinheitlich. Trotz ausgesprochen schöner Nummern verstreichen die gesamten 45 Minuten langatmig und setzen zu selten wirkliche Impulse. Zum Entspannen eignet sich "IRL" gut. Das Album zielt nicht auf billige Hookline-Erfolge und wirkt relativ authentisch, gemessen am Genre- und Label-Umfeld.
Tatsächlich schmerzt ein bisschen, die Platte nicht mehr loben zu können, doch dafür fehlt es an echten Anhaltspunkten. Die künstlerische Intention hingegen finde ich toll: "Mahalia möchte ihre Hörer:innen so fühlen lassen, wie eine ältere Generation von (singenden) Verliebten sie in ihren Lovesongs fühlen ließ – Bonnie Raitt in 'I Can't Make You Love Me' etwa oder Anthony Hamilton in 'Charlene'", erzählt der Promo-Text. Cool, wenn eine 25-Jährige eher nicht sooo bekannte Lieder ihrer Eltern-Generation zu schätzen weiß und als Qualitätsmaßstab ihrer Werke heranzieht, Respekt! Alle Album-Tracks von Mahalia übertreffen das genannte Anthony-Stück aus dem Jahr 2003 haushoch.
Mehr Tempo würde aber trotzdem nicht schaden: Die Vocals der Soul-Princess haben Biss und behäbiges Schleichen bremst sie oft aus. Ob schon perfekt oder nur voller Potenzial, so oder so gilt: An Mahalia wird die Pop-Welt jedenfalls nicht mehr vorbeikommen.
1 Kommentar
"Mehr Tempo würde aber trotzdem nicht schaden: Die Vocals der Soul-Princess haben Biss und behäbiges Schleichen bremst sie oft aus. "
Genau das ist leider ihr durchgehendes Problem.