laut.de-Kritik
Ein Album wie 21 sein.
Review von Kay SchierMein Kopf, Alter, wie die Lavalampe da in der Ecke, ich schwöre. Wie viele Samples auf dem Album drauf sind ... Ey, WIE VIELE ... [hustet ausgiebig] Samples auf dem Album drauf sind: Frag' mich das nicht. Sind auf jeden Fall richtig viele Samples drauf, auf dem Album. Gute Frage, aber. Haben wir noch Eistee? Worum gehts überhaupt?
"Dead Rabbit ist der King vom Prenzlauer Berg": Damit würde man im Jahr 2020 wohl nicht mehr zwingend angeben. Doch wir schreiben das Jahr 2006 und die Gentrifizierung steckt noch in den Kinderschuhen. Ein paar Monate nach einer öffentlichen Diskussion über von Rechtsextremen so genannte "National Befreite Zonen" in den neuen Bundesländern und der Frage, ob sich die Welt überall frei bewegen kann, wenn sie zu Gast bei Freunden ist, werden Klinsi und die Jungs Weltmeister der Herzen. In der Glotze laufen Christian Ulmen und Kai Pflaume, der Döner kostet zweifuffzich, die Republik redet über Optik und "Das Urteil", Aggro und die Maske, Sarah Connor und Marc Terenzi. Nazis, das sind diese finsteren Fabelwesen aus dem ländlichen Brandenburg, ein Ammenmärchen, das man kleinen Kindern erzählt, wenn sie nicht aufessen wollen. In Berlin hat der Hip Hop den Hass besiegt.
Dort mittendrin statt nur dabei: Marten Laciny. Jahre bevor er mit seiner Hochglanzversion von Rapmusik die Charts sprengt, ist er einfach nur ein ziemlich nerdiger Typ in damals völlig uncoolen Fußballtrikots. So nerdig, wie man eben sein kann, wenn man die Modelkarriere schon hinter sich hat. Doch der Junge ist nicht nur was fürs Auge, sondern hat auch was im Kopf: Ott, Otis, Otter, Mamahula, Dope, Kiffedikiffgras, "ein bisschen von dem guten alten 'I want to get high'-Shit" sowie viel Liebe für obskuren Spartenrap der Marke Quasimoto, Madlibs Seitenprojekt, in dem er seine Stimme auf Heliumlevel pitcht und sich dem Gedankenstrom hingibt, den ihm das Grünzeug des Teufels einflüstert. Ein Konzept, das sich Laciny kurzerhand ausborgt. Ältere Semester werden sich erinnern, dass dieser Move zu der Zeit in der Szene nicht nur auf Gegenliebe stieß. Neben den Biting-Vorwürfen ist es vielen aber auch einfach schlicht zu abgedreht, zu sehr out of the box, zu weit weg von dem, das man damals von Rap auf Deutsch gewohnt ist. Wovon redet der Spinner da eigentlich die ganze Zeit?
Die Themen: Kiffen, Fußball, Kiffen, Hip Hop, Frauen, Kiffen, Partys und natürlich: Kiffen. So gesehen hat das Album nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Man kann es aber nicht nur als eine Ode an die harzige Knolle hören, sondern auch als Lebensabschnittsdokument einer Zeit, in der die größte Sorge darin besteht, ob diese eine Story eigentlich wirklich stimmt, von dem Cousin von diesem einen Kollegen, der angeblich mit Bleivergiftung im Krankenhaus gelandet ist, nachdem er was von diesem einen schrägen Typen geholt hat. Aber von dem holt man ja selbst genau deswegen nichts, weil man den schon immer schräg fand, deswegen ist auch alles in Ordnung. Wir befinden uns hier im Zentrum des Universums, direkt an der Quelle, "wo siehst du Nora Tschirner am dicken Joint zieh'n – One Love, Green Berlin." Späteren Marsimoto-Releases hört man die Professionalität an, die auf live getrimmten Beats, doch auf "Halloziehnation" ist alles in erster Linie einfach ein großer Spaß. Es ist sehr ernst darin, sich nicht allzu ernst zu nehmen. Später läuft Fuppes, Tina hat angerufen und möchte Tanzen gehen, Mahir hat angerufen und möchte einen durchziehen, was macht man da jetzt? Die großen Fragen des Lebens. Ein Album wie 21 sein.
"Du hast große Pläne - ja natürlich - doch wie willst du diese realisieren – keine Ahnung - Wenn all deine Wünsche – ich liebe sie - sie sie nur einen Scheißdreck interessieren? - Ich rauch' erstmal einen": Auf dreißig Tracks, die meisten nicht viel länger als anderthalb Minuten, hält Marteria wirre Zwiesprache mit seinem Alter Ego Marsimoto, seinem inneren Backpacker und Luntenkumpan. "Ich mag Dirty South und Marsimoto ist der größte Stones Throw-Fan" - zwischen diesen beiden Polen eröffnet sich eine von Nebelschwaden durchzogene Soundwelt, wie es sie vorher im Deutschrap nicht gegeben hat.
Um zur eingangs gestellten Frage zurückzukehren: Es sind wirklich sehr viele. Damals kräht kein Hahn nach dem Menschen, der den Beat zu einem Track gemacht hat. Marsimoto nimmt den Kulturwandel vorweg und kräht den Namen Dead Rabbit umso öfter. Was der Mann hier zusammenrührt, ist ausschweifend abschweifend. Wir hören Frank Sinatra, Elvis Presley, Kreissägen, "Raumpatrouille Orion", die Sportschau, einen sächsischen Busfahrer, orientalische Schnipsel, Flocken von Psych-Rock, Cuts aus den besten Stücken des Golden Era-Lamms, Entgrenzung, Wahnwitz. Die psychotrope Dope Show "Halloziehnation" ist ein nach allen Seiten offenes Gefäß. Nach "drei Joints, vier Becks" ging damals im Studio alles.
Dass der Produzent von den großen Stones Throw-Meistern Madlib und Dilla schwer beeinflusst ist, hört man natürlich auf Tracks wie "OC Beatz" oder "Bongladesh". Er nähert sich dem Vorbild aber nie unterwürfig-kopierend auf den Knien, sondern mit einer "Erstmal machen"-Sorglosigkeit auf Augenhöhe, nimmt sich, was er braucht und fügt hinzu, was ihm spontan einfällt. Es sei hier noch einmal auf das ikonische "zwo, drei, vier, fünnef"-Sample aus dem "Intro" verwiesen: Darauf muss man erst einmal kommen, beziehungsweise hat ein Album, das "Raumpatrouille Orion" samplet, einfach sofort gewonnen.
Zum Glück für das Album sind Rabbit und Marsimo' nicht die Art Kiffer, die die ganze Woche nicht von der Couch kommen, sondern nur von Sonntag bis Donnerstag. Dübeln kann man schließlich auch sehr gut im Club, wie "Cuba Clubbing Junior" oder "Hitch" belegen. In einer Zeit, als "Fuffis im Club" so mit das Tanzflächentauglichste ist, das deutscher Rap zu bieten hat, sind diese Beats ihr nicht nur weit voraus. Sie laufen in einer völlig anderen Disco, in dem man schon von Grime und Jungle gehört hat, während die Heads hüben wie drüben Pianobeats und "Electro Ghetto" feiern.
Tracks wie "Smokingz feat. Gabreal" oder "Underdogz feat. Underdog Cru" hätte auch ein DJ Paul persönlich nicht viel zähflüssiger hinbekommen. Was "Elektrogras" eigentlich genau sein soll, weiß kein Mensch, "Alf raucht jetzt Weed und E.T. trinkt Jim Beam", das reicht als allgemeinverständliche Aussage, "und danach ein Schluck kaltes, klares Wasser."
Im Prinzip ist es aber müßig, auf einzelne Songs einzugehen. Ist man einmal drin, hört man "Halloziehnation" sowieso am Stück durch, zu faszinierend sind die tausend kleinen Details, Ad-Libs, Shout Outs, Heuler, Kracher, Stöhner, Lacher. "Ey, DJ Counterstrike – kannst mir doch nicht die Mucke abdrehn!" Wenn man die Entstehungszeit des Albums in den Texten auch heraushört: Vierzehn Jahre nach Release scheißt es immer noch auf jeglichen Zeitgeist. Dead Rabbits genial-wirre Beatfragmente zu Marsimotos benebeltem Stream of Consciousness sind immer noch genau so Avantgarde, wie sie es damals waren. Beide sind gut bis fantastisch im Geschäft, der eine als gefragter Produzent, der andere als Deutschraps Posterboy. An die Vision von "Halloziehnation" haben sie kreativ nie wieder so ganz Anschluss gefunden, diesen vielleicht auch schlicht nicht gesucht. Geschadet hat es ihnen nicht. Schade ist es schon. "Halloziehnation 2", hat jemand Bock?
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
9 Kommentare mit 23 Antworten
Meilenstein?
yepp.
In deiner Unterhose.
Da gibt es in meinem Alter nur noch Harnsteine.
Wertung und Stein gehen MMn klar. Das Teil rotiert tatsächlich noch regelmäßig bei mir.
Für deutsprachigen Rap auf jeden Fall damals was Frisches und Neues, da zu der Zeit vor allem Gangstertum und alles abballern schwer gefeiert wurde. So gern ich Madlib mag, hat mich persönlich davor aber auch schon Quasimoto nach paar Songs wegen der Stimme gestresst. Was ich an dem Marsimoto Album und zu einem gewissen Grad auch an den nächsten Alben gefeiert habe, ist Marterias Wortwitz und Referenzwelt, die in einer ganz eigenen abgespaceten Liga gespielt hat.
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Wann kommt eigentlich mal wieder ein Meilenstein? Diese Rubrik würde sich dafür doch anbieten
Dann warte ich jetzt mal ganz entspannt auf den Fünf-Sterne-Meilenstein.
Sillium... unbedingt. Ich entspanne mit.
Und aus eigenen nostalgischen Gründen werfe ich gleich noch Äi-Tiem mit ins Rennen.
Ihr wisst schon, was ein Meilenstein ist, oder? Ihr seht also dieses Werk in einer Reihe mit Pavement, Nina Hagen Band, Rush, Manic Street Preachers, Supertramp, Bill Withers, Blondie, Meshugga, Tracy Chapman, Madness, Fleetwood Mac, Radiohead, The Damned, Philip Glass, Jamiroquai und Aretha Franklin? Klar, Musik ist immer Geschmackssache, aber man sollte sich auf die Definition eines Meilensteins schon einigen können.
Zitat:
"In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss."
"die jeder Musikfan gehört haben muss"
Manche Sachen muss man nicht hören, genau wie man nicht jeden Mist glauben muß. Nur weil da Anno 1789 irgendwelche dahergelaufene Musikkritiker, sich ein paar Regeln überlegt haben, erst recht nicht.
"Manche Sachen muss man nicht hören"
Im vorliegenden Fall stimmt das vermutlich...
Manche Sachen muss man nicht mal schreiben.
Kann die Kritik schon nachvollziehen. Ein Meilenstein ist für mich auch ein Album, das zumindest innerhalb seines Genres prägend war. Es gab ja schon einige obskure Steine, z.B. aus der Weltmusik-Ecke. Damit kann ich gut leben, Musik ist mehr als der Rolling-Stone-Kanon. Marsimoto ist nicht mehr als eine Fußnote, die Idee war clever und die Umsetzung ganz unterhaltsam, aber sonderlich prägend war das Ganze nie. Ein Gimmick, nicht mehr.
Die "Idee" war es, das gleiche wie Madlib auf deutsch zu machen. Weiß nicht, ob man das als clever bezeichnen sollte.
Und noch dazu ist es wirklich sehr wack.
Es ist schon wieder ziemlich bezeichnend, dass 'ne schlechte Kopie hier als Meilenstein abgefeiert wird.
Naja, Toriyamafag wird es freuen, dass sein Brudi Marten so ausgezeichnet wurde.
Find das Ding genial. Hab das 2008 zum ersten Mal gehört und war eins damit. So ein Album gabs nie wieder.