laut.de-Kritik

Man wächst an seinen Aufgaben.

Review von

Clouds Hill ist eines jener Label, bei denen man sich ohne Zögern freut, liest man: Die haben den gesamten Katalog eines Künstlers aufgekauft. Man weiß nämlich, dass die Hamburger um Johann Scheerer viel machen werden, aber kein liebloses Schindluder. So geschehen bei der Musik von Wolf Biermann, der mit seinen nun fast 90 Jahren eine zunehmend historisch-politische Figur wurde. Nicht nur die Ausstellung über ihn im Deutschen Historischen Museum, die ich vor einigen Monaten besuchte, sondern auch seine sich über die Zeit wandelnden politischen Positionen lassen Biermann, noch dazu verbunden mit seiner irreversibel mit dem Anfang vom Ende der DDR verbundenen persönlichen Geschichte, so symbolisch für die deutsche Seele und ihre Befindlichkeiten stehen wie sonst vielleicht nur Günter Grass – nur in deutlich sympathischer.

Was Biermann dagegen nicht gelang: Als Musiker relevant zu bleiben. Insofern handelt es sich beim Bemühen des Labels ein Stück weit um einen Balancierungsversuch, um Kopf und Schwanz der Ente Biermann sozusagen auf einen Wasserstand zu bringen. Statt einer schnöden Neuveröffentlichung wurden Wolf und seine Frau Pamela, die dem ganzen die Idee gab, mit an Bord geholt, um mit "Wolf Biermann Re:Imagined - Lieder Für Jetzt!" eine Neu-Interpretation seiner Stücke durch aktuelle Künstler anzupacken.

Völlig unabhängig von der besungenen bzw. geehrten Person haben Cover-Kompilationen die Mühsal, ausreichend geeignete Interpreten zu finden. Während das bei Adam Green beispielsweise gelang, lässt ein erster Blick auf die vorliegende Scheibe Böses erahnen. Niedecken gibt sich meist eher peinlich, Bonaparte hat schlicht nichts drauf, Ina Müller ebenso nicht und Torch gleich dreimal nicht. Jan Plewka ist so peinlich wie Alligatoah und doch noch weniger als Meret Becker. Annett Louisan und Romano: natürlich indiskutabel. Da fallen die Lichtblicke vergleichsweise spärlich aus: OK KID, Moritz Krämer, vor allem aber Betterov und Haiyti stehen für das andere Ende des Qualitätsspektrums.

Aber man kann ja wachsen an seinen Aufgaben! Und das ist hier keine besonders leichte, denn Biermanns Songs sind im Original eher karge Akustikgitarrenangelegenheiten, deren vordringlichster Daseinszweck ist, einen dankbaren Rahmen für seine stets subjektiven, zeitgenössischen Texte zu bilden. Das heißt: Die Musik muss der Cover-Künstler im Zweifel ausbauen und die Texte so vertonen, dass sie ihre ursprüngliche Magie behalten. Es führt kein Weg dran vorbei, wir gehen das einfach mal durch.

"Moritz Krämer - Fallen Die Blätter Der Rose" ist eine ordentliche, im Krämerschen Kosmos eher konservative Angelegenheit, das würde auf einem seiner Alben kaum auffallen. "Mola - Enfant Perdu" wählte einen der schwierigsten Ausgangssongs und schafft mit ihrer speziellen, etwas gewöhnungsbedürftigen Stimme eine astreine Pop-Jazz-Nummer, der man die Bedeutung der Texte zu jeder Sekunde abnimmt. Was für eine tolle Tuba (hört sich zumindest so an), das ständige Anspannungen Loslassen über siebeneinhalb Minuten strotzt vor Eingängigkeit und immer neuen Ideen, man hört sich kaum satt.

"Haiyti - Am Alex An Der Weltzeituhr" ist die genrefremdeste Künstlerin, und recht hat sie, die Nummer zu sich zu ziehen. Vielleicht tut sie das sogar zu wenig, denn die Bridge singt sie relativ unverzerrt und für ihre Verhältnisse geordnet und langsam. Da wäre mehr drin gewesen. "Jan Plewka & Die Schwarz-Rote Heilsarmee - Das Kann Doch Nicht Alles Gewesen Sein" packt die für ihn übliche Pathoskeule aus, was zum per se weinerlichen Song gepasst hätte, wäre der nur nicht dermaßen kreuzbieder vorgetragen. "Alligatoah - Der Hugenottenfriedhof" tut etwas, was der Quatschkopf sonst selten tut: Er reißt sich kurz mal zusammen. Und so gelingt dem so oft Schrott produzierenden Tausendsassa eine überzeugende, hinreißend interpretierte Version eines im Original komplexen Songs, den Alligatoah spürbar versteht.

Die Idee des metallischen "Balbina - Soldat, Soldat" erschließt sich durchaus, nur ist sie zu schnell durchschaut und in der Umsetzung zu hysterisch. Auf "Romano – Kunststück" tut der Berliner wie stets so, als könne komisches Gehabe mangelhafte Kunst kaschieren. Im Ergebnis Herumkasperei. "Das Bierbeben – Vorfrühling" ist eine spannende Interpretenwahl, zu wenig hört man von dem Projekt, das seine Qualitäten in dieser bieder-braven, etwas hingerotzten Version kaum ausspielt. Schnell rüber zu "PeterLicht - Und Wir Hatten Keine Höhle". Wenig überraschend steht hier der Text im Vordergrund, den der artverwandte Licht hübsch und sphärisch in Szene setzt.

"Lina Maly - Das Barlach-Lied" bricht nicht aus Malys süß-verträumt-nervigem Spektrum aus und wir nähern uns dem vermuteten Tiefpunkt "Ina Müller - Bin Mager Nun Und Fühle Mich". Aber wie was mit Tiefpunkten so ist, kommen sie meistens eher unerwartet, und die, vor denen einem graut, entpuppen sich als gar nicht so schlimm. ADHS-Endgegner Müller belässt dem Original seinen wohltuenden Ernst, begnügt sich aber nicht mit einer Fingerübung, sondern bastelt eine erwachsene, tiefgründige Nummer – Respekt. "Albrecht Schrader & Charlotte Brandi – Pardon" gerät so zu zittrig, wie man es von Ina erwartet hätte. Nicht ganz ohne Reiz, aber will zu doll Kunstlied sein.

"Van Holzen - Wann Ist Denn Endlich Frieden" zeigen, warum sie die nächsten Die Nerven werden könnten, ein klares, reinigendes Gewitter, das dem Pazifismuspamphlet eine hervorragend zur Gegenwart und Biermanns Positionen passende Schärfe verpasst. "OK KID - Warte Nicht Auf Beßre Zeiten" hört sich nach OK KID an, was fast immer gut, und sehr selten exzellent ist. Ähnlich ergeht es "Betterov - Lied Vom Donnernden Leben" und gruppiert sich im Mittelfeld ein. Die Underdogs machen weiter das Rennen: Der von mir heiß verabscheute "Bonaparte – Ermutigung" hat offenkundig viele Gedanken daran verschwendet, wie er die hinterfotzige Erbauungshymne auf links drehen kann, ohne ihr die Botschaft zu rauben. Das gelingt ihm exzellent mit seinem Bassgewitter.

"Katharina Franck & Paul Eisenach - Ballade Vom Preußischen Ikarus" ist fades, kapriziöses Getue. "Maxim - Bilanzballade Im Dreißigsten Jahr" gab nach meinem letzten Stand im März sein Karriereende bekannt, hier liefert er im Arrangement jedoch einige Argumente dagegen, nur der Gesang gerät zu exaltiert, sonst rumpelt es sehr angenehm und passend. Selbst auf "Torch - Von Den Menschen" kann man sich nicht verlassen. Die Mischung aus Spoken Word und "#ImSippinTeaInYoHood"-Bass ist nämlich ein ziemlicher Banger und meiner Meinung nach mal eben der Karrierehöhepunkt des Heidelbergers.

"Annett Louisan - So Soll Es Sein - So Wird Es Sein" fängt süßer an als ein diabeteskranker Kolibri, bah. Stolpert man über den Zuckerguss weiter, begrüßt einen der Rhein-Flussbär "Wolfgang Niedecken - Und Als Wir Ans Ufer Kamen", der leidlich motiviert, aber sehr routiniert die alte Käpt'n-Blaubär-Nummer abzieht. "Meret Becker - Stillepenn Schlufflied" vervollkommnet die Trifecta des Grauens mit einer kaum erträglichen Horrorfilm-Nummer. Einigen wir uns drauf, dass dieses Album 19 Songs hat.

Trackliste

  1. 1. Moritz Krämer - Fallen Die Blätter Der Rose
  2. 2. Mola - Enfant Perdu
  3. 3. Haiyti - Am Alex An Der Weltzeituhr
  4. 4. Jan Plewka & Die Schwarz-Rote Heilsarmee - Das Kann Doch Nicht Alles Gewesen Sein
  5. 5. Alligatoah - Der Hugenottenfriedhof
  6. 6. Balbina - Soldat, Soldat
  7. 7. Romano - Kunststück
  8. 8. Das Bierbeben - Vorfrühling
  9. 9. PeterLicht - Und Wir Hatten Keine Höhle
  10. 10. Lina Maly - Das Barlach-Lied
  11. 11. Ina Müller - Bin Mager Nun Und Fühle Mich
  12. 12. Albrecht Schrader & Charlotte Brandi - Pardon
  13. 13. Van Holzen - Wann Ist Denn Endlich Frieden
  14. 14. OK KID - Warte Nicht Auf Beßre Zeiten
  15. 15. Betterov - Lied Vom Donnernden Leben
  16. 16. Bonaparte - Ermutigung
  17. 17. Katharina Franck & Paul Eisenach - Ballade Vom Preußischen Ikarus
  18. 18. Maxim - Bilanzballade Im Dreißigsten Jahr
  19. 19. Torch - Von Den Menschen
  20. 20. Annett Louisan - So Soll Es Sein - So Wird Es Sein
  21. 21. Wolfgang Niedecken - Und Als Wir Ans Ufer Kamen
  22. 22. Meret Becker - Stillepenn Schlufflied

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2 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 8 Stunden

    Danke für den Torch-Diss im dritten Abschnitt :D

  • Vor 4 Stunden

    Was hat den bitte die Note 4 mit der Rezension zu tun?
    Es ist harte Kritik. Kann ich noch nicht beurteilen, weil noch nicht gehört.
    Aber die Note ist dazu ein Witz.

    • Vor 3 Stunden

      Hab's auch noch nicht gehört, aber die Rezension gelesen. Ich zitiere:

      "astreine Pop-Jazz-Nummer"
      "strotzt vor Eingängigkeit und immer neuen Ideen"
      "überzeugende, hinreißend interpretierte Version"
      "hübsch und sphärisch in Szene setzt"
      "erwachsene, tiefgründige Nummer – Respekt"
      "hervorragend zur Gegenwart und Biermanns Positionen passende Schärfe"
      "exzellent mit seinem Bassgewitter"
      "sehr angenehm und passend"
      "ziemlicher Banger"

      Dazwischen ein paar mehr oder weniger mittelmäßige Nummer und am Schluss drei Totalausfälle (von 22 Songs!), über die der Rezensent gnädig hinwegsieht.

      Für mich keine "harte Kritik", sondern eine sehr differenzierte Empfehlung, warum sollten das nicht vier Punkte sein?

    • Vor 3 Stunden

      Tatsächlich ist nicht ganz klar, ob der Rezensent von Torch und Bonaparte generell nichts hält oder ob er im 3. Abschnitt schon über die Biermann-Coverversionen redet. Dann würde er sich widersprechen.

    • Vor 2 Stunden

      Im 3. Abschnitt geht es, denke ich, klar um eine Einschätzung der Interpreten unabhängig vom vorliegenden Album: "lässt ein erster Blick auf die vorliegende Scheibe Böses erahnen".
      Alligatoah wird hier z.B. auch als peinlich bezeichnet, während seine Coverversion später im Text ziemlich gut wegkommt.

    • Vor 52 Minuten

      Das denke ich auch und ja, stimmt, die Interpreten sind per se fast alle scheiße. Ich hätte mir ein Coveralbum mit Versionen von den Amigos, Giovanni Zarrella, Kollegah und Katja Krasavice gewünscht.

    • Vor 12 Minuten

      Ich hätte mir von den Genannten ein Kollabo-Weihnachtsalbum gewünscht!