laut.de-Kritik
Hier werden Gefühle gefühlt. Negative Gefühle, um genau zu sein.
Review von Yannik GölzEs gibt da ein biologisches Theorem. Also, es gibt zumindest etwas, das ich mal spätnachts in einem YouTube-Video gehört habe, also nagelt mich nicht darauf fest, aber es geht so: Alle Lebewesen streben dem Hummer zu. Evolutionsbiologinnen haben die Tendenz von endlos vielen evolutionären Linien beobachtet, und der absolute Peak-Endzustand, zu dem alle Entwicklung führt, das ist der Hummer. Er ist die absolut ultimative Lebensform, um das Überleben zu sichern. Gibt ja auch Sinn, die Dinger sind robust, fancy, haben +20 Rüstung und Scherenbonus. Und laut diesem halbüberhörten Biologie-Fakt strebt die ganze Evolutionspyramide immer in Richtung des Hummers. Wir alle werden eines Tages Hummer sein.
Jetzt wo das geklärt ist, mein Take: Für die populäre deutsche Musik gibt es auch einen Hummer: Nämlich die Schmonzette. Alt-Rock, Electronica, Hip Hop: Mit Hilfe von Annenmaykantereit, Robin Schulz oder Beatzarre & Djorkaeff fand die deutsche Musik immer einen Weg, aus interessanten Musikrichtungen Revolverheld und Tim Bendzko zu machen. Sobald ein deutscher Künstler oder eine Künstlerin die Hemmschwelle der Charts erreicht, wird sie intuitiv in den diabolischen Sog von gefühlsduseliger, melodramatischer Midtempo-Musik gezogen. Meistens handelt sie von Trennungsschmerz und beinhaltet überdurchschnittlich viel Klavier.
Jetzt ist es die eine Sache, wenn das einem Samra oder einem Capital Bra passiert. Aber wenn eine der Bastionen des guten Deutschrap diesen Weg geht, dann hittet das hart. Bazzazian ist ein Azad-Protogé, der um 2010 Key-Player für den Azzlack-Sound war. Er hat viele der besten Haftbefehl-Beats gemacht, aber auch mit Artists wie Samy Deluxe, Miss Platnum oder Gentleman produktiv gearbeitet. Wenn ein Instrumental in den letzten fünfzehn Jahren klang, als würde es gleich mit Baseballschläger aus den Boxen springen und dich ganz allein vermöbeln, war das vermutlich er. Und dass ein Genre-flexibler Alleskönner wie er irgendwann ein Album machen würde, klingt doch eigentlich wie ein No-Brainer.
Vor allem, wenn man sich diese Featureliste anschaut: Abgesehen von einem mysteriös ausgelassenen Baba H findet sich hier das Who is Who aller deutschen Rapartists, auf die man sich einigen kann. Es ist quasi kriminell geschmackvoll, wer hier alles eingeladen wurde - von versteckten Beiträgen von Leuten wie Edwin Rosen oder Tua gar nicht angefangen. Wie zur Hölle konnte es dann sein, dass aus diesem Line-Up und diesem Talent ein geradezu unhörbar gefühliges, dröges Album wie "100Angst" geworden ist?
Konsumiert man das Album nur in kleinen Snippets, klingt erst einmal nichts akut falsch daran. Es ist ein Balladen-Album, Bazzazian arbeitet viel mit dem Klavier und steigert es dann nur manchmal für den melodramatischen Affekt mit cineastischem Gebolze. Das klingt grundsätzlich auch nicht scheiße, während dann allerdings darum gewetteifert wird, wer der abgestumpfteste Trauerkloß sein darf.
Oh boy, die Jungs sind traurig auf dem Album. Gefühle werden gefühlt. Negative Gefühle, um präzise zu sein, aber genauer als das kriegt man es nicht charakterisiert. "100 Angst" strandet in einer seltsamen Zone, dass all diese Songs die Geste vollziehen, dass sie gerade große, intime Gedanken preisgegeben. Aber in Sachen Leistung klingt jeder, als hätte er seinen Part noch mal eben zwischen Tür und Angel zusammengeschmissen. Das Ergebnis: Alles auf diesem Album klingt so abartig gleich, dass es quietscht. Spielen wir ein kleines Spiel. Ich habe hier fünf Zitate für euch - und sie stammen von Symba, Trettmann, Casper, Schmyt und Tarek. Sehr individuelle Rapper, oder? Ich maile euch ein Bild von einem Blumentopf, wenn ihr diese Lyrics aus dem Tiefkühlfach ohne zu schummeln richtig zuordnen könnt:
A: "Mag sein, oft gestritten, uns wieder zusammengerauft / Und dann nie wiedеr gesprochen an diesеm Abend, Musik war zu laut"
B: "Hör zu, wenn du von mir sprichst / Auch wenn sie dir sagen, lass mich zurück"
C: "Wieder hoch und runter, Paternoster / Wer war für mich da, als ich lost war?
D: "Hab' kalte Füße, die mich tragen / Und Schmerz und Wut in meinem Magen"
E: "Ich hasse, doch liebe dich trotzdem / Ich weiß nicht, was ich hier verlor'n hab' / Es wird Zeit, dass ich dich loslass'"
Ich sag euch, wer das geschrieben hat: Der selbe sentimentale, unkreative Emo-Roboter, der auch den Großteil dieser sterbenslangweiligen Schlechtwettermusik produziert haben muss. Lasst euch nicht davon gaslighten, dass ab und zu dann mal pseudo-ambitioniert ein bisschen Synthie-Atmopshäre aufgefahren wird. Alles Ornament der Welt könnte diese groovelosen Songs nicht retten. Ein großes Problem ist, dass Bazzazian sich fast komplett den Youngins angepasst hat. In diesem Fall wären das vor allem Apsilon, Schmyt und Levin Liam. Und ich will überhaupt nicht sagen, dass die keine gute Musik machen. Tapes wie "Haut Wie Pelz" sind allerdings gut rausgekommen, weil es superpersönliche, intime Projekte sind, in denen ihr Protagonist sich aufs Äußerste steigern will.
Das hier ist eine Connections-besoffene Industrie-Party, bei der sie alle einmal zeigen dürfen, wie tiefschürfend sie doch texten können. Und im Ergebnis haben wir vierzig Minuten Hummer-Schmonzette, die es schafft, Tarek, Symba, Apsilon und Casper gleich klingen zu lassen. Mehr noch: Auch Haiyti klingt gleich. Sogar die Frau von motherfucking Hardstyle-Techno-Act Brutalismus 3000 klingt wie Emo-Poesie-Vortrag in der elften Klasse. Brutalismus 3000!!! War es selbst für diesen einen Track zu viel verlangt, einmal den Beat fetzen zu lassen? Hätte es die Sauerteigbrotstimmung ruiniert, hätte man auch nur einen Moment lang mit dem Kopf genickt?
Ein paar Lichtblicke kommen vor allem dann, wenn es so wirkt, als hätte man den Artists das Albumkonzept nicht hinreichend kommuniziert. OG Keemo kommt mit Punchline-Schlägertrupp vorbei. Auf dem letzten Track wahrlich belebend. Symba steigert sich in seinem zweiten Part immerhin ein bisschen in den Track rein. Und dann ist da direkt am Anfang Soufian. Oh Soufian, meine treue Seele, renn, so schnell du kannst und dreh dich nach diesem Album nicht mehr um. Das kleine bisschen Gepöbel, dieses kleine bisschen rechtschaffende Wut in seiner Stimme: Für einen Moment falscher Hoffnung am Anfang dieses Winterschlafs von einem Album erinnert er daran, dass hier der Typ am Regler sitzt, der vor ein paar Jahren noch "RADW" produziert hat. Und da muss es auch mal zu Ende sein mit der Nuance. Ich habe genug gefühlt, kann mich bitte endlich wieder jemand anschreien?
3 Kommentare mit 2 Antworten
warum gibts hiervon keine Rezension?
Redaktöre haben Angst
vielleicht haben sie das raw data feel.
Olli Banjo - 10km und mein Walkman immer noch top Beat von damals noch Benny Blanco
https://youtu.be/Bg37S3TVlGU
2/5. Also 2 von 5 der Lyrics habe ich erkannt, Casper und Trettmann konnte ich richtig zuordnen.