laut.de-Kritik
Tolle Musik aus der prä-digitalen Ära.
Review von Philipp KauseOkay, okay, für laut.de mutet diese Platte etwas leise an. Dieser Punkt wäre dann auch schon die einzige Kritik an Herrn Taylor. Wobei man sich einzelne Momente live gut laut vorstellen kann, zum Beispiel das Saxophonsolo in "The Nearness Of You". Auch zuhause, wenn man tolerante Nachbarn hat. Denn das würde an einem winterlichen Sonntagmorgen, noch vor der Sendung mit der Maus, gut passen. Es darf Schnee liegen, obwohl James Taylor von "sunshine and flowers" singt ("Pennies From Heaven"). An besagtem Sonntagmorgen mag die Platte gerne von Vinyl laufen. Mit Raumklang und Knistern, zu einem hochwertigen Heißgetränk serviert. "American Standard" hat seine Pluspunkte dort, wo hohe Lebensqualität, Genießen und amerikanisches Flair angesagt sind. Musik einer prä-digitalen Ära.
Der Mann kommt ja aus einem Zeitalter, in dem es noch nicht mal Walkman und Kassette gab, und er versetzt in diese Zeit der handgemachten, analogen Aufnahmen zurück. 1968 erschien das Debüt des Singer/Songwriters James Taylor. Verändert hat sich sein Stil über fast 30 Studioalben und sieben Live-Alben hinweg so gut wie gar nicht. Alles, was er anfasst, klingt nach der Marke James: nach seiner Stimme, seiner geschwungenen Intonation, seinem Erzähler-Stil. Und nach seinem Gitarren-Picking.
James Taylors englischsprachige Musik können auch Menschen verstehen, die sonst im Text-Booklet blättern oder googeln müssen. Er singt hier gedehnt, betont viel. Sein Gesangstempo drosselt er, so dass jede Line viel Bedeutung erhält. Dieser Storyteller artikuliert super deutlich. Ob eigene Kompositionen oder Coverversionen, das Ergebnis klingt, wie stets, durchgehend nach ihm. Und das, obwohl "American Standard" komplett aus Coverversionen besteht.
Er entscheidet sich für mehrere Stücke aus dem Crooner-Repertoire der großen amerikanischen Bühnen, Musik aus der Zeit lange vorm Fernsehen, Musik auf Broadway-Level: "My Blue Heaven" (1928), "You've Got To Be Carefully Taught" , "Sit Down, You're Rockin' The Boat" aus Musicals von 1949/50. Taylor trägt die insgesamt sechs Nummern aus Musicals und Tanz-Revues vor und brezelt sie nicht auf. Dass doch eine Menge Zutaten dazugehören, fällt gar nicht ins Gewicht. Geige und Kontrabass, Flügelhorn, Klarinette, Saxophon und Trompete, Melodica und Hammond-Orgel, Schlagzeug und Bass - viele Klangfarben vereint Taylor, aber ein 'Unplugged'-Feeling dominiert die Platte. Von orchestralem Pathos keine Spur. Schlicht, akustisch, mit Gitarre, ergänzend einer kleinen Dobro-Gitarre, performt Taylor die etwas schwülstigen Gesänge von einst mit ruhiger Aura. Alles aus der Ära vor Elvis und dem Rock'n'Roll, meist sogar älter als der 1948 geborene James Taylor.
Die zweite Sorte Musik, die er fürs Album Songs heranzog, ist Filmmusik. "Moon River" (aus "Breakfast At Tiffany's", 1961, mit Audrey Hepburn) überragt alle Songs, weil der Titel mit hohem Bekanntheitsgrad glänzt. "As Easy As Rolling Off A Log" entstammt einem schlecht gezeichneten, doch lustigen Cartoon-Film von 1937, in dem Katzen auf zwei Pfoten tanzen, "Katnip College". Da dieser Song nun eher eine Rarität auf dem Plattenmarkt darstellt, muss man auch vor James Taylors Repertoire-Kenntnis den Hut zücken.
Aus einer dritten Kategorie, wirklich großen Fußstapfen, zieht der Sänger ein paar weitere Nummern: dem populären Vocal-Jazz. "Teach Me Tonight" ging als Hit über die Stimmbänder von Dinah Washington, Al Jarreau und zig anderen, Ladies wie auch Gentlemen. "Almost Like Being In Love" wurde seit 1947 ohne Unterlass gecovert, wobei es kein richtiges Original gibt. Andere Songs wie "The Nearness Of You" haben eine Referenz-Version, die den Maßstab setzte. Hier fällt einem die allererste vom Glenn Miller Orchestra ein. "God Bless The Child" stellt die größte Herausforderung dar, ein Klassiker von Billie Holiday.
Taylor brilliert hier durchweg als One Trick Pony. Obwohl er immer das Gleiche macht, klappt dies hervorragend, und das ist sein eigenartiges Gitarrenspiel. Er selbst hat es einmal so beschrieben, wie in Timothy Whites interessanter Biographie nachzulesen: "Mein Stil war ein Zupfen mit den Fingern, das wie ein Klavier gedacht war. So, als ob mein Daumen meine linke Hand wäre, und meine beiden Zeigefinger, Mittelfinger und kleinen Finger meiner rechten Klavierhand entsprechen." Zudem hatte sich Taylor als Cellist früh angewöhnt, die Songs recht tief, bassig, zu transponieren. Dies hört man auf jeder seiner Platten, auch hier bei den fremden Stücken.
Das ganze Herangehen verleiht den Stücken einen holzigen, zutraulichen, nahen und detailverliebten Folk-Klang, fernab des Schrillen und des quiekenden Glamours von Musicals. The quiet is the new loud, dieser Slogan gilt hier einmal mehr. Was wären die Kings Of Convenience oder Conor Oberst und die Bright Eyes wohl ohne James Taylor?
In dessen Interpretation von "God Bless The Child" würde man etwa nie darauf kommen, dass dies mal ein Jazz-Titel war. Dieses Einverleiben des amerikanischen Songguts bleibt, anders als bei Rod Stewarts wirklich sehr vielen verschiedenen Ansätzen, durch und durch amerikanisch; aber im Unterschied zu Rod Stewart bleibt es eben trotzdem nicht im Genre kleben.
James Taylors Sound wirkt äußerst entspannend. Dass der Mann ein stilles Wasser ist, das tief gründet, bewies er im US-Wahlkampf 2004, als er sich in der Musiker-Kampagne gegen George W. Bushs Wiederwahl an der Seite seiner besten Freundin und Kollegin Carole King und auch immer wieder für Umweltschutz engagierte. Die Coverversionen verdeutlichen: Beides, Entspannendes und Aktivistisches, führt Taylor wie ein Pfadfinder zusammen. Er kennt immer die Richtung, er hat sein Terrain verinnerlicht und pflegt gerne das Erbe seines Landes. Dazu gehört der Folk Woody Guthries. "American Standard" ist, wie wenn Woody Guthrie Broadway-Gassenhauer trällern würde. Also ungefähr so, wie wenn Slash Lady Gaga-Hits an der Elektrischen einspielen würde. Also überraschend. Mit Handschrift. Und geil.
2 Kommentare
....also überraschend. Mit Handschrift. Und geil....
Philipp Kause, der Werner Hansch unter den Rezensenten
wooow, former president James Taylor