laut.de-Kritik

Experimentierfreudiges Solo-Album des Kettcar-Sängers.

Review von

Marcus Wiebusch steht in großen Lettern auf der Platte, der Sänger von Kettcar wandelt jetzt auf Solopfaden. Relativieren möchte man diese Aussage allerdings spätestens nach einem Blick ins Booklet. Das Allstaraufgebot, das den Hamburger auf den verschiedenen Tracks von "Konfetti" unterstützt, ist, gelinde gesagt, beeindruckend.

Hier ein Felix Weigt (u.a. Die Höchste Eisenbahn) am Bass, da ein Tim Neuhaus an den Drums, das Cello übernimmt zwischendurch Anne Müller, die schon mit Nils Frahm unterwegs war, und der isländische Songwriter Helgi Jonsson greift als einer von vielen Bläsern zur Posaune. Mit Wiebusch hinter den Reglern standen Tobias Siebert, der früher auch mal für Kettcar am Werk war, und Produzenten wie Robert Koch aka Robot Koch, Jochen Naaf (Peter Licht, Bosse), Michael Ilbert (Herbert Grönemeyer, Taylor Swift uvm.) oder Moritz Enders (Kraftklub, Revolverheld) usw.

Dass im Ergebnis also mehr als ein Kettcar-Abklatsch mit weniger Personal rauskommt, wenn Erfolgsproduzenten auf Elektro-Frickler, Indie-Rocker und Multiinstrumentalisten treffen, überrascht kaum jemanden. Klar, die gehäuften Bläser- und Streicher-Einsätze sind wohl von "Zwischen Den Runden" übergeschwappt. Deswegen leitet "Off" sehr geschmeidig ins Soloprojekt ein: Verschwommene Kindheitserinnerungen umrahmt von ruhigen Bläsern, Piano, Drums und Gitarre. Vertraut klingt das schon.

Vorbei ist es damit allerdings erstmal bei "Der Tag Wird Kommen" - leider. Unerreicht bleibt nach wie vor der Gruselfaktor eines Xavier Naidoos auf Dubstep, aber mit den Rap-Parts in dem Titel schlittert Marcus Wiebusch mit ähnlich viel Elan am Ziel vorbei wie Jan Delay mit seinem Rockalbum. Ziemlich angestrengt und trotzdem ohne rechten Fluss zieht sich sein Sprechgesang über sieben Minuten hin. Das Gute daran: Bis auf ein paar vereinzelte Strophen in anderen Songs ("Jede Zeit Hat Ihre Pest", "Haters Gonna Hate") ist das Kapitel danach abgehakt.

Mit abwechslungsreichen Arrangements beschwichtigt Wiebusch nach der Irritation außerdem effektiv: Gerade das Beat-Wummern, das Robot Koch einfließen lässt, sorgt für Spannung und drängt den mauen Sprechgesang ein bisschen in den Hintergrund. Für "Das Böse Besiegen (Der Exozismus Des David R.)" stößt Jakob Häglsperger dazu, dessen Band Frittenbude und Kettcar sich einst gegenseitig coverte, wobei sich "Graceland" in ein schrilles "Raveland" verwandelte. Statt Haudrauf-Trash kredenzen die beiden nun aber eine fein elektronische Hymne gegen Selbstmitleidstendenzen, in der Anne Müllers Cello eine Hauptrolle spielt.

Die Nummern, die auf organischere Klangerzeugung zurückgreifen, überzeugen ebenfalls. "Wir Waren Eine Gang" mit tiefen Bläsern ist das Erwachsenen-Pedant zu Spaceman Spiffs scheiternden Twens in "Teesatz": Ein Blick in den (früheren) Freundeskreis und darauf, was aus allen geworden ist. "Was Wir Tun Werden" schwört feierlich den Zusammenhalt in Form von tanzbaren Gitarren-Rhythmen und Klatschen.

Bei allem Respekt für die musikalische Horizonterweiterung: Das Beste an Wiebuschs Songs bleiben die Texte, die selbst in weniger gelungenen Titeln überzeugen. Er beschränkt sich als Erzähler nicht nur auf introspektive Gefühlsduselei, sondern wirft einen scharfen Blick, schärfer und umfassender noch als bei Kettcar, auf die Gesellschaft und erfasst die Themen seiner Zeit: Er übt Kritik am absurden Umgang mit Homosexualität im Fußball ("Der Tag Wird Kommen", bereits vor dem Hitzelsperger Outing verfasst) oder beschert allen Nerds einen Track, mit dem sie feiern können, wenn sie von einem Haufen Kohle aus lächelnd auf ihre ehemaligen Klassenkameraden herabblicken ("Nur Einmal Rächen").

Treffsicher geht es beispielsweise auch gegen die Widersprüche des Hipster-Lifestyles in "Jede Zeit Hat Ihre Pest": "Für ein bisschen anders sein, verkauf ich Haus und Hof / Werd leider meine Herkunft so auch nicht los / Die gefährliche Herkunft, so normal wie gewöhnlich / Und wenn Papa alles zahlt bin ich in meinem Viertel König".

Eine runde Sache liefert Wiebusch mit "Konfetti" zwar nicht ab, dafür sind die einzelnen Versatzstücke insgesamt zu wenig aufeinander abgestimmt, und besonders das mit dem Rappen hätte er sich getrost sparen können. Dennoch macht seine Soloplatte viel Hoffnung auf das, was in Zukunft der neugefundenen Experimentierfreude alles entspringen könnte.

Trackliste

  1. 1. Off
  2. 2. Der Tag Wird Kommen
  3. 3. Nur Einmal Rächen
  4. 4. Jede Zeit Hat Ihre Pest
  5. 5. Was Wir Tun Werden
  6. 6. Haters Gonna Hate
  7. 7. Der Fernsehturm Liebt Den Mond
  8. 8. Das Böse Besiegen (Der Exorzismus Des David R.)
  9. 9. Wir Waren Eine Gang
  10. 10. Springen
  11. 11. Schwarzes Konfetti

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10 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Wieder einmal kann ich mich hier nicht anschließen. Mich wundern des öfteren die scheinbar willkürlichen Kritiken. Hier kann ich die Bewertung von 4 in Verbindung mit der textlichen Bewertung auch nicht nachvollziehen. Ich dachte doch glatt dem Autor hätte die Platte auch so gut gefallen wie mir, aber da hab ich mich wohl getäuscht. Dass zum Thema Sprechgesang kein Bogen zu But Alive gespannt wird kann ich nicht verstehen. Nicht aus dem Grund der ziemlich sinnlosen Kettcar/But Alive Diskussion, sondern, weil es eben dort zum letzten Mal vorkam und dabei geht es um den Text und nicht um die "Rapqualitäten"! "Der Tag wird kommen" ist textlich ein Juwel! Aber das Thema interessiert hier scheinbar keinen. Egal, muß man ja nicht drauf eingehen... Übrigens ist Rap und Sprechgesang für mich ein Unterschied. Lustig ist auch, dass der Autor schreibt "experimentierfreudig" und dann die Abstimmung bemängelt. Man sollte wohl nur in eine Richtung experimentieren? Egal, ganz schwache Nummer! Wenn man die Platte nicht kennt, sich aber dafür interessiert, dann kann man sich hier kein Bild machen. Und für den dämlichen Kommentar von "cheesesteaks" noch eine Anmerkung. Ich habe nicht mal Abitur und kann den Zusammenhang nicht so ganz herstellen. Zu intelligente Texte oder was soll das heißen? Ich bin froh, wenn jemand das Potenzial auch nutzt, wenn schonmal deutsch gesungen wird. Nachdenken gehört dazu. Musik bewerten wir ab heute nach Schulabschluß. Ich sag ja, dämlich. Wie immer ist natürlich alles Geschmackssache und jeder darf seine Meinung haben. Vielen Dank!

    • Vor 10 Jahren

      Wir korrigieren demnach: Belanglose Schlagermusik für Leute mit nicht mal Abitur.

    • Vor 10 Jahren

      Zuerst: Marcus Wiebusch ist - für mich - einer des Besten die wir in Deutschland haben.
      Bezogen auf dieses Album muss ich Menschenfeind aber recht geben. Zuviel gewollt, zuwenig draus gemacht. "Der Tag wird kommen" hat ne schöne Message, klar, von einem "Juwel" zu sprechen ist aber gerade in anbetracht dessen was Wiebusch schon mit ...but Alive teilweise, mit "Hippiekacke" und gerade mit den ersten 3 Kettcar Platten abgeliefert hat fraglich ( "Deiche", "Die Front die man Leben nennt", "Hauptsache glauben", "Brennt das Haus ab", "Weniger als 5 Sekunden"... ).
      Auch der von dir beschworene Bogen von but Alive zu den "Rap"-Parts hier ist n bissle haarig, nicht nur weil hier verschiende Genrerichtungen bedient werden, auch die Produktion macht da einiges.... die but Alive Platten hatten eben immer noch dieses Gefühl des "handgemachten", dazu noch Wiebusch mit seinen Wohlstandspunkzynismus am Mikro wie er die "Raps" reinknarrtzt, die Platte hier ist aber an jeder Ecke bis zum brechen Glattpoliert worden, gerade "Der Tag wird kommen", dieser Xavier Naidoo Vergleich in der Reze passt da schon, wenn ich den Kerl nicht schon seit Teenietagen feiern würde weiß ich nicht ob ich ihn so im Radio erkannt hätte...
      naja, whatever, des letzte Kettcar Album hat mich auch net gerissen, schau ma mal was da noch kommt, is trotzdme n guter mann....

  • Vor 10 Jahren

    Also die ersten 4 Songs sind wirklich grandios. Doch dann gehts ein bisschen bergab. Viele 08/15 Songs drauf. Schade habe mal wieder auf ne 8/10 gehofft.

    6/10

  • Vor 10 Jahren

    Wie bei Kettcar-Alben auch, ein paar starke Songs, aber auch einige Lückenfüller. Wobei mir an manchen Stellen die Ohren bluten, wie beim Haters gonna hate-Refrain. Irgendwas passt soundtechnisch ab und an nicht.