laut.de-Kritik
Faith No More, Laibach, Scooter und Bushido huldigen Rammstein.
Review von Eberhard DoblerJa, der Coronavirus sitzt derzeit am längeren Hebel. Ob Rammsteins Stadiontour zum aktuellen Album Ende Mai wie geplant fortgesetzt wird? Mehr als fraglich, zumal der Startschuss am 25. Mai in Klagenfurt - Stand Anfang April - schon mal hinfällig ist: Österreich hat alle Konzerte bis Ende Juni verboten. Dasselbe gilt für den letzten Tourstopp in Europa am 9. August (Aarhus): In Dänemark gilt das Verbot sogar bis Ende August. Danach wollen Rammstein in die Neue Welt aufbrechen, die Nordamerikatournee soll am 20. August in Montreal beginnen.
Man darf annehmen, dass der rein digitale Release vorliegender Remix-Compilation am 27. März ursprünglich den anstehenden Gigs geschuldet war. Angekündigt wurde er gleichwohl nirgends, nicht mal auf der Homepage der Berliner - und wir reden hier immerhin von 72 Tracks und großen Namen: Protagonisten wie Westbam, Faith No More, Laibach, Meshuggah, Junkie XL, Devin Townsend, Scooter, Mogwai, Bushido, Pet Shop Boys, Clawfinger, Azad, Paul Van Dyk, Alec Empire, Black Strobe oder Boys Noize. Der Blick zurück bis in die Neunziger fördert aber auch längst Vergessenes zu Tage: Wer erinnert sich noch an Eskimos & Egypt aus Manchester?
Eine synthielastige Noise-Version von "Du Riechst So Gut (Scal Remix)", hinter der Project Pitchfork stehen, macht den Anfang. Insgesamt finden sich neun, überwiegend an Industrial/EDM orientierte Versionen des Rammstein-Klassikers, darunter von Günther Schulz oder Sascha Konietzko (beide KMFDM) und vor allem auch Jacob Hellner: Der Schwede produzierte anno 1995 das Debüt "Herzeleid". Soundtechnisch aus der Reihe tanzt hier einzig die unerwartet rein orchestral arrangierte Version Faith No Mores. Besser groovt schon der Extended-Mix von "Engel", dem vielleicht zeitlosesten Song der Berliner Weltstars.
Die "Stripped"-Version von Johann Edlund (Tiamat) klingt fast wie eine Produktion zwischen sanftem Breakbeat und den frühen Pet Shop Boys (Tennant und Lowe legen später selbst zwei richtig runde und qualitativ astreine Remixe von "Mein Teil" hin). Am besten knallen dennoch die beiden Big Beat-"Stripped"-Tunes des US-Musikers/Producers Charlie Clousers (Nine Inch Nails, Marilyn Manson). Zu den produktionstechnischen Highlights zählt daneben die technoide "Mein Teil"-Version Arthur Bakers: Der amerikanische DJ/Produzent geht richtig weit weg vom Ausgangsmaterial. Einen dekonstruktivistischen Ansatz fährt, wie zu erwarten, Ad-Rock ("Benzin"). Auch die EBM-Veteranen Front 242 verleihen "Keine Lust" ein neues Antlitz.
Das gilt gleichermaßen für das abgespeckte "Amerika" von Bushido und Ilan: Bushido fügt der Rap-Metal-mäßigen Version noch eigene Reime hinzu. Ganz anders als im Original klingt "Ohne Dich" bei der dänischen Band Under Byen, die mit Klavier, Schlagzeug oder singender Säge agiert. Bei Laibach tönt der Song dann noch mehr nach Beerdigungsballade als ohnehin schon, während Sven Helbig Lindemann allein zur Kirchenorgel klagen lässt.
Den Hit "Sonne" drehen nur Clawfinger durch den Wolf, die schwedischen Crossover-Veteranen remixen Rammstein insgesamt sechs Mal (darunter ein Jazz-Remix von "Keine Lust"). Meshuggahs Version von "Benzin" klingt zwar böse, im Vergleich zu den eigenen Werken der Schweden aber geradezu zahm. Richtig gut tanzbar wird die Angelegenheit, wenn Westbam "Links 2 3 4" im Technoelectro Mix als tanzbaren Electrorock auslegt und Lindemann mit Roboterstimme spricht. Vince Clarkes (Erasure) Elektropop-Interpretation von "Mann Gegen Mann" strahlt ebenfalls eigenen Charme aus.
Scooter öffnen für "Pussy" - wie könnte es anders sein - natürlich die Großraumdisko. Was aber Devin Townsend musikalisch mitteilen wollte, außer, dass man es zustande bringen kann, bleibt unbeantwortet, wenn er "Rammlied" zwischen Elektrobeat, Bierzelt, Country, Fürzen und Hochgeschwindigkeits-Gitarrensolo interpretiert. Dagegen ist Jochen Schmalbachs Technorock "Ich Tu Dir Weh" eine echte Bombe. Auch Boys Noize ("Mein Herz Brennt") und Mogwai ("Mein Land") legen zum Schluss Arbeiten vor, die die Bezeichnung Remix wirklich verdienen.
Zwischen die Remixe platzierte man noch weitere, eher selten gehörte Produkte, etwa das gemeinsam mit Clawfinger live gespielte Cover des Ramones-Knallers "Pet Semetary", den instrumentalen Clubber "Rammstein In The House" des Cocoon Club-DJs/Remixers The Timewriter, der zumindest auf den ersten Blick nichts mit einem bestimmten Rammstein-Track zu tun hat oder eine Beta-Version von "Ohne Dich". Am interessantesten bleiben hier freilich die beiden frühen Rammstein-Demoaufnahmen "Wilder Wein und "Feuerräder" (beide 1994).
Gerade Letzteres bietet schon die wesentlichen Bestandteile des Trademarksounds der Band auf, demonstriert aber gleichzeitig den großen Sprung, den Rammstein ein Jahr später mit besagtem Debüt hinlegen werden. Lindemann etwa hatte seine Themen schon gefunden, strahlt aber noch nicht diese dunkle, wie dem Wahnsinn verfallen anmutende Faszination aus, die den weltweiten Ruhm der Berliner mitbegründet. Denn blickt man noch mal auf die in der Tracklist gelisteten Artists, wird deutlich, welches Renommee sich Rammstein über 25 Jahre im alternativen Mainstream erspielt haben.
11 Kommentare mit 12 Antworten
Bleibt uns denn in diesen Zeiten gar nichts erspart? Warum, frage ich die hohen Mächte. Warum nur? Wahrheit, ich frage insbesondere dich: Was hat die Menschheit getan?
FNM-Remix, Trauer.
BUSHIDO
5/5
Der Remix hat mittlerweile 16 Jahre auf dem Buckel. Zu der Zeit war Bushido tatsächlich noch einigermaßen hörbar.
Ernstgemeinte Frage: In welche Richtung ist das Geld geflossen? Haben Rammstein die anderen Künstler oder die anderen Künstler Rammstein bezahlt? Oder kriegen die Remixer Anteile pro Stream/Verkauf?
Hierbei genügt ein Verweis an Crazy-Tills aktuelles Gedicht, denke ich. Dort ist der Vorgang ausführlich beschrieben.
SirPsycho mit dem Kommentar des Jahres
Danke für den in Aussicht gestellten Preis. Aber leider ist er schon an The Squall versprochen, der es geschafft hat in einem Beitrag mit intellektuellem Anstrich 4 oder 5 mal das Wort "Fotze" unterzubringen. Das kann niemand mehr toppen dieses Jahr.
also ob da einer dieser Künstler auch nur 1 Finger gerührt hat, deren Mixer haben etwas gemacht und die Künstler oder deren Management haben dann für die jew. Version das OK gegeben.
Blödsinn. Soundingenieure, die nicht selber Musiker sind, können/machen sowas nicht und sind dafür auch viel zu teuer.
Man könnte im Artikel einfach darauf hinweisen, dass das alles bereits veröffentlichte Remixes von Rammstein-Singles aus den letzten 25 Jahren sind...
Schönes Sonnenrad-Cover.
Ich habe mir das komplette Album mit kleinen Pausen dazwischen angehört. Für mich sind das keine klassischen Remixe sondern eher Neuinterpretationen. Man merkt bei jedem Track die Liebe zum Detail an. Treibende Industrial und Elektro Klänge gepaart mit den typischen Rammstein Gitarrenriffs, die aber auf dem Album teilweise untergeordnet sind oder ganz fehlen. Sogar experimentelle, ungewöhnliche Tracks findet man auf dem Album wie z.b. der Ich habe keine Lust jazz Remix von Clawfinger oder der Amerika Ghetto Remix mit Bushido... jedes Lied hat seine eigene Stimmung/Athmosphäre. Die 72 Remixe/Neuinterpretationen, Demos und Live Songs spielen mehr oder weniger auf konstant hohem Niveu... Hut ab vor dieser Meisterleistung! Ich zumindest habe keinen einzigen grossen Lückenfüller entdecken können, das Album hätte sogar ein Platz im Guiness Buch der Rekorde verdient!? Mögen man allen Beteiligten einen Oskar an den Kopf werfen und anschliessend mit sinnlosem Reichtum überhäufen...