laut.de-Kritik

Namedropping und gute Stimmung im Tropical Tenor-Club.

Review von

Roy Thompson, 42, aus Kingston, hat weder vor Bässen noch vor Pathos die geringste Angst. Unter seinem Künstlernamen Bugle konnte man den Herrn mit der kräftigen, kehligen Tenor-Stimme fast zehn Jahre lang bei uns nicht sehen, 2015 war er in Pfullendorf und Bersenbrück beim Keep It Real und Reggae Jam, beehrte Hamburg, Berlin und Zürich. Schade, dass nicht mehr draus wurde, denke ich mir wieder, wenn ich jetzt "Apex" bubblen, bounzen und wummern lasse. Erschienen bei den Schweizern von Evidence, die auch Queen Omegas Viral-Hit verbuchen.

"Apex", zu Deutsch "Gipfel", stellt ebenfalls sicher, dass die Riddims stark grooven, die unter Bugles Stimme wabbeln. Das muss so sein. Denn er ist nicht nur eine präsente Erscheinung und wirkt, als ob er mit heißem Öl und Eiswasser Kalt-Warm-Wechsel-gurgele - schon sein Einstieg mit "Head Up" ist in diesem Punkt eine massive Ansage. Zudem sind seine Lyrics prall entschlossen - Beispiel: "Es ist nicht meine Absicht dein Ego zu massieren", in "Ego" über heuchlerische, narzisstische Fake-Friends. Und so verlangen sie tragfähige Musikunterleger.

In Zusammenarbeit mit den überstrahlenden Stars Buju Banton und Damian Marley kommt aber erst einmal die 'nette' Sorte Island-Pop vom Band, die Reggae schon immer massenkompatibel machte, mit Zeilen wie "there comes the rain again / there comes the sun shining through / what more can I do? (...) Birds are singing as the sky is blue". Tribut an den Mainstream!?

Ist der Dank an den Lord erst mal untergebracht und das Klischee vom Natur-Idyll erfüllt, darf das Album abtauchen in ein atmosphärisches Roots-Konzeptwerk, mit einer leichten Schlagseite zum Melodrama-Dancehall - schlag nach bei Agent Sasco ... In der Tradition von dessen autobiographischem Album "Hope River" sortiert sich auch Bugles "Apex" stilsicher zwischen den dezenten Einflüssen von Schmusepop, Soul, Gospel, R'n'B und Ragga ein. Entsprechend liest sich auch die Gästeliste vom Mister "Close To You" Maxi Priest bis zum lang vergessenen 90er-Künstler Military Man aus der Xterminator-Beat-Schmiede, einem Kumpel von Fyahman Capleton, der sich ebenfalls mit ein paar Zeilen einbringt.

Manchmal funktionieren die Duette genial, besonders schön in der "Love Story ft. GiHrl". Hier haben sich zwei gefunden, die eine fette Prise Sunday Morning-Soft Soul mit kantigem Saturday Night-Dancehall verschmelzen. Maxi lässt zum Glück die peinlichen Techno-Versuche der letzten Jahre hinter sich und beteiligt sich hier an waschechtem Retro-Rub-a-Dub ("Love Again ft. Maxi Priest") - richtig gut!

Der Frauenförderer des Roots-Dub, Rory StoneLove, spricht die "Apex Interlude" und kündigt damit Tifa an. Die 40-jährige Latifa Brown (einst aus Ward 21-Kreisen) macht beim Duett "Inside Warm ft. Tifa" auf einem Y2K-Beat mit, der von Timbaland oder damaligen Nachahmern stammen könnte, garniert mit Dubstep-Effekten.

Barrington Levy lässt sich zu einer neuen Version des "Murderer" vom "Hot Milk Riddim" hinreißen. Das Original aus den frühen Eighties überlebte schon einige Versionen, so zum Beispiel ein Duett von Barrington und Rapper Rakim (1993) und einen Remix an der Seite von Beenie Man, den Madhouse Murderation Mix (1995), ferner ein prägnantes Sample bei den Chemical Brothers, und zuletzt mehrere Zitate bei Janelle Monáe auf ihrem kontrovers betrachteten "The Age Of Pleasure" (2023). Sprich, "Murderer" ist ein immer aktuelles Lied. Die neue Version "Brutal Murderer" kann man als ziemlich 'on dope' klassifizieren. Barringtons alte und neue Tonspur und Bugles auto-tunetes Genöle oben drauf umschlingen einander lebhaft.

Wie immer lässt sich das eidgenössische Label nicht lumpen und präsentiert erlesene Klangqualität, fast schon immersive, wie in diesem recycelten Klassiker, bei dem man am Kopfhörer vom PC meinen könnte, die alte '45'-Vinyl von Barrington laufe direkt vom Plattenspieler über die Stereoanlage. Das gilt auch für eine andere Ausgrabung, den Riddim von "Upside Down", komponiert von Sly & Robbies Keyboarder Robbie Lyn und von Monty Alexanders Bassist Glen Brownie.

Bugles Album ist für die Adventszeit tatsächlich in kleiner Vinyl-Auflage geplant. Das wertet auf jeden Fall Nachwuchs-Artists wie das bisher unbeschriebene Blatt namens Chaps auf, noch einen Gast. Und besagte GiHrl, deren Debütalbum 2019 nur zu einer dreistelligen Hörer:innen-Zahl auf Spotify führte. Dabei ist es ein vielseitiges Werk mit Tiefgang, das sie selbst komponierte, arrangierte und zwischen heißesten Tropical-Club-Beats und meditativem Neo-Soul ansiedelte. One to watch! Danke @Bugle, für diesen Link.

Auch solo klingt seine raspy Kehle kurzweilig, sogar im obligatorischen Cannabis-Lied "Bad Dream". Nachdem nun Vybz Kartel seine Zeit im Gefängnis jahrelang als meist-aufgelegter Künstler auf der Insel hinter sich gebracht hat und einstweilen wieder auf freiem Fuß releast, sei noch erinnert, dass er Bugle mal als Vorbild diente. Gleichzeitig hat der sich von ihm emanzipiert und seinen ganz eigenen Stil gefunden. Aufgewachsen im ostjamaikanischen Bezirk Portland, wusste Bugle schon früh "Reggae music leads the way", und so zog es ihn in die Hauptstadt von Jamaika a.k.a. "Jah-Mek-Yah ft. Military Man".

Wenn er dort Leute von morgen mit solchen Legenden von einst verknüpft, dann gelingt ihm da ein bemerkenswert zeitgemäßes Album. Auch wenn sich kaum Besonderes abspielt und nicht so wirklich die große Überraschungs-Bombe platzt, hat die Scheibe eine durchweg schöne Stimmung.

Mit folgendem Auszug aus "Promise" wird aber klar, dass Bugle seine Kritik an Korruption und dem Phänomen des 'classism' fortsetzt: "Why are we still voting? (...) They promise us riches, they promise us wealth (...) The microphone is (...) poor people's voice (...) More money I make, but the country getting worse / instead of driving forward, we drive in reverse." - Im Gegensatz zum düsteren Vor-Vorgänger "Picture Perfect" steht jedoch dieses Mal das Upliftment, das Aufbauen und Mitreißen im Mittelpunkt. Das Vorhaben geht gut ins Ohr, super in die Beine. Empfehlung ohne Abstriche!

Trackliste

  1. 1. Apex Introduction [Ras Shaddai]
  2. 2. Head Up
  3. 3. Upside Down
  4. 4. Thank You Lord ft. Buju Banton, Damian Marley
  5. 5. Hopes (Small World) ft. Capleton
  6. 6. Patience, God + Time
  7. 7. Apex Interlude [Rory StoneLove]
  8. 8. Inside Warm ft. Tifa
  9. 9. Love Story ft. GiHrl
  10. 10. Love Again ft. Maxi Priest
  11. 11. Promise
  12. 12. Heart Too Clean ft. Chaps
  13. 13. Bad Dream
  14. 14. Ego
  15. 15. Jah-Mek-Yah ft. Military Man
  16. 16. Brutal Murderer ft. Barrington Levy

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