laut.de-Kritik

Cover-Versionen, so fantasievoll wie die Cover-Gestaltung.

Review von

Wenn Mavis Staples aus "Chicago" im stolzen Alter von 86 Jahren eine neue LP vorlegt, überrascht eine gewisse Rustikalität nicht. "Sad And Beautiful World" zeichnet sich durch die Bindung an Traditionen des Rhythm and Blues, Schnulzen-Country, Americana-Storytelling mit Slide-Gitarre und warmen Soul aus. Aus diesen Strömungen mischt Mavis mit Produzent Brad Cook (Waxahatchee, Smail Mail, Bon Iver) ihre Ligatur, ohne dass einzelne Genres klar zuzuordnen wären. Eine kitschige Country-Soul-Pop-Ballade mit bräsigen Bläsern, Banjo und üppigem Pathos gehört auch dazu, "Godspeed". Da hat sich Mavis an Frank Ocean heran gewagt und an seinen umtriebigen Autor Malay.

Die anderen Songs entstammen dem letzten Jahrhundert und Songwritern von sehr unterschiedlicher Provenienz und Szene-Zugehörigkeit - Staples zeigt sich eklektisch. Es gab schon einmal ein solches Kraut- und Rüben-Album, was die Lieder-Herkunft betrifft, das erschien 2016: "Livin' On A High Note", benannt nach dem Song "High Note" von Valerie June, produzierte M. Ward für sie, der phasenweise ebenfalls beim Label Anti- gesignt war. Zwischenzeitlich folgten auch eine Homestudio-Kollabo mit Levon Helm, eingespielt 2011 und releast 2022, außerdem eine LP mit Jeff Tweedy, "If All I Was Was Black" (2017) und eine Scheibe mit Ben Harper, "We Get By" (2019).

Die gottgläubige Seniorin hat sich zwischen ihren weißen Gardinen gut gehalten, trotzdem muss ich das blasse Cover mit der '50er-Jahre-Tischdecke und dem Blick nach unten auf den Tisch für unsere nächste Liste der hässlichsten Artworks nominieren. Die Fotografin Elizabeth de la Piedra hat immerhin ein Kunststudium abgeschlossen.

Mavis, ehemaliges Mitglied der renommierten Staple Singers bereitet sich zwischen den Zeilen, aber unverhohlen, bereits auf den Tod vor: "If I die too young, or the gunmen come, I'm full of love (...) / And if I die too young for something I ain't done / Carry my name every day. (...) If I die too young, let all that I've done be remembered" heißt es in "Beautiful Strangers", aus der Feder von Kevin Morby.

So interessant und relevant es sein mag, große Lieder wie Leonard Cohens desillusioniertes "Anthem" und Curtis Mayfields Anti-Vietnamkriegs-Gedanken "We Got To Have Peace" noch einmal zu Gehör zu bringen, verliert Mavis mich damit rasch. Natürlich ist es vom Grundsatz her bereits waghalsig, sich an solche Stücke heran zu machen. Schon alleine deswegen, weil Curtis' Falsett unersetzlich und eng mit seinem Lied verwoben ist und weil die intensiven Soul-Chor-Arrangements auf Cohens "The Future"-CD ebenfalls schwer zu toppen sind. Mich reißt Mavis damit nicht einmal ein leises Quäntchen vom Hocker (obwohl in beiden Fällen die originalen Platten zu meinen ewigen Top 1.000-Favoriten zählen). Den Cohen singt sie einfach so als Kopie herunter.

Mayfields Song trifft sie zwar gut. Doch der Text ist eigentlich zu wichtig und scharf für die Gemütlichkeit, mit der sie ihn vom Stapel lässt. Außerdem würde er viele Steilvorlagen bieten, um ihn mit heutigen Hip Hop-Methoden anders zu produzieren, lyrisch zu aktualisieren und mit verteilten Feature-Rollen aufzupeppen, und man kann sich sehr gut vorstellen, wie Curtis selber das jetzt täte, wäre er noch am Leben. Aber wem sagen wir das? Mavis müsste das am besten wissen, nahm sie doch mit Mayfield hinterm Mischpult für sein Curtom-Label einst die LP "A Piece Of The Action" auf.

Ihre romantisch schwelgende Version von Porter Wagoners 1957er-Country-Nummer "Satisfied Mind" überlädt sich mit Lapsteel und Schunkelei schon so sehr, dass diese Interpretation zum vorhersehbaren Klischee verkommt und die Schultern zucken lässt. Warum hat Staples das aufgenommen? Die brave Ausführung des Stücks "Everybody Needs Love" (bekannt von den Drive-By Truckers) punktet in den Strophen noch, wenn die Sängerin kratzige, kehlige, soulvolle und brüchige Töne anschlägt. Der repetitive Mitklatsch-Refrain ersäuft im verzerrten E-Bass und Klimperklavier, löst beim Zuhören aber wenig Freude aus (zumindest bei mir nicht). Das Original schrieb der Session-Musiker Eddie Hinton für Dusty Springfield. An Tom Waits verheben sich Staples und Cook beim Opener "Chicago" total. Die Performance wirkt ein bisschen fanatisch, chaotisch produziert und übertrieben aufgeregt. Natürlich, Staples kann ein Lied von ihrer Windy City singen. Aber da wäre dann ein neues bzw. eigenes wohl besser.

Als Anspieltipps verbleiben dank Feinfühligkeit, Quietsch-Gitarren-Lead und Synkopen-Keyboard das Gillian Welch-Cover "Hard Times" und dank anrührendem Vortrag auch das rundum gelungene "Human Mind" samt Tenorsaxophon, verfasst vom "Take Me To Church"-Hozier und von der wunderbaren Allison Russell. Auch das Sparklehorse-Remake von "Sad And Beautiful World" fesselt und stellt einen zarten und auch ein bisschen innovativen Ansatz für dieses Lied dar, das 1995 vergleichsweise hypnotisch, Lo-Fi-skizzenhaft und strohig abgemischt wirkte. Für diese drei Treffer lohnt es sich durchaus, der Platte mal ein Ohr zu leihen. Insgesamt ist es aber zu ideenarm und dick auftragend zugleich, was nun nicht als die beste Kombination glänzt.

Trackliste

  1. 1. Chicago
  2. 2. Beautiful Strangers
  3. 3. Sad And Beautiful World
  4. 4. Human Mind
  5. 5. Hard Times
  6. 6. Godspeed
  7. 7. We Got To Have Peace
  8. 8. Anthem
  9. 9. Satisfied Mind
  10. 10. Everybody Needs Love

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