laut.de-Kritik

Liebesbrief an den eigenen Popo zu retro-futuristischen Beats.

Review von

Sie macht das, was McCartney doch vermied: Sein "Yesterday" hieß zuerst "Scrambled Eggs". Moonchild Sanelly erweist sich jetzt als crazy genug, um auf "Full Moon" endlich ein Lied dem Rührei zu widmen, zeitgemäß übrigens einem mit Avocado. "I'm the flyest up in here / Niggas know my kind is rare" prahlt sie. Rar - da hat sie Recht! Fly? Fly zu sein, also cool, über den Dingen stehend, schwebend, das ist einmal pro Jahrzehnt Modewort, oft im Kontext von Skatern und Hip Hop, war es auch schon bei den Pionier-Rapper:innen der 80er, siehe Grandmaster Flash, "Fly Girl". Aber zur Rap-Culture im engeren Sinne gehört Sanelly (noch) nicht.

Ob Die Antwoord je Teil davon waren, ist ungeklärt. Jedenfalls tourte die Künstlerin aus Gqeberha, wo das Nelson Mandela-Stadion liegt, mit der ebenfalls südafrikanischen Gruppe. Und es gibt sie, die Hip Hop-Bezüge. Etwa was Rollen-Identität betrifft: So bekundet sie ihren Stolz darüber, "nasty" zu sein, wie sie in "Sweet And Savage" ("Süß & Grausam") kundtut. Das Stück über ihre sexuellen Vorlieben für Frauen und Männer bringt auf weichem Drum'n'Bass viele Silben in wenig Zeit unter, ist mehr Wort als Musik.

Bei den Techniken, um sich mit ihrem schnellen Zungenschlag auszudrücken, legt sich die Künstlerin nicht fest. Ob sie nun Rap-ähnlich Spoken Word vom Stapel lässt, wie in einem Abschnitt des peitschenden Ohrwurms "In My Kitchen" oder als MC auftritt wie in "Big Booty", da ist sie flexibel. Mal bevorzugt sie "bam-bam-ratatat"-Lautmalerei, dann singt sie klar vernehmbar Worte. Etliche davon hält sie in Xhosa - der so genannten Klick-Sprache - nachzuschlagen bei Makeba -, das sie munter mit Englisch mischt. Xhonglish nannte ein Festival in ihrer Heimat dieses Switchen mal.

Ihr Konglomerat aus Zeilen spitten, dann doch wieder singen, ist uralt, geht auf Hip-House zurück, also das, was die von Sanelly zurzeit gern gehörte Doechii für neu verkauft und JJ Fad schon vor 35 Jahren perfektionierten. Wenn sich die Anteile auf Männer und Frauen verteilen, die Strophen Rap, die Hooklines Dance sind, nannte man das Prinzip in den frühen 1990ern Eurodance. Bei Moonchild Sanelly mischen sich jetzt das Treibende von Garage, das Fröhliche von Bubblegum-Pop, das Düstere des Grime und das Teilnahmslose von Drill unter den Eurodance in "Do My Dance". Das Ergebnis: ein fetter Banger, der in die Beine geht!

Future Ghetto Funk hat sie selbst ihr Genre getauft, Afro-Punk meint die Marketingabteilung ihres Labels heraus zu hören. Davon habe ich im Sound nichts gefunden - allenfalls könnte man die Rotzigkeit in der Attitude der Lyrics mit ganz viel Fantasie dem Punk zurechnen. Neuartig ist es irgendwie, was Sanelly macht, die sich nach ihrem Geburtsnamen Sanelisiwe Twisha ins Moonchild verwandelte. Ihr Markenzeichen sind viele blaue Haare, die wie ein Wischmop aussehen und tatsächlich so krass leuchten (beim Reeperbahn-Festival bewiesen).

Auf diesen Hairstyle hat die Künstlerin sich vor Jahrzehnten ein Gebrauchsmuster-Copyright eintragen lassen, soweit man sich einen Look patentieren lassen kann. Für Musik ist es schwieriger, Ideen vor Nachahmern zu schützen: Das wird die Songschreiberin wohl längst gemerkt haben, seit sie aus dem Modedesign in die Branche der Beats und Bühnen wechselte. Doch so sehr man ihr wünschen möchte, dass sie überhaupt die großartige neue Rezeptur gefunden habe, sind ihre Alben, auch dieses hier, in erster Linie ganz nett oder der "Future Ghetto Funk" retro-eklektisch und okay produziert.

Man kann teilweise dazu tanzen, der Klang-Kolorit ist einigermaßen fresh, ungewohnt, selbst innerhalb der Afrobeats-Palette. Pongo aus Angola gründelt noch tiefer in der Elektronik und in markerschütternden Bässen. Die heißen Trends Südafrikas der letzten 25 Jahre finden sich auf "Full Moon" jeweils in Andeutungen wieder - Kwaito-Hip Hop, Afro-House, Gqom, Amapiano.

Der nicht ganz so durchdringende Effekt, den die Platte mit mehr eigener Handschrift hätte, lässt ein bisschen den Mut von Johan Hugo Karlberg vermissen. Für den Produzenten scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, doch aus anderen Gründen als für die Sängerin. Dass Moonchild Sanelly, die sich zu ihrem 40. Geburtstag das Album gönnte, erst jetzt voll auf die Musik setzt, dürfte daran liegen, dass vor 10, 15 Jahren schnell Geld ins Haus kommen musste. Im Stück "Falling" greift sie ihre Perspektive als Alleinerziehende auf. Erst erzählt sie, dass sie bzw. ihr lyrisches Ich sich ein Haus gekauft habe; dann verrät sie den Grund, warum das so eine hohe symbolische Bedeutung hat: Der mutmaßliche Vater ihres ersten Kindes verweigerte einen DNA-Test.

So schlug sie sich durch, bald sogar als dreifache Single-Mama, aus offenen Beziehungen. Das trappige "I Was The Biggest Curse" thematisiert auf einem unscheinbaren Musikbett zwischen Crunk-Ansätzen und drögem R'n'B, wie sie nach mehreren Abtreibungen ihren Kurs fand. Mit ihren Geschwistern und der Verwandtschaft ihrer Eltern hatte sie den Kontakt abgebrochen: Der Vater war keine Bezugsperson für sie, ihre Mutter gestorben, als sie Teenager war.

Producer Johan, 42, hat einen europäischen Background. Doch der Schwede und Wahl-Engländer weiß schon lange, wie man Sounds südafrikanisch klingen lässt. Gemeinsam mit Étienne Tron nannte er sich um 2010 herum The Very Best. Was sie taten, hieß nicht nur Allerbestes, es war auch super und zu jener Zeit state of the art, eine Art Hedkandi-Ibiza-Nu-Disco-Funk-House als Würdigung der DJ-Szene Johannesburgs in der Phase, als das Land die Fußball-WM hatte und die Plattenläden auf einmal die afrikanischen Geschichts-Schätze der 70er auftischten, remastered, mit Anekdoten umgarnt, von Honest Jon's, Analog Africa und weiteren Nuggets-Diggers. Der Zenit dieser Welle war erreicht, als der Rodriguez-Film in Kino und TV lief, als Vampire Weekend den Jive-Rhythmus vom Kap übernahmen und Nelson Mandela unter großer Anteilnahme beigesetzt wurde. 2014 verpuffte der Trend.

Johan war als Remixer gefragt. Er kredenzte seine Sorte Trance-House aus Lady Gagas und Beyoncés "Telephone" und wirbt damit bis heute. Vampire Weekend klopften bei ihm an, ebenso Amadou & Mariam mit K'Naan. Für Lana Del Rey mischte er einen Remix ihrer "Video Games", und er verpackte M.I.A. neu, Hauptfigur der damals so genannten Blog House-Szene. Durchgehendes Merkmal dieser und weiterer Arbeitsproben ist ihr on-/off-Charakter. Stets programmierte Johan ein einzelnes Mal für die Stars, das war's. Moonchild Sanelly nahm sogar schon für Beyoncés "Lion King"-Soundtrack eine Strophe auf, worauf sie stolz ist.

Mögen alle diese Erfahrungen, solch ein Vorleben, Johan und Sanelly auch verbinden - "Full Moon" wirkt an vielen Stellen stehen geblieben an einem überschrittenen Thrill-Punkt der Sound-Entwicklungen in den 2010ern und bei den früheren Errungenschaften der beiden. Den Anspruch, etwas Zündendes zu zaubern, das so magnetisch wirkt wie die blaue Haarpracht, die leuchtenden Genre-Begriffe und der Vollmond als Thema, den hört man mehr im Hype-Begleitrauschen als in der Umsetzung.

"Falling" als einer der charismatischsten Tracks hat die jüngste Referenz auf etwas, das es schon mal gab. Gleichzeitig markiert die E-Orgel in "Falling" den Höhepunkt inmitten einer sonst recht trockenen Beat-Struktur. Zwischen allerlei Wortspiele ("I make them better, then they turn bitter / I enter sweet, then I leave sour / I love them hot, they leave me cold / I bring the light, they switch them off") streut Moonchild ein bisschen Emanzipation ein, gespeist aus ihrer Biographie. Sie mischt sie mit Stimmungsmache und Tanz-Anfeuerung.

Hinter einigen vulgären Texten stecken die üblichen Großmacht-Ideen des Goldkettchen-Trap, das Feiern des sozialen Aufstiegs, Betonen, wie einem die Welt zu Füßen liegt, eine ordentliche Portion Eigenlob und viel Vulgäres, das den Popo vorne auf dem Album von hinten und in der hinteren Hälfte des Albums genauestens von vorne beleuchtet, bis es obszön wird. Unter den Vorzeichen von Wokeness lässt sich für alles ein Mental Health-Aufhänger finden, so auch hier zum Beispiel für "Big Booty", musikalisch sicher was für Cardi B-Fans.

Der Text ist maximal repetitiv, teils stupide ("If I had a big, big booty bop, bitty boop / shake it, break it, bend it"). Durch einen Wechsel ins Xhosa erhält er etwas Würze, klingt ansonsten aber monoton in den Ohren. Immer wieder repetiert und predigt Sanelly, wie super sie ihr Gesäß finde, erklärt im Blog The Line Of The Best Fit, "Big Booty" sei "ein romantischer Liebesbrief an meinen großen Arsch. (...) Es ist nicht einfach, deinen eigenen Körper zu lieben, besonders als Frau. Mein Hintern und meine Hüftbewegungen sind Teil meiner Energie und Magie (...) Es kommt nicht auf die Größe des Gesäßes an, sondern auf die Größe deiner Attitude." - Das Video dazu schaut entsprechend selbst-erklärend aus.

Würde die Musik einen mehr wegfegen und überraschen, wären die mitunter flachen Lyrics und die dahinter stehenden niveaulosen Gedanken vermutlich weniger schlimm. Via Apple Music lässt die Songwriterin, die alles selbst verfasst, wissen: "In My Kitchen" (das gute Breakbeats für sich verbuchen kann) handele davon, dass sie in ihrer Küche Penis zubereite: "I cook penis. I chop it. My sex is banging, so I chop it. I don’t chop veggies, I chop 'pipi'." - Zu "Gwara Gwara" kommentiert Moonchild, "ich erkenne Frauen nicht an, die zu Opfern wurden. (...) Ich kannte abgefuckte Frauen, die Sachen selbst in die Hand nehmen. (...) Ich hab mir mit meiner Identität eine Lizenz geholt, die bedeutet, man kann sich seine eigene Welt erschaffen, ich erschuf eine, in der ich die 'Bad Bitches' befreie." - "I Love People" handelt laut digitalem Booklet vom Verlust der Jungfräulichkeit, "Boom" von "n***as", denen sie das Kondom kaufe, weil die Jungs pleite seien.

Auch wenn der Künstlerin mit "Mntanami" ("Kleiner Schatz") ein ruhiges und ernstes Lied gelingt, schielt die Platte überwiegend aufs Twerken für Insta-Stories und macht einen eher eskapistischen als rebellischen Eindruck. Im Mittelpunkt steht Sanellys eigener Jet-Set-Lifestyle, weil sie stets kämpfte und das Geld ran schleppte. Sie hat sehr viel Sex mit vielen wechselnden Personen und stellt es ausgesprochen ins Zentrum der autobiographischen Scheibe, dass alle so leben und sich ihre Durchsetzungskraft zum Vorbild nehmen sollen, um sich diesen Lifestyle zu ermöglichen. Dabei haben gar nicht mal alle Menschen das Ziel und die Zeit dauernd zu vögeln oder in teuren Hotels zu residieren.

Dort fiel ihr der Rührei-mit-Avocado-Trend auf (der eigentlich dem Vegan-Boom als Ursache für den Erfolg der Frucht widerspricht). "Als ich anfing in den guten Hotels zu übernachten, nahm ich wahr, wie besessen die Welt von Avo und Eiern zum Frühstück ist", erzählt sie im Clash-Magazin und begründet diese Hotel-Buchungen: "Ich BIN diese Bitch: Eine Künstlerin mit mehreren Pässen, die die Welt in maßgeschneiderten Klamotten bereist. Und ich bin wirklich f***ing stolz drauf." - Dieser Stolz scheint der Kreativität im Weg zu stehen. Hoffentlich wird keine Geld zählende zweite Iggy Azalea aus ihr, sondern irgendwann eine wirkliche Funk-Innovationskraft.

Trackliste

  1. 1. Scrambled Eggs
  2. 2. Big Booty
  3. 3. In My Kitchen
  4. 4. To Kill A Single Girl (Tequila)
  5. 5. Do My Dance
  6. 6. Falling
  7. 7. Gwara Gwara
  8. 8. Boom
  9. 9. Sweet And Savage
  10. 10. I Love People
  11. 11. Mntanami
  12. 12. I Was The Biggest Curse

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