laut.de-Kritik

London bleibt der musikalische Dreh- und Angelpunkt Europas.

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Der Posaunist Fred Wesley sprach: "Stefan, you know what the funk is about!" Der Stefan heißt Redtenbacher, stammt aus Österreich und zog vor knapp 30 Jahren zum Bass-Spielen nach London. Dort wohnt auch seine aktuelle Auftraggeberin und Kreativpartnerin Sarah Joyce, bekannt als Rumer. Seine vorigen Engagements hatte er für Steve Winwood, Paul Carrack, Amy Winehouse, Eli Paperboy Reed, Joss Stone, Imelda May, Elles Bailey. Für all die Leute, die sich nun nicht mehr an Rumer und ihre Songs erinnern, legen sie und das Redtenbacher's Funkestra ihre alten Titel wieder auf.

"In Session" enthält mehrheitlich Stücke vom lange verklungenen Debütalbum, das Rumer 2011 mit großem Echo raus brachte, "Am I Forgiven", "Take Me As I Am", "Saving Grace", "Slow", "Aretha" und "Blackbird" erhalten nach 14 Jahren eine neue Politur. Das Cover "It Could Be The First Day" erschien ursprünglich 2012. "Dangerous" ist eine faszinierende Neueinspielung eines Lieds von 2014. Und "The Fate Of The Fireflies" gehört zum Tribute-Album "Nashville Tears - The Songs Of Hugh Prestwood". Der Country-Songschreiber, der selbst kaum etwas aufnahm, aber viele belieferte, ist ein Nerd-Thema. Rumer würdigte ihn noch zu Lebzeiten, als sie 2019 eine Doppel-LP mit Stücken aus seiner Feder füllte; im September 2024 starb er.

Rumers neue Session-Platte nutzt nun die vorzügliche Besetzung, die der Servicebetrieb Funkestra anbietet: Von der fünfköpfigen Combo bis zum großen Orchester mit allem Holz und Blech, das gestrichen, geblasen und getrommelt werden kann, kann sich Redtenbachers Crew auf jedes Erfordernis einstellen, so lange es irgend etwas mit Soul, Funk, Jazz, Rhythm'n'Blues zu tun hat.

Besonders beeindruckt und berührt das autobiographische "Aretha", das aus den Zweisamkeits-Tunes ausschert und doch eine andere Art der Intimität beschreibt: Wenn die Musik, in diesem Falle die der wohl ewig amtierenden Queen of Soul Aretha Franklin, stärker auf einen Menschen wirkt als die realen Personen in der direkten Umgebung. Rumer versetzt uns zurück in ihre Kindheit. Kämpfe im Kopf, die sich für sie in der Pubertät anhörten "like breaking glass", lassen sich "high on my headphones, walking to school", mit Musik übertönen, weg wischen. Die Londonerin vertraut ihrer parasozialen Freundin "Aretha" an: "Aretha, I don't want to go to school / 'cause they just don't understand me, and I think the place is cruel", wobei sich cruel auf school wirklich witzig reimt.

"Blackbird" zeichnet mit lang gedehnten Noten ein Stimmungsbild aus dem Innenleben einer Partnerschaft im Stadium des Sich-irgendwie-Auseinanderlebens. Bei Redtenbacher's Funkestra toll von Stefan in Bill Withers-Manier arrangiert, folgt der Sound dem assoziativen und Fantasie anregenden Flow des Textes. Da schaut ein Pärchen Filme, als es sich nichts mehr zu sagen hat, "we are watching old movies in our little technicolor hideaway / And on that soft screen the beautiful ladies were movie queens. / They'd glide on the floor, singing melodies, melodies that I can't forget (...) But there's a blackbird singing."

Intimes und Warmes dieser Art für Norah Jones-Hörende liefert mehr oder minder das gesamte Album. "Take Me As I Am" orientiert sich stilistisch an Carole King. Umso mehr überrascht, dass Rumer nichts aus ihrem in dieses Horn blasenden Burt Bacharach-Tribute-Album an Bord hat - obwohl sie und ihr (ebenfalls musizierender) Mann Bacharachs Werk sehr verehren und es sich im Rahmen eines Albums mit Session-Charakter geradezu aufgedrängt hätte, dem Easy Listening zu huldigen.

Beim Keyboard-Tune "Slow" herrscht mittleres Tempo vor. Trotz seines stillen Charakters hat der Song etwas Fließendes, mit Push, mit Groove und flowful, also eher nicht so "Slow" wie er heißt. Die Performance erinnert in der Mischung aus Lässigkeit und Jazz-Eleganz an Anita Baker, Edel-Softsoulerin der Achtziger. Kaum passend zum Drumherum ist die pflichtschuldige Country-Adaption "The Fate Of The Fireflies", vorgetragen in gebrochener Intonation, dem Nashville-Klischee entsprechend. Das wenig eingängige Stück über "people saying (...) true love's a lie" fügt sich lyrisch bruchlos ins Album. Musikalisch stört es aber, verwässert mehr die Stimmung, als dass es sie bereichern würde.

Obwohl "Dangerous" ein Lounge-Schleicher und auch dem Thema zufolge Schlafzimmer-Poesie ist, machen Rumer und Redtenbacher ihre Sache hier so sehr gut, dass der Track als großes Highlight für sich einnimmt. Das Funkestra manövriert die sensible Story auf butterigen E-Piano-Tönen. Im Chrous bricht die Sängerin eruptiv aus sich heraus. "Too scared to trust, but not because of you / it's what I've been through. / Love hurt me back, and I don't wanna be a fool for you (...) I don't want a broken heart again." - Angst vorm eigenen Kontrollverlust, davor, sich fallen zu lassen, führen zu einer Paradoxie: Vertrauen wird als "Dangerous" empfunden. Selten gab es so ein gutes Lied, lyrisch und musikalisch miteinander stimmig, das Angst vor Nähe derart schön, empfindsam, pointiert und kompakt auf den Punkt brachte.

Einige Befunde lassen sich aus "In Session" ableiten. Erstens: Aretha Franklins Musik enthielt bekanntlich Gospel-, Blues- und Rock-Elemente. Diese Bestandteile in ihrem Mischungsverhältnis abzubilden, wenn man eine Hymne auf "Aretha" komponiert, ist schwierig, gelingt hier aber vortrefflich. Zweitens: London bleibt der Dreh- und Angelpunkt Europas, wenn man mit Soul-Musik sein Geld verdienen will. Dabei vermischen sich die Szenen des Fusion-Jazz, Acid-Jazz, Bluesrock, Funk, und letztlich geben oft Musiker:innen aus Jam-Bands den Ton an. Heraus kommt zwar soulige Musik, aber nicht das, was man landläufig in den USA als Soul bezeichnen würde, sondern ein eurozentrisches Verständnis von Soul, das aber vor allem auf Liebeslieder abzielt und nicht auf die soziokulturelle Komponente dieser Musik.

Drittens: Der Mut, in den neuen Versionen Zeit für Soli zu lassen und den Instrumenten Raum zu geben, ist mickrig. Schade, denn ein solcher Ansatz wäre etwas Neues gewesen. Statt dessen brechen alle interessanten Hinhör-Momente an den schwarz-weißen Tasten nach wenigen Takten ab. Die Platte ist wie immer bei Rumer komplett auf die Vocals zugeschnitten, was dem Charakter einer Session-Platte mit Platz für Improvisation widerspricht. Viertens: Nach über zehn Jahren ohne ein einziges neues Lied nur alte Songs aufzuwärmen, ist bereits ein Statement. Der Zeitgeist macht es diesen sanften Sounds nicht leicht. Trotzdem könnte man es wenigstens versuchen, mit ein, zwei neuen Kompositionen auszuloten, wie gefragt die Britin heute ist. Anzunehmen wäre, dass in einem ganzen Lebensjahrzehnt irgendwas Interessantes in ihrem Umfeld geschehen würde und womöglich ein bisschen Anstoß zur Inspiration hätte geben können.

Trackliste

  1. 1. It Could Be The First Day
  2. 2. Am I Forgiven
  3. 3. Saving Grace
  4. 4. Dangerous
  5. 5. Blackbird
  6. 6. Slow
  7. 7. The Fate Of The Fireflies
  8. 8. Aretha
  9. 9. Take Me As I Am

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1 Kommentar

  • Vor 2 Tagen

    Auch als mutmaßlich erster und bis heute wahrscheinlich größter festlandeuropäischer Fan von Instant Evergreens wie "Slow" komme auch ich nicht umhin, insbesondere den letzten Absätzen der Rezi uneingeschränkt zuzustimmen.

    In Sachen Eigenkompositionen bleibt Madame Joyce ein wenig... ähm, *hust*... slow.