laut.de-Kritik
Eine quirlig clevere Bass-Platte.
Review von Philipp KauseGeradlinigen Girlie-Pop gibt es, seit es Pop gibt. Rund um die Themse wimmelte es schon Mitte der Sechziger vor jungen Frauen mit Pony-Haarschnitt, die auf zwei Minuten langes Futter zum Trällern warteten. Irgendetwas über Jungs ("I get a boy"), Küssen und Spaß, um "joy" auf "boy" zu reimen oder umgekehrt. Mit dem schwedischen Euro Beats-Act Ace Of Base reifte dieses Konzept Anfang der Neunziger zur Vollendung.
Die 1997 geborene Schwedin Zara Larsson hat das zwar nicht miterlebt, funktioniert aber geschmeidig im Zirkus der Bubble-Bounce-Floor-Filler. Dabei legt sie Wert darauf, ihre Texte selbst zu schreiben und als stimmliche Leichtathletin in vielen Disziplinen anzutreten: maunzend, dirty, lasziv, sommerlich lässig, naiv, dominant, kampffeministisch, nahbar, fiepsig und auch mit eleganter edler Klarheit. "Midnight Sun" dekliniert zudem eine stattliche Reihe an Dance-bezogenen Spielarten durch.
Zara liefert die jung klingende Stimme, an der sich die Beats reiben, ob House ("Crush"), flächiger Art-Synthpop (das nette "Saturn's Return"), Balkan-Folktronica ("Euro Summer"), Drum'n'Bass und Breakbeats wie im Titelsong oder hedonistischer Blubber-Electro ("Girl's Girl"). Bemerkenswert ist, wie geschickt Larssons Team um die üblichen Disco-Referenzen und Eighties-Mainstream-Moves herum Slalom fährt bzw. eingeschliffene Radio-Schablonen meidet.
Spitze ist auch, wie abwechslungsreich die Platte gerät, die sich mit "Hot And Sexy" sogar in Underground-Kreise bewegt und sich dabei souverän eklektisch binnen weniger Minuten Rave, Hi-NRG, R'n'B, Moombahton, Future-Bass und komplett Autotune-verzerrten Kuschel-Dancehall einverleibt.
"Well, that's the thing with the ambition", räumt die 27-Jährige recht ehrlich in ihrem Bekenntnis "The Ambition" über den American Dream und über die Sehnsucht nach Hollywood, Anerkennung und Ruhm ein. "Everything's a competition", singt sie und hat ihre Stimme hart trainiert, mit der sie beeindruckend geschmeidig die Sopran-Leiter empor gleitet, während zum Teil relativ verspielte und verfremdende Effekte zum Einsatz kommen.
In L.A. befinden sich auch die beiden Co-Producer Zhone und Margo 'XS' Wildman. Margo ist eine queer-aktivistische UK-Garage- und Bassmusik-Produzentin. Zhone ersann zuletzt das Konzept des Genres fusionierenden "Joyride" auf Keshas Platte mit dem Klecks und klemmte sich hinter das bevorstehende Album von Demi Lovato. Er weist glanzvolle Referenzen auf, beispielsweise Charli XCX: "Talk Talk" geht auf sein Konto. "Midnight Sun"-Beat-Boss ist aber MNEK. Er arbeitet schon seit zehn Jahren mit Zara zusammen, war zu einem frühen Zeitpunkt auch in die Karrieren von Mabel, Raye, Stormzy und weiteren in der Londoner Afrobeats-Urban-Grime-Blase involviert und grundierte Little Mix mit seinen Grooves.
Der Entertainment-Faktor des 32 Minuten kompakten Longplayers "Midnight Sun" liegt jenseits des coolen Sounddesigns in der Verlötung zweier smarter Phänomene: Einmal die starke Identifikation Zara Larssons mit ihren Texten und der entsprechend lebendigen Vortragsweise. Andererseits die Jersey Club-Einsprengsel, die aktuell recht angesagt an den Schnittstellen von Elektronik, Pop und Hip Hop sind. Ein deutsches Beispiel wäre hier Yung FSK18 mit ihren Beatmakern Brauer und Rattenjunge. "Midnight Sun" wurde vom kurzen skandinavischen Sommer inspiriert, doch diese Musik heizt auch an nassen Herbsttagen und frostigen Winternächten ein.
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