laut.de-Kritik

"Er war der beste Rapper, unser Lieblingsrapper" (Kanye).

Review von

Jesus, Yeezus liebt den Ghostface Killah und adaptierte für seine legendären Jay-Z-Beats bewusst den Style von "Supreme Clientele". Bäm! Meilenstein-Berechtigung: Check. Doch dazu später mehr. Nähern wir uns dem einzigartigen Album lieber auf althergebrachte Art: Shaolin-Style, sozusagen.

"In the new millennium cities, watch what I do / I'm bout to save hip hop like Ghost did the Wu." OG Freddie Foxxx lauscht seit jeher mit einem Ohr der Straße und erkennt 2000 im Track "RNS Real Nigga" die Zeichen der Zeit: Ghostface aka Tony Starks aka Iron Man schultert zur Jahrtausendwende ganz allein den schweren, auf den Boden des Hudson Rivers sinkenden Rucksack und zieht mit seinem zweiten Album "Supreme Clientele" die Kung-Fu-Karre wieder aus dem Schlamm.

Dafür mixt er vollkommen abgedrehte Lyrics, Soul-Bap-Banger im harten New York-Gewand, sympathische Großmäuligkeit, Ironman-Referenzen, schräg-sägende Hooks, Beats, die nur einen Scratch loopen, und Gespräche über das Flachlegen sämtlicher Frauen im Rapgame zu einem irrwitzigen und seltsamerweise vollkommen stimmig schmeckenden Cocktail.

Doch warum muss der Wu damals überhaupt gerettet werden? Für uns Wu-Heads regierten Mastermind RZA und Co. doch die Welt. Wu World Order und so. Selbst jeder C-Klasse-Reim der Familie wird auch im siebten Jahr nach den "36 Chambers" gefeiert wie die Geburtstagsfete vom Mafia-Paten in Staten Island. Objektiv betrachtet jedoch hielten 99er-Alben wie Raekwons "Immoblarity", Inspectah Decks "Uncontrolled Substance" oder U-Gods "Golden Arms Redemption" dem Druck der ersten Solo-Platten nicht stand (Ausnahmen wie Sunz Of Man oder LA The Darkman bestätigen die Regel).

Da saßen wir nun im Auto, deaf, dumb and blind, und zeigten uns zu Songs wie "Dat Gangsta" oder "Show N Prove" selbstherrlich die eigenen Wu-Tätowierungen. Ruff Ryders, Rawkus, alles irrelevant. Instinktiv ahnte aber wohl selbst der stanigste Stan, also wiederum me, myself and I, schon Ende 1999 den anhaltenden Bedeutungsverlust. Doch dann kam "Apollo Kids".

Drei Jahre lang hatte der gute Ghost nach seinem "Ironman"-Debüt an den "Poisonous Darts" gefeilt und eröffnete das kleine Comeback auf jener ersten Single dementsprechend wütend. "All y'all fake motherfuckers up in the joint, huh / Stealin' my light, huh." Schon die ersten Zeilen stellen klar: Ghost kleckert nicht, er klotzt. Im Video besucht er in einen Bling Bling-Bademantel gewandet die Wallabees-Fabrik und schnallt sich zu guter Letzt noch sämtliche Championgürtel um wie Floyd Mayweather.

Pimp, Player, ohne Ton könnte man denken, Master P und der No Limit-Hype hätte den Wu um den Pinky Ring-Finger gewickelt. Mit Ton flowt der Staten Island-Emcee jedoch alles in Grund und Boden und die Fans um den Verstand: "Since the face been revealed, game got real / Radio been gassing niggas, my imposters scream they're ill / I'm the inventor, '86 rhyming at the center / Debut '93 LP told you to enter." Der Beat von Hassan knistert und funkt dazu breitbeinig über Solomon Burkes "Cool Breeze".

Dass auf "Apollo Kids" zum Schluss noch Ghosts kongenialer Partner Raekwon auftritt, vergessen selbst eingefleischte Killa Beez. Zu dominant kommt der Killah hier zurück ins Game und steht zum ersten Mal komplett auf eigenen Füßen. Boogie Down-Legende Sean Price nennt diese Entwicklung 2012 in einem ausführlichen Complex-Artikel als einen der wichtigsten Gründe für den Erfolg und den Klassikerstatus von "Supreme Clientele": "'Ironman' war Ghostface featuring Raekwon, so dass es klang wie 'Cuban Linx Part II'. Auf 'Supreme Clientele' hob Ghost seine Skills auf ein neues Level. Ich denke, er wollte alle anderen einfach an die Wand rappen."

Genau das tut er, als die Platte im Februar 2000 erscheint. "Swing the John McEnroe, rap rock'n'roll / Tidy Bowl, gun hold pro, Starsky with the gumsole / Hit the rum slow, parole kids, live Rapunzel" - selbst Nerds brauchen Stunden, um die Zeilen des Openers "Nutmeg" ganz zu verstehen. Der energetische Flow ist nicht von dieser Erde und irgendwie fühlt man, was Tony hier vor sich hin reimt.

Dass der unbekannte Producer Black Moes-Art - tatkräftig unterstützt vom RZA, der zu jeder Zeit des Albums die Soundfäden wie ein Puppenspieler in der Hand hält - mit der Zerstücklung von Eddie Holmans "It's Over" nebenbei den Loopprint für die 2013er Sounds von Alchemist und Roc Marciano legt, gerät bei so viel Mic-Magie fast zur Nebensache.

Gar noch krasser wirbelt der Wu-Retter beim folgenden "One" durch die Booth. Während Beatnuts-Juju einen straight und klar produzierten Piano-Kopfnicker in den Rechner legt, züngelt sich Ghost durch Silben und Slang Editorials, als würde Fischers Fritze frische Fische fischen. "That verse is dumb and that flow is crazy", steht auch Sean Price der Mund danach weit offen. Direkt im Anschluss knallt Bad Boy Carlos Broady noch den kurzen, orchestralen Nackenbrecher "Saturday Nite" hintendran und lässt den Hörer endgültig mit Schnappatmung aufs Sofa sinken.

Ließen bereits diese ersten drei Tracks Mister West, Mister West zum Yeezus werden? Inspirierten sie ihn so sehr zu seinem Soul-Reload? Bekam Jay-Z dank ihnen den Karriereboost zum Best Rapper Alive? Im Buch "Kanye West In The Studio: Beats down! Money Up! (2000 – 2006)" von Jake Brown äußert sich Kanye jedenfalls eindeutig: "Eigentlich hatten wir – Just Blaze und ich - all die 'The Blueprint'-Beats nicht für Jay sondern für Ghostface gebaut. Er hatte uns mit seinen Alben so geprägt. Er war der einzige, der zur Jahrtausendwende etwas Großartiges rausgebracht hat. Er war der beste Rapper. Unser Lieblingsrapper. Ich verdanke meinen Style nur ihm."

Auf den Punkt gebracht: Ohne God Ghost kein Yeezus. Wir wissen nicht, ob sich der Wu-Bruder Nummer eins nach dem ersten Durchlauf von "Slaves" immer noch über die Liebe freut. Fakt ist, dass sich seit jeher Jigga-Fans und Wu-Heads in Foren batteln wie Mönche. Für laut.de indes beantwortete ein Kollege diese Frage schon damals in der "Blueprint"-Review von 2001. Entschlackt man den streitbaren, und aus Sicht des Autors dieser Zeilen hier komplett falsch gepolten Text auf einen kleinen, relevanten Kern, kann die Kopie tatsächlich niemals besser sein als das Original:

"Die Sounds sind schön glattgebügelt, die meisten Beats wurden schon vor 50 Jahren erfunden und werden in dieser Art seit mehr als zehn Jahren gesamplet, Raps in der Strophe und hohe Frauenstimmen im Refrain mit Soulgesang", so die Meinung des Kollegen. Genau diese Dinge sucht man auf "SC" vergeblich.

Der RZA persönlich entfremdet und loopt sich allein auf "Ghost Deini" durch Michael Massers "My Hero Is a Gun", Mary Jane Girls "All Night Long", "Nightshift" von den Commodores sowie "Move The Crowd" von Eric B. & Rakim. Wo Hova die legendäre Mary J braucht, croont Ghost sich einfach selbst über die Bridge: "Marvin, Marvin, you were a friend of mine / You stood for somethin, ugh 2Pac, Biggie, ohh how we miss you so / We want y'all both to know / We really love you so."

The Abbott hypnotisiert auch auf "The Grain" mit wahnwitzigem Loop-Game und lässt den nickenden Kopf nicht mehr aus dem Cobra Clutch. Ghost spielt hier Ol' Dirtys Rolle vom Verschwörungstheoretiker: "Fingering Pamela Lee / We on the balcony / Dare one of ya'll to Malcolm X me / Somebody might catch a Kennedy." Wenn einen das FBI abhört und ein Kollege ständig von Überwachungen durch den Papst phantasiert, sind dies wohl normale Annahmen.

Das folgende "Buck 50" wäre dagegen 'nur' klassischer Wu-Soul-Bap, wie er eigentlich auf allen Alben seit 1997 zeitlos auftauchen könnte – ja, wäre da nicht die deepste Zeile aller Zeiten: "Supercalifragalisticexpialidocious / Dociousaliexpifragalisticcalisuper / Cancun, catch me in the room, eating grouper."

Über die Jahre fragten sich Digga und Diggarettes immer wieder, warum der Ironman trotz unglaublicher Nachfolgesolos wie "Bulletproof Wallets", "The Pretty Toney Album" oder "Fishscale" nie mehr diesen lyrischen Wahnsinn ablieferte. Einige wenige folgen daher den späteren Aussagen von Knastbruder Superb aus dem Raekwon-Umfeld. Jener Superb nahm für sich in Anspruch, die Vielzahl der "SC"-Lyrics geschrieben zu haben.

Immerhin outete er sich neben Pädophilie-Vorwürfen auf dem späteren Ghost-Track "Flowers" als überaus talentierter Verseschmied, dessen Zeile "I'm not a gangster and I hate thugs too / I'm just a nigga that paint a picture without a paintbrush tool" immer noch zu meiner GOAT-Zeile gehört. Auch G-Units Tony Yayo folgte in einem Interview mit 50 Cent - irgendwann 2010 - dieser Theorie. Fifty wiegelte damals sofort ab. Die Zeiten von Stress zwischen den Camps sollten definitiv der Vergangenheit angehören.

Im Jahre 2000 jedoch steht die Szene nach seinem "How To Rob A Industry Nigga"-Diss noch unter Strom. Damals rappte der junge Curtis: "... Catch Rae Ghost and RZA for them funny ass rings." Auf dem "Clyde Smith"-Skit von "Supreme Clientele" antwortet ihm Ghost (oder Rae) mit verstellter Stimme: "Straight up, yo that nigga 50 Cent? / That's yo, I don't even know why he try to do that little dumb ass shit / Right there / But I'm a tell you something / You could say all them other niggas name / But niggas, niggas gon see them based on that big daddy / I know why they ain't bark on you / Cuz they ain't try to let your new broke ass trying to come out in the game / And act like they lettin you live off they scruff / Ok, you ain't even that big, dick / And if I see you up in here / I'm a have about 500 wolves on you."

Die Rap-Foren drehen sofort durch, Rufer in der Wüste unken, ein Krieg zwischen den Lagern stehe kurz bevor. 50 Cent gilt als echter Gangster, seine Truppe sowieso, und Ghost hat laut diverser RZA- und Shyheim-Interviews alleine ganze Clubs zerlegt. Von der Wu-Gang ganz zu schweigen. Gerüchte machen die Runde, dass Ghost Fifty eine Treppe runtergeworfen habe (was nicht stimmt, einen solchen Abgang gönnte Ghost nur Mase), kleinere Diss-Tracks zwischen den Lagern erscheinen, doch die Lage bleibt ruhig. Gut unterrichteten Quellen im Jahre 2000 zufolge treffen sich die beiden Parteien mit mehreren Hundert Goons als Schutz und verabreden einen Burgfrieden.

Im Endeffekt symbolisiert auch der Clyde Smith-Skit nur Ghosts überlaufendes Selbstvertrauen in die eigene Stärke. Ein Selbstvertrauen, das sich natürlich auch in den restlichen Stücken der Scheibe Bahn bricht. Auf dem böse polternden "Mighty Healthy" referenziert er nebenbei den 1987er Underground-Hit "Holy War" von Divine Force ("Shake that body, party that Body"), feiert mit dem fast italo-elektro-poppigen "Cherchez La Ghost" seinen größten Single-Hit und fliegt förmlich über RZAs verstörenden Rückwärts-Scrachloop auf "Stroke Of Death".

Dank all dieser und der folgenden Wu-Banga half Ghost dem Wu über die miesen Jahre und zu weiteren Gold- und Platinauszeichnungen. Gleiches soll 2010 Raekwon mit dem "Cuban Linx"-Sequel gelingen. Freddie Foxxx hatte also Recht. So scort nicht nur Sean Price im internen Ironman-Duell 9:3 für "Supreme Clientele". Ergo gehören ihm auch die letzten Worte: "Alle dachten, der Wu wäre am Ende, und Ghost brachte ihn zurück. Er brachte ihn nicht nur zurück, sondern tat dies ganz alleine."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Nutmeg (feat. RZA)
  3. 3. One
  4. 4. Saturday Nite
  5. 5. Ghost Deini (feat. Superb)
  6. 6. Apollo Kids (feat. Raekwon)
  7. 7. The Grain (feat. RZA)
  8. 8. Buck 50 (feat. Method Man, Cappadona, Redman)
  9. 9. Mighty Healthy
  10. 10. Woodrow the Basehead
  11. 11. Stay True (feat. 60 Second Assassin)
  12. 12. We Made It (feat. Superb, Chip Banks, Hell Razah)
  13. 13. Stroke of Death (feat. Solomon Childs, RZA)
  14. 14. Iron's Theme
  15. 15. Malcolm
  16. 16. Who Would You Fuck
  17. 17. Child's Play
  18. 18. Cherchez LaGhost (feat. U-God)
  19. 19. Wu Banga 101 (feat. GZA, Raekwon, Cappadonna, Masta Killa)
  20. 20. Clyde Smith (feat. Raekwon)
  21. 21. Iron's Theme (Conclusion)

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