Die laut.de-Redaktion hat gewählt: Wir küren unsere 30 Lieblingsalben des Jahres 2010.
Konstanz (laut) - "War 2010 wirklich ein so gutes Jahr? Is mir gar nicht aufgefallen", staunte so mancher Redakteur nach Veröffentlichung der Jahresbestenliste leicht gehässig. Denn Bands wie die Kings Of Leon, Vampire Weekend oder MGMT, die in früheren Jahren von allgemeiner Zuneigung schier erdrückt wurden, fristen dieses Jahr ihr Dasein abseits der Top 30.
Und das sicher nicht, weil ihre Alben sterbensschlecht ausgefallen wären. Gut, der Fall MGMT ist sicherlich ein heikler, ärgerten die Brooklyner 2008er Darlings die Hit-Klientel ihrer Gefolgschaft mit dem verqueren Psychedelic Rock-Album "Congratulations" doch nachhaltig.
Doch um auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen: 2010 war sicher kein schlechtes Jahr. Platz eins beispielsweise kam in geradezu sozialistisch geprägter Einigkeit zustande. Und um die Riege bekannter Acts ein wenig aufzulockern, wählten die 34 teilnehmenden Autoren zwei Debütalben in die Top 10.
Fraglos hätten mehr als drei deutsche Bands der Bestenliste nicht schlecht zu Gesicht gestanden. Doch Fotos, MIT und Turbostaat mobilisierten am Ende nicht genügend Sympathisanten. In diesem Sinne bemühen wir nochmal den ewiggültigen Appell unserer Song des Jahres-Liste: Lobet oder lyncht uns. In jedem Fall: Habt Spaß!
Antony & The Johnsons - "Swanlights"
Sparsames Klavier, zarte Streicher, Jazz-Harmonien, Soundtrack-Ansätze: Dass Antony alle Ketten sprengt, wussten wir natürlich schon vor seinem vierten Album. Doch auf "Swanlights" leuchtete erneut die sinfonische Grandezza, die dieser unvergleichlichen Stimme innewohnt. Dass es dieser scheue Künstler unter die besten 30 Alben des Jahres geschafft hat, ist ein schönes Verdienst für diese unaufdringliche und zugleich einnehmende Musik.
Mike Patton - "Mondo Cane"
Einem bunten Hund wie Mike Patton reicht es nicht, bei Faith No More und 20 anderen Bands mitzuwirken. Er will die Welt erobern. Dem Albumtitel nach eine Hundewelt ("Mondo Cane"). Natürlich auf seine Weise: Mit Orchester und italienischen Schlagern aus den 60er und 70er Jahren. "Ich wollte durch moderne und abenteuerliche Interpretationen der Stücke zeigen, wie wichtig und lebendig diese Musik noch heute ist", so der Meister selbst. Ob Gino Paolis "Il Cielo In Una Stanza", Fred Buscagliones Abenteuer mit einer Blondine ("Che Notte!") oder dem neapolitanischen Schmachtfetzen "Scalinatella" – Patton übertrifft sich mal wieder selbst.
Deftones - "Diamond Eyes"
Dass die Deftones nicht warten wollten, bis ihr Bassist Chi Cheng nach seinem schweren Autounfall vor zwei Jahren wieder sein Instrument bedienen kann, spricht für die Musikversessenheit der Gruppe. Das mit Cheng in Ansätzen eingespielte Werk "Eros" ließ man vorerst ruhen und erschuf mit Quicksand-Basser Sergio Vega "Diamond Eyes". Wuchtig, synkopiert und doch feinsinnig gelang ihnen damit das vielleicht überzeugendste Werk seit "White Pony".
Johnny Cash - "American VI: Ain't No Grave"
"Es gibt noch eine Menge Musik, die man veröffentlichen könnte, schätzungsweise rund 40 Lieder", erzählte John Carter Cash in unserem Interview über den nicht enden wollenden Songquell seines verstorbenen Vaters. Die meisten Songs auf "Ain't No Grave" sind zusammen mit jenen vom Vorgänger "A Hundred Highways" in Cashs letzten zwei Lebensjahren entstanden und sollen nach Meinung des Sohns definitiv die letzten "American Recordings" sein, die wir hören dürfen. Was das Cash-Label dazu sagt, weiß niemand. Die Eindringlichkeit und Authentizität in Cashs Stimme sorgte trotzdem wieder für Gänsehautwogen.
Ratatat - "LP4"
Ratatat. Diese Band steht seit ihrer sagenumwobenen Werdung für eine Musik, die so seltsam und gleichzeitig vertraut klingt, als habe man sie schon damals im Mutterleib gehört. Mit "LP4" führten sie dieses zeitlose Werk in kleinen, absolut unbeirrten Schritten weiter. Unvergleichlich, außerirdisch und virtuos. Bei Ratatat küsst die Gitarre den Synthie, bevor sich beide auf der Festplatte lieben.
Console - "Herself"
Hermetisch in sein Weilheimer Zauberkämmerchen eingeschlossen, brütete Martin Gretschmann sechs Wochen lang über Ambient-Soundscapes, die wir Ende November als neues Console-Album in unseren Händen hielten. Manchmal muss es eben schnell gehen, vor allem, wenn man nicht weiß, wohin mit der ganzen Kreativität (The Notwist, Acid Pauli, Filmmusik, Hörspiele). Dass "Herself" trotzdem nicht gehetzt, sondern unvergleichlich zart, romantisch und knisternd geriet, dürfte auch an Gretschmanns Wissen um die Dramaturgie eines guten Scores liegen. Und natürlich an der zauberhaften Sängerin Miri Osterrieder. Um das am Ende bloß nicht zu unterschlagen.
Earl Greyhound - "Suspicious Package"
Aristokratisch kommen sie daher, die New Yorker von Earl Greyhound. Dabei könnte ihr Sound kaum erdiger sein. Zwar posieren sie auf dem Cover von "Suspicious Package" in einer mondänen Parklandschaft, die an den Landsitz eines englischen Adligen erinnert, aber das darf man getrost als ironischen Bruch betrachten. Auf ihrem zweiten Album zelebriert das Trio nämlich wunderbar anachronistisch anmutenden Rock'n'Roll mit allerlei Zitaten der guten alten Zeit. Ein wenig 90er-Grunge als Würzmischung obendrauf und fertig ist "Scharf mit alles"-Rock. Wohl bekommt's!
The Dead Weather - "Sea Of Cowards"
Beneidenswert, das musikalische Potential des Jack White. Nicht nur daran erkennbar, dass er sich aus Müll mal kurz eine Pedal-Steel zusammen hämmert (siehe DVD-Doku "It Might Get Loud"), sondern auch an seinen unkonventinell harten Bluesrockbands, die er mal nebenbei aus der Taufe hebt. The Dead Weather steuerte Jack bereits zumm zweiten Mal vom Drumkit aus: Nie um eine Idee verlegen, brummt, fiept und scheppert der Robot Blues des Zweitlings "Sea Of Cowards" aus dem Boxensystem. Aufdrehen baby!
The Hundred In The Hands - "The Hundred In The Hands"
Die abgeklärte Raffinesse, mit der hier Dreampop- mit Indierock-Elementen vermählt wurde, überraschte. Das Debüt des seit 2008 operierenden Brooklyner Duos Jason Friedman (Gitarre) und Eleanore Everdell (Gesang) schlug nicht nur bei Freunden von New Order, The Cure und School Of Seven Bells voll ein. Der Promifaktor Warp Records tat ein Übriges.
Broken Bells - Broken Bells
"The Best Of Both Worlds", hieß es mal bei R. Kelly und Jay-Z. Ein schönes, wenn auch hochtrabendes Motto, dass man danach besser auch einhält. Broken Bells gelang dieser Spagat auch mit dem zurückhaltend selbstbetitelten "Debüt". Brian Burton aka Danger Mouse lieferte die Elektronik, Shins-Sänger James Mercer den Soul, und gemeinsam brachte man ein funkelndes, waidwundes und butterweiches Album zur Welt, das in weit mehr als nur zwei Genre-Welten Anklang fand.
Plan B - The Defamation Of Strickland Banks
Wie haben sich alle aufgeregt, als die Schimpf-, Schmäh- und Fluchkanonaden seines Debüts "Who Needs Action When You Got Words" erschienen! Rap-Verächter witterten wieder einmal mindestens den Untergang des christlichen Abendlandes. Um die Kritik dann doch noch um den Finger zu wickeln, brauchte es gar nicht viel: Plan B musste lediglich dem Hip Hop den Rücken kehren, den schmachtenden Soul-Sänger auspacken und diesen eine fesselnde Geschichte erzählen lassen - schon küssten ihm europaweit die Feuilleton-Schreiber die Füße. Wer angesichts seines Erfolgs mit "The Defamation Of Strickland Banks" aber denkt, das wars jetzt mit dem Rap: Weit gefehlt. Das wars jetzt nämlich erstmal wieder mit dem Soul. Also: Genießen!
Sophie Hunger - "1983"
Es gibt nicht viele Schweizer Künstler, die auch über die eidgenössichen Landesgrenzen für Furore sorgen. Was My Heart Belongs To Cecilia Winter dieses Jahr knapp nicht gelang, schaffte Sophie Hunger. Mit ihrer etwas rotzigen Stimme und zurückhaltendem Charme singt sie auf "1983" gleich in vier Sprachen - Französisch, Deutsch, Englisch und Schweizerdeutsch. Dazu lässt sie sich von Streichern begleiten oder spielt selbst Klavier oder Gitarre. Hunger klagt an, richtet ihre Aggressionen nicht nur gegen die Außenwelt, sondern auch gegen sich. 1983 ist das Jahr, in dem sie geboren wurde. Ein gutes Jahr für die Schweizer Musikszene.
Kanye West - "My Beautiful Dark Twisted Fantasy"
Er hat es schon schwer, der Kanye. Monatelang ereiferte sich die Presse ob seines - zugegebenermaßen wenig rühmlichen - Auftretens bei der Verleihung der MTV-Awards 2009, wo er nun wirklich nicht den sportlichsten Verlierer abgab. Für seinen neuen Wurf hat er allerdings tatsächlich jeden Preis der Welt verdient: Nicht nur, dem Titel gehorchend, beautiful, dark and twisted, sondern auch protzig, aggressiv und zugleich zuckersüß präsentiert Kanye West ein Album, das - wie man sieht - nicht nur Hip Hop-Heads begeistert.
Joanna Newsom - "Have One On Me"
Bei aller Elfenhaftigkeit, allen mittelalterlich anmutenden Momenten ihrer Harfen- und Stimmkunst, schien Joanna Newsom mit "Have One On Me" weiter denn je entfernt von allem Fantasy-Schmus. Da finden sich intime und leise Momente, geht einem Newsoms Organ nur noch selten auf die Nerven. Ihre Stimme mutet variabler, reifer an. Erschwerte bemühtes Kunstwollen einst den Genuss ihrer Musik, scheint sich Newsom heute auch in Pop-Nähe wohl zu fühlen. Nur eine Erklärung für diese gute Album-Platzierung.
These New Puritans - "Hidden"
Während sich das 2008er Debüt "Beat Pyramid" noch als Wolf im Indie-Schafspelz erwies, lebten sich die Briten auf "Hidden" so richtig aus. Genres sprengen? Nichts leichter als das. Aber auch die Grenze zwischen E- und U-Musik übertreten These New Puritans mit einer beeindruckenden Leichtigkeit. Instrumentell wie auch kreativ ging man hier neue Wege.
Foals - "Total Life Forever"
"Leave the horror here / forget the horror here", bot uns Foals-Sänger Yannis Philippakis gleich im ersten Album-Vorboten an. Einmal drauf eingegangen, ward unser Herz sofort an die Soundwelten von "Total Life Forever" verloren. Die arge Hektik wich dem Song und auf dem Kaleidoskop der Töne glitzern sowohl horizontbreite Saitenklänge als auch perfekt ineinander verwebte Grooves. Manche Hypes gehen eben doch klar.
Aloe Blacc - "Good Things"
Wenn erklärte Indie-, Synthiepop-, Alternative Rock- und Umz-Umz-Techno-Hupen (wer bitte sollen die denn sein?, Anm. d. Red.) plötzlich den Soul für sich entdecken, könnte die - mit Recht! - allgegenwärtige Hymne "I Need A Dollar" zumindest eine Mitschuld treffen. Gut so, denn "Good Things" sollten wahrhaftig für alle da sein. Auch auf voller Album-Länge liefert Aloe Blacc berückende Instrumentals, bestrickenden Gesang und - in Kombination - eine topaktuelle Version des "Inner City Blues".
The Drums - "Summertime!"
Ihr selbstbetiteltes Debütalbum war aller Ehren wert, doch die Liebe auf den ersten Blick gehörte dieser vorab im Frühjahr erschienenen EP. Allein der Titel: Für die Ewigkeit. Oder auch die Hymne "Let's Go Surfing". Die weiteren sechs Songs sprühten ebenfalls vor Jugendlichkeit, Lust und Verlangen und rekurrierten auf das Beste, was Manchester in den 80er Jahren in die Welt trompetete. Ob die Drums ohne den jüngst ausgestiegenen Gitarristen Kessler dieses Niveau halten, dürfte spannend zu beobachten sein.
Gorillaz - "Plastic Beach"
Ob er ein Gorillaz-Album auf dem iPad komponiert, seine alten Blur-Kumpels ins Studio zitiert oder sich abfällig über Lady Gaga und Beyoncé äußert: Damon Albarns Wort hatte auch 2010 Gewicht. Mit dieser Souveränität stattete er auch das dritte Album seines Allstar-Projekts aus. Ob der unverbesserliche Snoop Dogg, die Grime-MCs Kano und Bashy oder die Soul-Legende Bobby Womack: Am Ende surrten Groß und Klein, Jung und Alt im Maschinentakt des einstigen Britpop-Motors.
The National - "High Violet"
"I was carried / To Ohio in a swarm of bees": Nicht die einzige Zeile von Sänger Matt Berninger, bei der man sich fragte, wes Geistes Kind dieser Mann wohl ist. Eine absonderlich-prickelnde Poesie wuchert auf "High Violet", die in detailverliebte wie düstere Klangornamente gekleidet ist. Wem die Wehmut und die Tragik bei "Interpol" dieses Jahr etwas abhanden kam, durfte sich in dem verspulten Rock-Kosmos von The Nationals fünftem Longplayer verlieren. Bislang sowohl in der Heimat USA als auch in Europa sowas wie der ewig unbekannte Indie-Geheimtipp, änderte "High Violet" diesen Status dramatisch. "So schön kann Melancholie klingen", erkannte sogar Bild Online. Dann wissen es jetzt ja alle.
Hot Chip - "One Life Stand"
Spätestens mit ihrem vierten Werk festigten Hot Chip ihren Status als Ikonen ausgefuchster, elektronischer Popmusik. Bei Alexis Taylor gibts echte Gefühle statt flüchtige Augenblicke, Authentizität statt Manierismus. Autotune klang nie so schön wie auf "I Feel Better", Celli vertrugen sich selten so gut mit Stampf-Beats wie bei "Hand Me Down Your Love". Hier schreit die unwiderstehlich trippelnde Drum Machine nach Tanzfläche, dort glüht der Synthie zu cheesig-schönen Balladen. Ob so viel genuiner Emotionalität grölen wir sogar Taylors halb hoffnungsvoll, halb neckisch falsettelte Nullphrasen mit: "Happiness is what we all want!"
Pantha Du Prince - "Black Noise"
Inspiriert von der Einsamkeit der Schweizer Berge gelang dem Hamburger Produzenten Hendrik Weber mit seinem vierten Album der Spagat zwischen Ambient und Club, Entfremdung und Eingängigkeit. Die unendlichen Tiefen der geschaffenen Soundwelten entfalten sich erst nach mehrmaligem Anhören. Doch je tiefer man eindringt, desto höher dreht sich die Begeisterungsspirale. "Das Ungehörte und Unerhörte hörbar zu machen", war eines von Webers Zielen im Vorfeld. Mission accomplished!
Interpol - "Interpol"
Kaum ein Album spaltete die Redaktion wie die vierte Interpol-Scheibe. Die Diskussionen begannen schon beim nach wie vor arg zweifelhaften Cover-Artwork. Brauchte es dann eine gute Weile, um sich an die vorab veröffentlichten "Barricades" und "Lights" zu gewöhnen, schien "Interpol" eine halbe Ewigkeit an Geduld einzufordern. Letztlich platzierten sich die um Lieblingsbassist Carlos Dengler geschrumpften New Yorker mit ihrem neuen Schwermutsbrocken gerade noch in den Top 10. Dass sie sonst bei uns eher um den Titel mitspielen, wissen eh nur die Stammleser.
Warpaint - "The Fool"
Auf ihrem in Europa heiß ersehnten Debüt präsentierten die vier Damen aus Los Angeles eine Melange aus feenhaftem Zwiegesang und mitreißendem Post-Rock. Melancholie bleibt hierbei die allgegenwärtige Referenz des enorm homogenen Warpaint-Erstlingswerks. Es ist die Lust am Leiden, die "The Fool" so verführerisch schön gestaltet. Gitarren-Ikone John Frusciante outete sich bereits früh als Fan und lag mal wieder goldrichtig.
Tocotronic - "Schall Und Wahn"
Nach den überbordenden, lyrischen Ausschweifungen und der musikalischen Dichte des obendrein noch "Kapitulation" betitelten Vorgängers stand die berechtigte Frage im Raum: Wo bitte wollen Tocotronic noch hin? "Schall Und Wahn" blieb nah an beiden (!) Vorgängern und vollendete damit eine Schaffensperiode, die die Band selbst halbironisch als "Berlin-Trilogie" apostrophierte. Epische Stücke wechseln sich mit leicht krautigen ab, auf gängige Songstruktur wurde einmal mehr verzichtet ("Eure Liebe Tötet Mich"), dafür einen Schuss derilierenden Wahn hinzugefügt ("Gift"). Die Frage danach bleibt dieselbe: Wo bitte wollen Tocotronic noch hin?
Beach House - "Teen Dream"
Anfang des Jahres geben Beach House dem harten Winter eine weiche Note. Mit dem dritten Album fand das Duo zum eigenen Sound: Dämmrige Melodien, in Watte gepackte Orgelelegien und Victoria Legrands dunkelfarbige Stimme setzen sich zu unwirklichen Klangwelten zusammen, die den Hörer wie ein bittersüßes Betäubungsmittel einlullen. Aufgenommen in einer umgebauten Kirche unter der Regie von Produzent Chris Coady (TV On The Radio, Yeah Yeah Yeahs) lindert das surreal anmutende Werk jegliche Winterdepression. Dream Pop der betörendsten Sorte.
Massive Attack - "Heligoland"
Sicher, am Ende des Tages liefern 3D und Daddy G immer Qualität ab. Trotzdem: Dass Massive Attacks "Heligoland" nach sieben Jahren im Album-Off in der Jahresendabrechnung so weit vorne landen würden, war dann doch nicht ausgemacht. Woran das liegen könnte? Weniger Technik, im Sound mehr down to earth und ein Damon Albarn, der neben anderen Bescheidwissern in der Gesangskabine vorbei schaute. Oder lags vielleicht doch nur am Doku-Porno-Clip zum Track "Paradise Circus"? Egal.
Everything Everything - "Man Alive"
"Unsere goldene Regel lautete, nicht so zu klingen wie jemand anders." EE-Frontmann Jonathan Higgs hielt Wort. "Man Alive" wurde das Überraschungsdebüt des Jahres und sprengte das Verkaufsetikett UK-Indie in allen Bereichen. Mit Stakkato-Falsetto-Gesang, Gepfeife, Cembalo, gebrochenen Beats, Tempowechsel à gogo und allerlei obskuren Lyrics. Postpunk-Indie-Synthpop-Avantgarde-Elektro? Im Sommer fragten wir: "Liebes Debütalbum: willst du mich heiraten?" Den Ehevertrag haben wir entzückt unterschrieben.
Caribou - "Swim"
Caribou auf Platz 2 – da waren selbst die Oberbescheidwisser der Redaktion baff. Gitarrenpuristen murrten: "Das riecht doch nach Schiebung." Aber hier stinkt rein gar nichts. Daniel Snaiths drittes Album ist ein Ritterschlag, denn bisher kam dem Kanadier traurig wenig Beachtung zuteil. Das ist nun anders: Weitaus elektronischer als der Vorgänger traf "Swim" in seiner kalkulierten Nicht-Struktur einen Nerv, der Fans und Kritiker jubeln ließ. Mehr Trip denn Album, vereint "Swim" psychedelisch wabernde Electronica, dumpf pochende Basslines und Synthie-Blubbern mit Querflöte, Posaune, Harfe und Glockenspiel, streut Falsett-Gesangsfetzen und effektvoll eingesetzte Gitarrenpickings dazwischen. Genügend Stoff für Kopfkino weit über das Jahr 2010 hinaus.
Arcade Fire - "The Suburbs"
Sie leben hoch! Ausnahmslos jede einzelne Minute der grandiosen Vorstadt-Serenade "The Suburbs" tragen wir auf Händen quer durch die Redaktion. Win Butler & Kollegen lassen wie schon bei den Vorgängeralben die Kauleisten der Hörerschaft mit einer unglaublich runden und geschlossenen Scheibe gen Boden klappen. Die Ernüchterung über die schwindende Heimat, gegossen in einen leicht vom Bombast befreiten Sound, steckt voller Details und beherzter Anklage, straft dabei mit seiner musikalischen Vielseitigkeit jeden Schubladendenker ab. "The Suburbs" ist das, was "Because Of The Times" für die Kings Of Leon war: Der Schritt in den Mainstream, ohne sich diesem auch nur einen Millimeter anzubiedern. 64 Minuten Großtaten für noch viele Jahre!
98 Kommentare
Und wieder ein Jahr, dass scheinbar fast komplett an mir vorbei ging.
Werde ich alt?
Gab es wichtigeres als Musik dieses Jahr?
Oder sind meine musikalischen Intressen einfach wo anders, als am Zahn der Zeit?
Ganz ehrlich. Ich hab euch wieder nen bisschen lieb. Dafür dass ihr Ratatat hier reingebracht habt. Einfach ne geniale Band. Ansonsten fehlt meiner Meinung nach Brothers von den Black Keys. Aber immerhin ist Sea of cowards drin^^.
Caribou auf Platz 2?
Aber warum hat das Album dann nur 3 Sterne bei der Review bekommen?
Einige meiner Lieblingsalben 2010 erhielten von euch noch nicht einmal eine Plattenkritik. Vereinzelte Interpreten sind sogar nicht einmal im Index vorhanden, wobei sie doch recht bekannt sind. Beispiele: Groove Armada (Black Light), Philipp Poisel (Bis nach Toulouse), Ou Est Le Swimming Pool (The Golden Year), Fotos (Porzellan) oder Jonsi (Go).
Herzlichen Glückwunsch du hörst Musik die kein Aas hier interessiert.
Poisels Album fand ich nicht so gelungen, dafür ist er live sehr gut.
Mein Album des Jahres ist "We're Here Because We're Here" von Anathema, und nein, ich bin kein verbohrter Metaller. Dann mehr Indie. "High Violet" von the National lohnt sich sehr, auch "Echo Mountain" von K´s choice war schön, wenn auch in einer anderen Liga, sehr gut auch die Alben von Massive Attack, Foals, Tocotronic, Arcade Fire, Get Well Soon, Band of Horses, und Eels. Die grösste Enttäuschung waren für mich Wir sind Helden, "bring mich nach Hause" fand ich ziemlich schrecklich, aber immerhin ist der Titelsong sehr gut.
Aber das ist natürlich nur mein Geschmack, und wen interessiert das schon...