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Philipp Kause

1. Brooke Combe - Dancing At The Edge Of The World
2. Sudan Archives - The BPM
3. Derya Yıldırım & Grup Şimşek - Yar​ı​n Yoksa
4. John Glacier - Like A Ribbon
5. St. Paul & The Broken Bones - St. Paul & The Broken Bones
5. Jonathan Jeremiah - We Come Alive
5. Chronixx - Exile
8. The Mountain Goats - Through This Fire Across From Peter Balkan
9. De La Soul - Cabin In The Sky
10. Wally & Ami Warning - Live
11. Samantha Fish - Paper Doll
12. CocoRosie - Little Death Wishes
13. Bootsy Collins - Album Of The Year #1: Funkateer
14. Lael Neale - Altogether Stranger
15. Léonie Pernet - Poèmes Pulvérisés
16. Chameleons - Arctic Moon
17. Marissa Nadler - New Radiations
18. Phenomden - Casino True Love
19. Erika De Casier - Lifelines
20. Selena Gomez & Benny Blanco - I Said I Love You First
21. Rats On Rafts - Deep Below
22. Ebow - FC Chaya (Glitzer Edition)
23. Counting Crows - Butter Miracle, The Complete Sweets!
24. Lambrini Girls - Who Let The Dogs Out
25. Little Feat - Strike Up The Band

Das Soul-Jahr begann spitze, und das gilt neben Northern-Soulerin Brooke Combe aus dem schottischen Edinburgh auch für eine Reihe nicht gelisteter Leute:

  • Saya Gray (hooray, originelle LP),
  • Hope Tala (niedlicher, ruhiger Neo-Soul),
  • Ben L'Oncle Souls urgemütliches Keyboard-Opus
  • Eddie Chacons Rückkehr
  • Marinero mit einem smoothen nachttauglichen Teil,
  • Fünf Achterl in Ehren mit dem österreichischen Beitrag zum Soul,
  • die Debüts der Stones Throw-Künstlerin Michi (zu schüchtern für ein Interview?) ...
  • ... und des Verve-Nachwuchstalents Maya Delilah (überhaupt nicht schüchtern)

John Glacier feierten wir hinlänglich in unseren Bestenlisten.

In Berlin debütierte die New Yorkerin Sorvina mit ihrer multinationalen Band und mischte organischen Hip Hop mit sweetem Neo-Soul und Spoken Word. Es ist die einzige Band, die ich dieses Jahr sowohl in einem Keller als auch, open air, in einer Ruine gesehen habe, und sie riss das Publikum herausragend mit und animierte es.

Gut ging es im Soul auch im zweiten Quartal eine Zeitlang weiter, dank:

  • Ledisis [Bio-Link] angejazzter Art
  • dem Retro-Frank Popp Ensemble ganz ohne Blue Jeans, trotzdem noch hip
  • der lässigen finnischen Rosettes.

Die in Berlin lebende Finnin Ina Forsman brillierte in meinem Konzertjahr live auf Vintage-Pfaden, gut eingefangen auch auf der Studioplatte, und die felsenfest röhrende Ü80-New Orleanserin Irma Thomas fräste sich feurig unter die Haut. Luna Soul grüßten aus Schleswig-Holstein, mit einem Schuss Spanien.

Coco Jones debütierte und beantwortete ihre Frage "Why Not More?" sogleich mit einem Deluxe ihres Albums, während die Trip Hop-verliebte coole Dänin Erika De Casier den PR-Gau erlitt: Ihre interessanten "Lifetime" wurden geleakt, noch bevor sie das Werk ankündigen konnte. Kali Uchis packte ihren Soul in warme Watte, Emma-Jean Thackray den ihrigen in akademische Jazz-Akrobatik, und Adja Fassa nahm ihr Publikum mit auf einen reizvollen Trip, der die Fantasie so anregt wie ein Hörspiel.

Im Sommer versandeten die vielversprechenden Soul-Quellen leider großenteils. Immerhin, The Black Keys machten klar, dass sie Sixties-Rare Soul studiert haben, Jon Batiste veranstaltete noch im August die nächste Zeitreise, Joy Crookes trat im September für modernen Sound ein, Olivia Dean verband Alt und Neu in ihren edlen Aufnahmen. St. Paul & The Broken Bones und Jonathan Jeremiah fesselten mich mit ihren Platten so sehr, dass sie sich mit dem auf Soul umschwenkenden incognito-Mitglied von Sault, dem Jamaikaner Chronixx, den fünften Platz teilen.

The Mountain Goats legten das ungewöhnlichste Album hin, Ami Warning und ihr im September traurigerweise plötzlich verstorbener Papa Wally das stärkste Akustik-Album. Von der elektronischen Front kitzelte mich wenig. Ganz sicher taten es aber diese beiden: Sudan Archives "The BPM" und Léonie Pernets "Poèmes Pulvérisés" - live gesehen: sehr arg bassig, mächtig, überrollend ...

Off-topic, aber einer meiner vielen Filme des Jahres hat auch mit Musik zu tun: Er erzählt die Geschichte eines Konzertes von Keith Jarrett vor 50 Jahren in Köln, das fast nicht stattgefunden hätte: "The Köln Concert". Der Mitschnitt, den es ebenfalls fast nicht gegeben hätte, entwickelte sich zur Verkaufsrakete. Mala Emde spielt hinreißend die junge, stürmische und kämpferische Konzertbookerin Vera Brandes, die sich ihren Beruf - wie es bis heute in der Branche üblich ist - selbst beibringt und dabei oft auf die Nase fällt. Es ist ein sympathischer Sturm-und-Drang-Coming-of-Age-Film mit einem reizvollen Plot, der in einer bewegten Zeit spielt und Hippie-Flair ein- und ausatmet.

Spannend im Kino war auch "Emília Pérez" mit Selena Gomez, wobei sich bei dieser Transgender-Drogenkartell-Story leider ein unangenehmes Nachspiel ergab: Eine von Selenas Schauspielkolleginnen, Karla Sofía Gascón Ruiz, hatte sich zuvor ganz und gar nicht im Sinne des Films, sondern rassistisch auf Twitter geäußert (bevor es zu X wurde). Neben der genialen Art, wie Selena ihre Rolle in dem Streifen ausfüllte, machte mich ihr privates Kuschel-Album "I Said I Love You First" glücklich.

Zu den neuen Stimmen des Jahres zählt für mich Singer/Songwriterin Lael Neale. Marissa Nadler [Bio-Link] zeigte sich als eine der inhaltsreichsten und sympathischsten öffentlichen Personen, die ich 2025 kennen lernen durfte, noch dazu mit einer schönen melancholischen Platte über den Weltraum. Unter den Liedermacher:innen findet sich auch mein Song des Jahres, "Nebenan" von Rainhard Fendrich. Er selber, stellte ich im Januar am Telefon fest, ist tatsächlich noch netter, als ich ihn mir eh schon vorgestellt hatte, und bündelt auf "Wimpernschlag" https://laut.de/Rainhard-Fendrich/Alben/Wimpernschlag-124706 viele aktuelle Themen.

Unter den gelungenen Comebacks des Jahres bieten sich von De La Soul bis Tanita Tikaram so viele an, dass ich daraus schließen muss: Es ist nie zu spät, neu anzufangen. Hörst du, Roland?! Auch für den Fine Young Cannibal soll es das nicht sein, der es nach 22 Jahren Auszeit hoffentlich nicht bei einem einzigen neuen Song belässt.

Unter den Todesfällen betrauere ich besonders, dass ich Angie Stone, David Thomas von Pere Ubu, Wally Warning, Jimmy Cliff und Steve Cropper nicht persönlich kennen gelernt habe. Rest in peace! Besonders fehlt mir Max Romeo, den ich getroffen habe. Das neue Jahr 2026 wird mit einem Doppelalbum seiner Tochter beginnen, da taucht auch er posthum noch einmal auf.

Für den Punk war kaum noch Platz in der Liste. Trotzdem gehören Maria Iskariot als meine Punk-Explosion des Jahres genauso erwähnt wie die Pop-Schrammlerinnen Fraupaul. Die Lambrini Girls sicherten sich mit sprühender Energie bereits in der zwoten Woche von 2025 einen Platz in meinen Top 25. EA80 wehrten sich dagegen, promotet und rezensiert zu werden. Sei ja alles nur Geschäftemacherei. Auf ihrer Tour kam es zu Terminverschiebungen - sind ja nicht mehr die Jüngsten.

... und was geschah sonst noch hinter den Kulissen? Mehrere englische und US-Labels übten sich darin, deutschen Medien, ob mir oder Kolleg:innen anderer Publikationen, kein Wort zu antworten. So wird uns oft nur ein Ausschnitt dessen zuteil, was an internationalen Trends gerade herumschwirrt, selbst wenn es sich über Online-Shops heute leicht importieren lässt. Ein Label bot gar einen Bemusterungsvertrag über 2.260 Euro an, die ich der Plattenfirma zahlen solle, um für deren Musik zu werben. Danke, abgelehnt!

Für 2026 keimt die Hoffnung auf mehr Highlights in Reggae und Psychedelic - da herrschte dieses Jahr Ebbe. Während Derya Yıldırım verdientermaßen in ausverkauften Sälen spielte, steckt das Rasta-Genre dagegen weiter in der finanziellen Krise. Insgesamt: Solides Musikjahr, aber eins der schwächeren der letzten zehn.

Womöglich liegt das an der immer noch schmalen Mitwirkung von Frauen im Rock-, Metal- oder Electro-Bereich. Jedenfalls legt mein Buch des Jahres das nahe. Rike Van Kleef, "Billige Plätze", erschienen im Ventil Verlag. Schon alleine die Recherche-Fülle ist der Wahnsinn, aber es sind nicht alleine der Inhalt, die Thesen und die aktivistische Stoßrichtung des Buches, die den Reiz ausmachen. Selbst für den Fall, dass man der feministischen Consciousness-Haltung nicht unkritisch folgen mag, wickelt die geschmeidige Sprache ein, in der Rike schreibt. Immer hat sie ein passendes und veranschaulichendes Zitat parat, sie drückt sich mit einem großen Wortschatz aus, verwendet zwar viel Fachsprache, wo es nötig ist, bleibt aber immer auf dem Teppich und verständlich, transparent, angenehm für eine schnelle Lektüre. Die Gliederung der Kapitel ist durch und durch sinnvoll, obwohl alles mit allem hier zusammenhängt.

Der Blick hinter den Live-Betrieb großer Festivals gelingt durch die große Zahl an unterschiedlichen Berufsgruppen, mit denen Rike Van Kleef Interviews geführt hat. Die Haltung des Buchs ist der Drang nach Veränderung, und es ist sympathisch, dass man diese Haltung immer spürt, aber dabei nicht nur bekannte Annahmen kombiniert werden, sondern auch viel Heimliches aus den Interna des Musik-Geschäftsbetriebs nach außen dringt. Manchmal frustrierend oder schockieren die Details und Beispiele, aber irgendwie sind die meisten auch unterhaltsam. Am Ende denkt man sich wieder mal: There's no biz like the showbiz. Und: Es kochen alle nur mit Wasser.

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